: Drei Jahre Haft für Antifaschisten
NPD-Aufmarsch am 1. Mai in Lichtenberg: Ein Gegendemonstrant versucht am Rande, ein Auto anzuzünden. Jetzt soll er für drei Jahre hinter Gitter. Seine Anwälte wollen gegen das Urteil vorgehen
VON TOBIAS V. HEYMANN
Mit leicht gesenktem Kopf, aber ruhig und gefasst hört Christian S. auf der Anklagebank des Amtsgerichts Tiergarten sein Urteil: Drei Jahre Haft ohne Bewährung wegen versuchter Brandstiftung, schweren Landfriedensbruchs, Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz sowie Widerstands gegen die Staatsgewalt, lautet der Spruch. Lang und breit hat ihm Richter Brandt zuvor sein gesamtes Verhalten am 1. Mai 2004 in Friedrichshain vorgehalten – und so zeigt sich auch der Staatsanwalt mit der sehr hohen Strafe zufrieden.
Doch nicht nur für die zahlreichen Prozessbeobachter auf den Zuschauerbänken ist die Justiz damit zu weit gegangen: Noch auf den Treppen des Amtsgerichts kündigen die Anwälte des vorbestraften 35-jährigen Christian S. an, Rechtsmittel gegen das Urteil einzulegen. Denn in ihren Augen hat das Gericht nicht nur das Strafrecht sehr streng ausgelegt, sondern auch die gesamte Situation am 1. Mai 2004 nicht ausreichend berücksichtigt. Dazu kommt, dass Christian S. seit seiner Festnahme am 1. Mai bis zum ersten Prozesstag Ende Oktober in Untersuchungshaft saß. „Wir fordern daher, dass jetzt zumindest der Haftbefehl bis zur Rechtskraft des Urteils aufgehoben wird“, sagt Anwältin Silke Studzinsky.
Was war passiert? Genau an diesem Tag darf die rechtsextreme NPD gemeinsam mit „freien Kameradschaften“ auf der Frankfurter Allee aufmarschieren: Mit rund 3.000 Braunen ist das nicht nur der größte Auftritt der Rechten seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Berlin. Erstmals bilden die Nationalisten auch einen eigenen, aggressiven „schwarzen Block“, der sich mehrere Rangeleien mit der Polizei und Gegendemonstranten liefert. Neben Fahnen führen sie auch NPD-Plakate mit sich, auf denen „Gute Heimreise“ steht und eine ausländische Familie mit gepackten Koffern von hinten zu sehen ist. In Bremen läuft genau wegen dieses Plakats zurzeit ein Verfahren wegen Volksverhetzung.
Doch der Aufmarsch der NPD ist angemeldet und genehmigt. Als sich der Zug in Bewegung setzt, versuchen Gegendemonstranten, mit Sitzblockaden die Rechtsextremen zu stoppen – und wollen so Zivilcourage zeigen. Die Polizei räumt mit Wasserwerfern und hunderten von Beamten den Weg frei. Erst als auf Höhe des Ring-Centers in Friedrichshain Barrikaden brennen, beschließt die Einsatzleitung den Abbruch der NPD-Demo.
Zu diesem Zeitpunkt ist Christian S. bereits im Visier der Fahnder der Polizei. Sie beobachten ihn dabei, wie er Mülltonnen auf die Frankfurter Allee schiebt und Papier in einem umgestürzten Mercedes der A-Klasse mit zerstörter Heckscheibe anzündet. In einer zehnseitigen Prozesserklärung bekennt er sich später sogar dazu und begründet sein Tun mit politischen Motiven.
Doch vor Gericht zählt das alles nicht – auch nicht strafmildernd. Die strafrechtlichen Argumente seines Verteidigerduos dringen nicht durch. „Zwar hat Christian S. versucht, Feuer zu legen, doch Zeugenaussagen und Videos beweisen, dass ein Wasserwerfer das Fahrzeug kurz darauf schon wieder löschte. Danach brannte der Wagen sogar noch ein zweites Mal, und ein Räumpanzer rammte das Wrack von der Straße“, sagt Anwältin Silke Studzinsky. „Daher ist er nicht für die gesamten Schäden an dem Auto verantwortlich. Hier müsste gelten: Im Zweifel für den Angeklagten.“
Auch der Vorwurf des „schweren Landfriedensbruchs“ sei so nicht haltbar, argumentiert die Anwältin. Laut Studzinsky sollen am 1. Mai „zahlreiche Polizeibeamte in Zivilkleidung“ im Einsatz gewesen sein: Mehrere Beamte „des SEK vom LKA 6302, der Direktion IV ‚Fahndung-Aufklärung-Observation‘ und Zivilbeamte der Operativen Gruppe Jugendgewalt“ sowie des Staats- und Verfassungsschutzes seien dort gewesen, so die Anwältin, die gerne Innensenator Ehrhart Körting (SPD) und Polizeipräsident Dieter Glietsch als Zeugen dazu gehört hätte. Von einer „Menschenmenge“, die den „öffentlichen Frieden“ gefährdet habe, könne keine Rede sein.
Für den Anwalt Lüko Becker stellt sich darüber hinaus die Frage, inwieweit hier nicht sogar das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Widerstand greifen könnte: „Das wäre zwar ein Offenbarungseid des Staates, wenn er zugeben würde, dass hier andere Abhilfe zum Schutz der Verfassung nicht möglich gewesen sein könnte. Aber denkbar wäre das.“