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Archiv-Artikel

Ein Gott = viele Mörder?

Gott mag mitunter barmherzig sein –seine Gläubigen sind esdes Öfteren nichtIm Islam sind schon seit seiner Gründung eine friedliche und eine gewalttätige Seite angelegt

VON PHILIPP GESSLER

Die Argumentation scheint einfach, ein kurzer Blick ins Geschichtsbuch, einer in die „Heiligen Schriften“ reichen: Religionen und Gewalt, das ist eine innige Geschichte zweier Furien. Bei den Kreuzzügen im Namen des Christengottes starben bis ins 13. Jahrhundert über fünf Millionen Menschen. Die Zahl der Toten durch Ketzerverfolgungen wird auf über eine Million geschätzt. Ganz zu schweigen von Judenpogromen, Reconquista und Hexenwahn.

Ähnlich im Judentum: Bei den Eroberungszügen der Israeliten im „Heiligen Land“ wurden offenbar regelrechte Massaker verübt, ja göttlich legitimiert. „Mit scharfem Schwert weihten sie alles, was in der Stadt war, dem Untergang, Männer und Frauen, Kinder und Greise, Rinder, Schafe und Esel“, heißt es im Buch Josua 6,21. Alles im Namen Jahwes.

Auch die Geschichte des Islam ist blutig, schon seit den Zeiten des Propheten Mohammed (570–632 n. Chr.): Um 627 ließ er den jüdischen Stamm der Banu Qurayza ausrotten. Etwa 800 Männer sollen hingerichtet, Frauen und Kinder versklavt worden sein. In den etwa 120 Jahren nach Mohammeds Tod eroberten die muslimisch-arabischen Herrscher im Namen Allahs ein Weltreich. Dazu passte perfekt im Koran die 9. Sure (Vers 5): „Wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Polytheisten, wo immer ihr sie findet, greift sie, belagert sie und lauert ihnen auf jedem Weg auf. Wenn sie umkehren, das Gebet verrichten und die Abgabe entrichten, dann lasst sie ihres Weges ziehen: Gott ist voller Vergebung und barmherzig.“

Gott mag tatsächlich unter bestimmten Bedingungen sehr barmherzig sein – seine Gläubigen sind es des Öfteren nicht. Seit dem 11. September 2001, als sich Mohammed Atta & Co. aus religiösem Wahn („Wenn du im Flugzeug bist, sollst du zu Gott beten, denn du tust dies für Gott“) sich und tausende Unschuldige per Flugzeug ins Jenseits beförderte, und noch einmal seit dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh ist das einstige Gähnthema „Gewalt und Religion“ zur brennenden Frage geworden: Wird bei Gewaltexzessen im Namen Gottes bloß die metaphysische Sehnsucht des Menschen für politische Zwecke missbraucht, wie vor allem Vertreter der monotheistischen Religionen zu betonen nicht müde werden? Oder gibt es vielmehr doch diese schwarze Seite im Kern der Religionen, die Menschen zur Gewalt treibt? Zugespitzt: Neigen vor allem die relativ jungen monotheistischen Religionen zu Gewalt? Ein Gott = viele Mörder?

Das ist, überspitzt, die These des Heidelberger Ägyptologen Jan Assmann in seinem Buch „Moses der Ägypter“ – veröffentlicht schon 1998. Mit Moses, so seine Theorie, wurde der Ein-Gott-Glaube in der Welt populär und damit der Dualismus von „wahr – falsch“, der keine Vielgötterei mehr duldete: „Der monotheistisch geführte Streit um die Wahrheit zwingt bis in die Gegenwart hinein zu kompromisslosen Alternativen“, schreibt, Assmann zustimmend, Hermann Häring, Theologe an der Katholischen Universität Nijmegen.

Wohlgemerkt: Es geht, Assmann folgend, nicht mehr um den bloßen Missbrauch der Religion für politische, gewaltsame Zwecke, sondern darum, dass im Wesen der monotheistischen Religionen selbst die Gewalt schlummert. Häring schreibt nüchtern: „Es gibt – von Stalinismus und Faschismus abgesehen – wohl keine zweite Institutionengruppe in der Geschichte der Menschheit, die so viel Intoleranz und Unduldsamkeit, so viel Rechthaberei und Kriegslust, so viel Fanatismus und zerstörerischen Eifer losgetreten bzw. legitimiert hat wie die monotheistischen Religionen Christentum und Islam.“ Ist der Glaube an einen Gott also inhärent totalitär und deshalb gewaltschwanger?

Dagegen gibt es kluge Einwände: Zum einen hat schon der Kirchenlehrer Augustinus (354–430 n. Chr.) geistige und weltliche Macht getrennt – seitdem ist es für die weltlichen Herren und ihr Gewaltstreben nicht mehr so leicht, den christlichen Glauben für sich in Anspruch zu nehmen. Oft gelang das zwar. Aber schon immer gab und gibt es Christen, die gerade wegen ihres Glaubens Gewalt ablehnen, mit Verweis auf ihren Gott der Nächsten-, ja Feindesliebe. Wenn Gewalt im Wesen des Christentums läge, wäre dies schwer erklärlich. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass sich das Christentum, besänftigt durch die Aufklärung, seit etwa 200 Jahren vergleichsweise friedlich, ja friedensfördernd entwickelt hat – trotz des Nordirlandkonflikts und christlichen Mördern von Abtreibungsärzten in den USA. Zu Gewalt aufrufende Stellen im Neuen Testament sind im Vergleich zur Zahl friedensstiftender Appelle marginal und keineswegs Kern des Glaubens.

Etwas schwieriger ist die Sache mit dem Islam. In ihm sind schon seit seiner Gründung, und folglich auch im Koran, eine friedliche und eine gewalttätige Seite angelegt. Es gibt die Verkündigung Mohammeds in Mekka in seinen ersten Jahren als Prophet. Hier zeigt sich der Islam tolerant und barmherzig. Mit der Erzählung vom Umzug nach Medina aber, wo Mohammed Gesetzgeber, ja Kriegsherr wurde, werden der Glaube und die Verse des Korans kämpferischer, wie Christine Schirrmacher vom Institut für Islamfragen in Bonn erklärt.

Tatsächlich sind im Koran – im Gegensatz zu Assmann – Stellen der Toleranz zu Andersgläubigen zu finden, Vers 48 der 5. Sure erklärt etwa, dass die Vielfalt der Religionen sogar Gottes Willen entspricht. Eine Aussage, die aus dem Munde Nathans des Weisen stammen könnte: „Für jeden von euch haben Wir eine Richtung und einen Weg festgelegt. Und wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Doch Er will euch prüfen in dem, was Er euch hat zukommen lassen. So eilt zu den guten Dingen um die Wette. Zu Gott werdet ihr allesamt zurückkehren, dann wird Er euch das kundtun, worüber ihr uneins waret.“

Dagegen wäre einzuwenden, dass alle monotheistischen Religionen solch schöne Aussagen in ihren „Heiligen Schriften“ kennen – was treibt sie dennoch, historisch und aktuell, zu Gewalt? Ist ihre Neigung nicht erwiesen, nach dem Motto „Ein Gott – ein Glaube – ein Reich“ zu funktionieren, so friedlich ihre Glaubensstifter auch von Zeit zu Zeit säuselten? Dafür empfiehlt sich eine Gegenprobe: Wie ist es beispielsweise mit dem Buddhismus, der als die friedlichste der Weltreligionen gilt? Diese Lehre ist tatsächlich eindeutig friedliebend, manche buddhistischen Mönche trugen sogar Schellen an ihrem Wanderstab und nutzten Filter beim Trinken, um nicht ungewollt Kleinstlebewesen zu zertreten oder zu verschlucken. Zudem ist die buddhistische Lehre klar nicht monotheistisch. Hier dürfte es doch keine Glaubenskriege geben!

Der evangelische Religionswissenschaftler Georg Schmid (Zürich) liefert Gegenbelege: Buddhistische Mönchskrieger spielten eine große Rolle in den kriegerischen Auseinandersetzungen in Korea von ca. 900 bis 1400 n. Chr, ähnlich in Japan und China. Im 16. Jahrhundert wurden die Mongolen durch die tibetische Gelbmützenschule, zu der die Dalai Lamas gehören, auch mit Anwendung von Gewalt missioniert. Und in Sri Lanka erwecken Leitgestalten buddhistischer Spiritualität den Eindruck, dass das Töten von Tamilen nicht nur als Notwehr erlaubt sei, es wird gar als Töten von wertlosen Menschen verharmlost.

Alles nur Fehltritte und Ausnahmen? Wenn ja, wären dann die blutigen Exzesse der jüdischen, christlichen und muslimischen Monotheisten nicht auch als Ausnahmen entschuldbar? Und wie lassen sich, darauf macht der Berliner Theologe Richard Schröder aufmerksam, folgende, auch religiös motivierte Gewalttaten nicht monotheistischer Völker erklären: die „Blumenkriege“ der Azteken mit dem Ziel der Gefangennahme von Menschen für spätere rituelle Opferungen, die Christenverfolgungen der Römer und das Massaker der Mongolen an angeblich 800.000 muslimischen Einwohner Bagdads im Jahr 1258?

So gesehen, bleibt von Assmanns These nicht viel übrig. Religion scheint vielmehr immer – ob mono-, ob polytheistisch – Gewalt wie einen Virus in sich zu tragen. Warum? „Das unlösbare Hauptproblem eines jeden Zusammenlebens ist die Gewalt“, schreibt Häring, „Aufgabe einer Religion, die diesen Namen verdient, ist es, auf die Gewaltpotenziale und deren Quellen zuzugehen, sie zu thematisieren und zu verarbeiten.“ Religionen spielen also wesensmäßig mit dem Feuer, erklärt der Theologe: „Religionen fangen alle destruktiven Fantasien ein; deshalb können sie – wenn es schief geht – zu Verstärkern von Gewalt werden. Religionen formulieren unsere Wut über das Böse. Sie kanalisieren unseren Wunsch nach der Vernichtung der Bosheit. Sie fordern Gerechtigkeit, in gewissem Sinn also auch Rache für die Entrechteten und die Opfer.“

Wäre also eine Welt ohne Religionen erstrebenswert, weil friedlicher? Das kann bezweifelt werden. Die größten Massenmorde des 20. Jahrhunderts haben religionsferne, ja religionsfeindliche Regime angestiftet: Nationalsozialismus und Stalinismus. Abgesehen davon ist die Hoffnung auf eine Abschaffung der Religionen illusionär. Das versuchen Atheisten schon seit 200 Jahren. Die einzige Hoffnung scheint zu sein, sie zur Selbstkritik zu drängen. Monotheistische Religionen sind dazu fähig.