Forscherin gegen gemütliche Vorurteile

Die Ex-Rektorin der Essener Universität, Ursula Boos-Nünning, hat herausgefunden, dass Migrantinnen moderner und karriereorientierter sind als vielfach vermutet. Ihre Offenheit hat sie schon Führungspositionen gekostet

Mit ihrer aktuellen Studie über das Leben von jungen Migrantinnen hat die Essener Soziologin Ursula Boos-Nünning mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen, als sie sich jemals erhofft hatte. „51 Zeitungen haben darüber geschrieben“, sagt sie und freut sich dabei wie ein kleines Kind. Die Migrationsforscherin hat in der vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebenen Studie unter anderem herausgefunden, dass junge Migrantinnen genauso viel Wert auf eine gute Schulbildung legen wie ihre deutschen Altersgenossinnen. Und dass nur jedes zehnte türkischstämmige Mädchen zwischen 15 und 21 sich von ihren Eltern in die Partnerwahl reinpfuschen lassen würde.

„Ich habe immer geahnt, dass die Lebensentwürfe von Migrantinnen differenzierter sind als gemeinhin angenommen“, sagt die 60-Jährige, die seit 1981 den Lehrstuhl für Migrationspädagogik besetzt. Um das zu beweisen, hat die Soziologin, die sich eine „überzeugte Empirikerin“ nennt, bundesweit 950 Mädchen griechischer, italienischer, jugoslawischer und türkischer Herkunft befragt.

Ihren wissenschaftlichen Eifer konnte Boos-Nünning auch in der Politikberatung ausleben: Noch unter Helmut Kohl verfasste sie für die Bundesregierung einen Kinder- und Jugendbericht mit erschreckenden Zahlen zur Kinderarmut. Auch der Zukunftsrat NRW setzte in den vergangenen drei Jahren auf ihre Erkenntnisse. Das Amt der Rektorin im Vorfeld der Fusion mit der Uni Essen und Duisburg behielt sie allerdings nicht lange.

Boos-Nünnings Offenheit, vermuteten die Essener Professorinnen Gabriele Gillessen-Kaesbach und Elke Winterhager gegenüber der WAZ, sei der Grund, warum sie 2003 als Rektorin vom Senat abgesägt wurde. Vordergründig sei ihr zwar vorgeworfen worden, dass sie „die Rechte der Uni Essen verletzt habe“. Doch Boos-Nünnings Bereitschaft, Gegenstimmen Raum zu geben, habe eigentlich ihr Scheitern verursacht. Das sei eine „Absage an einen spezifisch weiblichen Führungsstil“, urteilten die beiden Kolleginnen. Boos-Nünning will „diese Geschichte nicht wieder aufrollen“, sagt sie. „Es war eine hoch turbulente, lehrreiche Zeit.“ Sie bedauere vor allem, dass sie in dieser Zeit ihre Studie vernachlässigen musste. „Aber das habe ich schon nachgeholt“, sagt sie sichtlich erleichtert darüber, nicht mehr in das Macht- und Intrigenspiel verwickelt zu sein.

Boos-Nünning ist als Tochter eines Kaufmanns und einer Hausfrau in Altenessen aufgewachsen, einem Essener Stadtteil mit großem Migrantenanteil. Die Professorin ist stolz auf ihren Werdegang: Sie habe in nicht einmal vier Jahren ihr Studium der Soziologie, Politik und Philosophie an den Unis Köln und Linz (Österreich) abgeschlossen, sagt sie unaufgefordert. In zwei Jahren machte sie ihren Doktor, in neun Jahren ihre Habilitation. „Irgendwann musste ich ja auch meine beiden Töchter großziehen“, sagt sie, die seit 35 Jahren verheiratet ist. „Die meisten Frauen in meiner Position sind kinderlos.“ Sie findet es arrogant, dass Deutsche bei den Migranten ständig die fehlende Emanzipation bemängelten. „Bis es hierzulande selbstverständlich ist, dass Männer den Frauen für ihre Karriere den Rücken freihalten, können wir noch lange warten.“ NATALIE WIESMANN

Fotohinweis: Ursula Boos-Nünning, Essener Migrationspädagogin und Mitglied im Zukunftsrat NRW