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Archiv-Artikel

BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Ein Wiener Saftgulasch wie es sein soll

Der Gastro-Test: Im „Engelbecken“ am Lietzensee kann man gepflegt essen – und über die Vorzüge eines Internatsbesuches plaudern

Eingeweihten muss man es nicht vorstellen, sie beklagen ohnehin, dass zu viel hergschertes Volk aus Szenen jenseits des vielleicht schönsten Fleckens Westberlins ihnen die gelegentlich raren Plätze streitig machen: Die Rede ist vom „Engelbecken“, einem Speisehaus der bayerisch-österreichischen Art. Einst war es auf vormals klerikalem Gelände am nördlichen Rand Kreuzbergs beheimat. Aber, na klar, das autonome Milieu mochte erstens keine Häuser, die nichts als das gastronomisch schöne Leben im Sinn haben, zweitens waren es die Leit, die das Göld in der Taschen tragen, leid, immer an den Saum vom schmuddelig-alternativen Kreuzberg zu pilgern, nur um sehr gut und extrabehaglich zu essen.

Jedenfalls: Am „Engelbecken“ ist leicht zu studieren, wie taktvoll sich die besseren Kreise doch zu benehmen wissen. Kein erhitztes Geblöke wie in entsprechenden Gourmethäusern in Mitte oder rund um die Friedrichstraße, kein „Wall Street“-Gesölch um nichts. Stattdessen feine Damen und zivilisierte Herren von Ende zwanzig bis Mitte fünfzig. An manchen Tischen werden neueste Aspekte psychoanalytischen Werdens erörtert, andernorts die Vorzüge eines Internatsbesuchs des eigenen Nachwuchses: Die Leute vom „Engelbecken“ dürfen sich dieses kommunikative Setting zugute halten: So intim traut man sich eben nicht überall zu werden.

Und das Essen, natürlich, trägt das seine nicht nur bei, sondern verführt zum freundschaftlichen oder familiären Anlass: Es müssen Stammgäste sein, viele gewiss, die immer wieder das Haus besuchen – und auf deren Gesichtern sich doch die Freude auf die Speisen abzeichnet.

Das Fleisch, ob Geflügel, Lamm, Rind oder Schwein, entspricht ganz und gar ökologischer Manier, die Gemüse schmecken, wie es keine holländische Zucht zuwege bringt. Die Speisekarte wird unentwegt variiert, die Lauchcremesuppe mit Knoblauchcroutons jedenfalls fand sich Tage später nicht wieder, aber es wird sie wieder geben – ein kräftig-sämiges Vergnügen, das aus einem schlichten Suppenzusatz eine Appetitlichkeit gemacht hat. Das Wiener Saftgulasch schmeckt, wie es soll, kräftig und fein in einem. Das Wiener Schnitzel zählt in der Hauptstadt zu den besseren, Krönung ist der Kartoffel-Gurken-Salat, der den Essig schmecken lässt, aber in seiner Säure nicht die Gemüse zermürbt. Dass mit Blick aus dem Lokal sommers sehr nah der Lietzensee schimmert: Umso schöner. Ein Biotop, das zum besseren Leben verführt. JAN FEDDERSEN

INFO ZUM ENGELBECKEN:Witzlebenstr. 31, 14057 Berlin, U-Bahn Sophie-Charlotten-Platz, Montag bis Sonnabend 16 bis 1 Uhr, Sonntag 12 bis 1 Uhr, Küche bis 23:30 Uhr,Hauptgerichte 15 bis 27 Euro; Vegetarier gern gesehen, Kreditkarten: alle üblichen; Bier: König-Ludwig-Dunkel; Weine: vor allem österreichischer Provenienz; www.engelbecken.de