: Meyer und die WM-Karten
Der CDU-Generalsekretär hat sich selbst reingeritten. Von professionellem Krisenmanagement fehlte jede Spur. Das muss sich auch Angela Merkel sagen lassen
Die neuesten Versager in puncto Krisenmanagement finden sich in den Reihen der CDU. Laurenz Meyer, an dem Angela Merkel als Generalsekretär der Partei festhält, hat ein Handlungsmuster an den Tag gelegt, das so typisch wie falsch ist. Meyer gab nämlich nur das zu, wovon er über seine Pressestelle wusste, dass es ohnehin abends in der „Tagesschau“ oder am nächsten Morgen in den Printmedien Thema sein würde.
Damit setzt er vortrefflich die Reihe hochrangiger Politiker fort, die allesamt Verschleierungstaktiken mit Krisenmanagement verwechselten. Die meisten mussten zum Ende doch abtreten. Dazu gehörte Uwe Barschel als CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein wegen der Bespitzelung seines Kontrahenten Engholm und Helmut Kohl als CDU-Ehrenvorsitzender wegen der schwarzen Kassen. Gerhard Glogowski, dem SPD-Ministerpräsidenten von Niedersachsen, machten Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungen den politischen Garaus, und SPD-Mitglied Welteke musste seinen Abschied als Bundesbank-Chef nehmen, weil er sich von der Dresdner Bank eine Luxussuite bezahlen ließ und so in den Verdacht der Vorteilsannahme geriet. Hermann-Josef Arentz schließlich ging als Boss der christdemokratischen Arbeitnehmer – wegen Raffgier.
Da ist die Empörung nicht verwunderlich, als jüngst Abgeordnete angeblich bei der Vergabe von Eintrittskarten zur Fußballweltmeisterschaft bevorzugt werden sollten. Das WM-Organisationsteam hat zwar klargestellt, dass die Volksvertreter lediglich Kartenwünsche äußern können, ohne Garantie und ohne die Gewährung von Vorzugspreisen. Doch der öffentliche Wutausbruch über diese vermutete Selbstbedienung ist nur vor dem Hintergrund der Meyer-Debatte zu sehen – die Bürger trauen den Politikern derzeit alles zu.
Gutes Krisenmanagement bleibt in der Politik weitgehend Fehlanzeige. Dabei fußt die Bewältigung eines Ausnahmezustandes auf einfachen Weisheiten. Punkt 1: Sei ehrlich, denn die beste Krise ist die, die erst gar nicht entsteht. Punkt 2: Wurde Punkt 1 vernachlässigt und ist eine Krise eingetreten, dann kläre lückenlos auf. Punkt 3: Triff eine Sprachregelung und bestimme, wer sich in der Öffentlichkeit erklärt – weil ein vielstimmiger Chor im Krisenmanagement unweigerlich zur Katastrophe führt. Und Punkt 4: Schaffe bei betroffenen Teilöffentlichkeiten Vertrauen, also bei recherchierenden Medienvertretern, verunsicherten Mitarbeitern oder beunruhigten Sponsoren.
Ein Grundsatz des Krisenmanagements lautet: Bedenke die Folgen vom Ende her. Will heißen: Jeder, der in der Öffentlichkeit steht, sollte von sich aus die Flucht nach vorn antreten, wenn er Dreck am Stecken hat. Das können Vorsitzende durchaus ihrer engeren und weiteren Umgebung abverlangen.
Eine illusorische Vorstellung? Mitnichten, wie das Beispiel von Bernard Kerik zeigt. US-Präsident Bush wollte ihn zum Heimatschutzminister machen. Doch Kerik hatte für ein Kindermädchen Steuern nur teilweise bezahlt. Während in deutschen Parlamenten und Parteizentralen der Glaube herrscht, dass so was schon nicht herauskommt, hat Kerik vorbildlich gehandelt. Er teilte von sich aus mit, dass er das Ministeramt nicht antreten kann. Binnen kürzester Zeit ist er mit dieser Vorgehensweise aus den Schlagzeilen verschwunden, und der Präsident blieb von dem Vorgang unberührt – was man im Fall Meyer von Angela Merkel nicht behaupten kann.
Die PR-Berater haben hier eine große Verantwortung. Wenn ein Fernsehmann oder eine Magazinfrau in einem Abgeordnetenbüro anruft und scheinbar arglos danach fragt, wie es der Parlamentarier denn mit dienstlich erworbenen Flugmeilen hält, dann müssen auch dessen Berater ihren Chef nach der Wahrheit fragen. Und er muss ihnen ehrlich antworten. Denn die anfragenden JournalistInnen sind oft schon im Besitz der Wahrheit, befinden sich in der Endphase ihrer Recherchen und suchen nur noch die Bestätigung. Vertuschungsversuche oder das Kleinreden eines Vorgangs haben da längst keinen Sinn mehr.
Was also wäre Angela Merkel konkret zu raten, wenn die nächste Affäre droht? Wer eine Krise managt, muss agieren, nicht reagieren. Damit geht einher, dass alle „Doppelverdiener“ wie Arentz und Meyer die Rechtmäßigkeit ihrer Einkünfte prüfen und das Ergebnis schriftlich erklären. Da reicht eine Anweisung der Partei- und Fraktionsvorsitzenden – mit Fristsetzung.
Liegt das Ergebnis vor, wird die Öffentlichkeit informiert. Dies nicht nur in dem Fall, dass alles zum Besten steht. Sondern auch, wenn es weitere Verfehlungen geben sollte. Die Vorsitzende würde damit Führungsstärke zeigen und kann zu Recht für sich den Part der Aufklärerin, gepaart mit Durchsetzungskraft, in Anspruch nehmen.
Der Hinweis auf das Steuergeheimnis kann hier im Übrigen nur bedingt gelten. Die betreffenden Politiker müssen ihrer Vorsitzenden und der Öffentlichkeit ja keine Zahlen und Fakten nennen. Sofern alles in Ordnung ist, reicht die Abgabe einer Ehrenerklärung. Sofern sie wahrheitswidrig abgegeben wurde und die Medien das herausfinden, hat der Lügner das Problem, nicht die Vorsitzende.
Romantische Vorstellungen über das Innenleben einer Partei? Der Fall Arentz hat gezeigt, dass jede, aber auch jede Verfehlung mindestens einen Zeugen hat. Und es ist völlig egal, um welche Partei es sich handelt – überall können Partei„freunde“ einander ans Messer liefern. Die bayerische Kulturministerin Monika Hohlmeier kann dafür trefflich als Zeugin fungieren. Im Münchner CSU-Vorstand fuchtelte sie mit einem Schnellhefter herum und kündigte an, brisantes Material aus dem Privatleben missliebiger Parteifreunde öffentlich machen zu wollen. Sie bestreitet das, doch mindestens fünf Zeugen waren anwesend.
So war die „Dossier-Affäre“ geboren, und es ist anzunehmen, dass die Strauß-Tochter, anders als Meyer, diese Woche im Amt nicht überleben wird. Und auch in Nordrhein-Westfalen hat es sich im Fall Arentz gezeigt, dass es bei „Geheimnisverrat“ oft nicht mal um das Ob geht, sondern allenfalls um das Wann – zum Beispiel vor Abstimmungen. Und in Nordrhein-Westfalen wird im kommenden Jahr ein neuer Landtag gewählt.
Die Hoffnung allerdings, dass etwas nicht herauskommt, stirbt nie. Auch hierfür gibt es Beispiele, etwa das nie belegte Gerücht der Bestechlichkeit der unionsgeführten Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Verkauf der Leuna-Raffinerie. Vielleicht ist wirklich nichts dran. Doch halt, da sitzt ja noch jemand in einem Pariser Gefängnis und wartet auf seine Ausweisung nach Deutschland: Holger Pfahls, der jahrelang untergetauchte Exstaatssekretär, dessen Aussage Licht in das Dunkel bringen könnte. Weiß Pfahls etwas, was er ausplaudern könnte, um seine Strafe zu mildern? Wenn ja, dann wissen das die damals handelnden Personen. Man darf gespannt sein, wie gut ihr Krisenmanagement dann sein wird. HOLGER DOETSCH