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Archiv-Artikel

Warten auf den syrischen Frühling

AUS DAMASKUS BEATE SEEL

Diana Jabour ist Redakteurin. Sie arbeitet bei der staatlichen syrischen Zeitung Al Thaura – „Die Revolution“ und ist verantwortlich für die Ressorts Kultur, Soziales und Sport. Und sie betreut die Sonderseiten. Wie jetzt: Jabour möchte eine Debatte über das Thema „Nützlichkeit der Fortschrittlichen Nationalen Front“ organisieren, einer realsozialistischen Bündnisorganisation der seit 1963 in Syrien herrschenden Baath-Partei.

Ein Thema, das vor wenigen Jahren noch tabu war. Auf der ersten geplanten Seite sollen Repräsentanten der in der Front vertretenen Parteien zu Wort kommen: zwei kommunistische und drei nasseristische. In der Woche darauf sollen sich Personen äußern, die nicht Parteimitglieder, „aber von der Staatsmacht anerkannt“ sind. Gerade hat sie versucht, den oppositionellen Publizisten Michel Kilo für einen Beitrag zu gewinnen. Kilo, ein engagierter Demokrat, saß in den Achtzigern für seine Überzeugungen im Gefängnis. „Früher wusste man, wo die journalistischen Grenzen sind“, sagt Jabour. „Jetzt nicht mehr. Man wagt einen Schritt – manchmal klappt es, manchmal nicht.“ Jabour ist offensichtlich bereit, auszutesten, wo die neuen Grenzen verlaufen.

Damaskus im Dezember

Die Frauenrechtlerin Sawsan Zakzak, 42, hat sich ein Stück weiter von „Revolution“ und Staat entfernt. Sie ist Mitglied des Sekretariats der „Syrischen Frauenliga“, einer Organisation, die einst von einer der beiden kommunistischen Parteien gegründet wurde, inzwischen aber, wie Zakzak sagt, zahlreiche unabhängige Mitglieder hat. Seit im Juli 2000 der 39-jährige Baschir al-Assad seinen verstorbenen Vater Hafis al-Assad an der Spitze des Staates abgelöst hat, sieht sie mehr Möglichkeiten, Verbesserungen für Syriens Frauen zu erreichen. „Wir haben jetzt eine gute Zusammenarbeit mit den Regierungsinstitutionen“, sagt die ehemalige Lehrerin, die jetzt als Sozialforscherin arbeitet.

Derzeit fährt die Liga eine Kampagne für ein geändertes Staatsbürgerrecht: Mit Ausländern verheiratete Frauen sollen künftig ihre Nationalität an ihre Kinder weitergeben können. Gemeinsam mit anderen, auch religiös-muslimischen, Frauengruppen traf sich die Liga im Mai mit 50 Parlamentariern. 35 von ihnen hätten ihr Anliegen unterstützt, so Zakzak. Nun sei ein neues Gesetz in Vorbereitung, das hoffentlich bald verabschiedet werde.

Damaskus, eine Woche im Dezember: Am Samstagabend trifft sich eines der noch tolerierten Diskussionsforen. Redner ist ein Student und ehemaliger politischer Gefangener. Vier Tage später lädt die griechisch-katholische Kirche in Abu Rummane, einem Stadtteil von Damaskus, zur Diskussion mit einem schiitischen Scheich, der den Dialog zwischen Muslimen, Christen und Juden stärken will. Am Morgen darauf findet vor dem Parlamentsgebäude eine Kundgebung ehemaliger politischer Gefangener statt, die die Freilassung ihrer Mithäftlinge fordern. Die Polizei löst die Versammlung auf, einige Personen werden festgenommen, aber gleich darauf wieder freigelassen. Früher wären sie dafür jahrelang hinter Gittern verschwunden. Kein Zweifel, in Syrien tut sich etwas. Aber nicht allen reicht das. Viele Hoffnungen, die sich mit Assads Amtsantritt 2000 verbanden, wurden seither enttäuscht. Die meisten Diskussionsclubs, die sich damals bildeten, wurden im Sommer 2001 wieder geschlossen, ihre Initiatoren verhaftet, teils zu hohen Haftstrafen verurteilt. Eine Ernüchterung für alle, die auf einen „syrischen Frühling“ gehofft hatten.

Doch Michel Kilo ist optimistisch: „Die Lage ist akzeptabler geworden, die Menschen mutiger. Die starke, harte Hand der Geheimdienste ist lockerer geworden, und die Möglichkeit, sich frei zu äußern, größer.“ Kilo setzt auf die „Rückkehr des Politischen“, auf Basisinitiativen, deren Mitglieder ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen – ohne Partei, Zentralkomitee und Politbüro. Die Frage nach einem Sturz des Regimes stellt sich für ihn heute nicht mehr. „Sie können an der Macht bleiben, solange sie wollen“, sagt er, „vorausgesetzt, sie fangen an, die Probleme des Landes zu lösen, die sie schließlich selbst mit verursacht haben. Und da wir nicht sicher sind, dass sie das können, möchten wir mit dem Regime diskutieren. Und wir wollen dafür nicht mehr ins Gefängnis gehen.“

Die drängenden Probleme, die Kilo meint, sind wirtschaftlicher und sozialer Natur. Da ist zunächst einmal die schnell wachsende Bevölkerung. Syrien zählt heute 17 Millionen Einwohner, 1974 waren es noch sieben Millionen. 79 Prozent von ihnen sind jünger als 34 Jahre, eine Million junger Leute unter 25 arbeitslos. Der Chefredakteur von Al Thaura, Fayez al-Sayegh, nennt als drängendste Probleme denn auch Einkommen, Preise, Wohnung und Transport.

DDR-Modell im Umbruch

Neben dem Amtsantritt Assads hat sich allerdings auch vieles durch die internationale Lage verändert – nicht nur durch den Irakkrieg, den Regimekritiker als „Katastrophe“ für die Oppositionsbewegung bezeichnen. Mit dem Niedergang der Sowjetunion ist das Regime, das nach dem Modell der DDR aufgebaut war, objektiv in eine Umbruchsituation geraten. Eine Einsicht, die sich auch in Parteikreisen herumgesprochen hat.

Für Informationsminister Mehdi Dakhlallah hat sich das politische Systems schon gewaltig geändert. Als Beispiel nennt er die Privatisierung ganzer Wirtschaftszweige, politisch setzt er auf die Reformkräfte innerhalb der Baath-Partei. Im Frühjahr sei ein Kongress geplant, und es sei die Rede davon, dass sich die Partei in eine sozialdemokratische Organisation umwandeln werde. „Wir haben den Willen zur Veränderung und wären froh, wenn die Welt uns dabei helfen würde“, sagt Dakhlallah.

Kilo ist da skeptisch. „Kein Mensch weiß, wie die Baath-Partei sich neu organisieren möchte. Die Partei sagt nichts über sich selbst, das Regime auch nicht. Man weiß erst, was sie machen, wenn sie es tun. Und dann tun sie so, als hätten sie die ganze Zeit über nichts anderes geredet.“ Eine Einschätzung, die der Anwalt und Menschenrechtsaktivist Haitham Maleh, 73, teilt. Er spricht von „leeren Worten“. Sicher, die Lage sei unter Baschir al-Assad „weniger schlecht“. Aber wirklich geändert habe sich nichts. Er erinnert an die 15.000 in den Achtzigerjahren „Verschwundenen“, deren Schicksal bis heute nicht aufgeklärt sei. Maleh saß damals sieben Jahre im Gefängnis, erst kürzlich konnte er nicht nach Paris fliegen, um den Menschenrechtspreis der französischen Regierung entgegenzunehmen.

Der Präsident hat zwar gewechselt, aber das System, das Machtgefüge aus Partei, Geheimdiensten und Militär, ist noch da. Einige Gesprächspartner sehen Assad denn auch als Gefangenen dieses Systems. „Reformen bedeuten einen reformorientierten Staatsapparat. Aber ein korrupter Staat, der Reformen einleitet, um dann selbst zum Objekt dieser Reformen zu werden – das wird er nicht machen“, fasst Kilo die Lage zusammen. „Baschir sollte sein Bündnis mit den Korrupten auflösen, sonst wird er die ganze Zeit wie die Opposition reden, aber nichts tun können.“