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Archiv-Artikel

Grüne schweben über den Wolken

Die Partei legt ein Konzept für Tempelhof nach der noch ungeklärten Schließung vor. Das grüne Wünsch-dir-was entsorgt auf dem Noch-Flugfeld gleich vier Projekte, die anderswo für Streit sorgen

„Es muss ja nicht immer alles so perfekt sein“

VON STEFAN ALBERTI

Manchmal muss man einfach einen Kontrapunkt setzen. Wider den Zeitgeist. Wie es die Grünen jetzt beim Flughafen Tempelhof tun. Derzeit spricht wenig dafür, dass der Flughafen kurzfristig geschlossen wird. Die Grünen aber legen jetzt schon ein Grobkonzept vor, wie das Flugfeld und das gigantische Flughafengebäude, das größte Europas, nach einer Schließung zu nutzen sind. Ihr Vorschlag entsorgt, kleiner Nebeneffekt, vier umstrittene Projekte nach Tempelhof – und bringt Berlin eine Bundesgartenschau.

Tempelhof sorgt seit Jahren für skurrile Vorschläge: Auerochsen oder Büffel sollten auf dem Flugfeld grasen. Ein „Wiesenmeer“ sollte es geben. Und die Love Parade von der Straße des 17. Juni dorthin ausweichen. Die Grünen bastelten gestern ein Puzzle aus mehreren Ideen. Denn wieso muss es am Gleisdreieck Zoff um ein weltgrößtes Riesenrad geben? Tempelhof bietet gleich zwei Alternativstandorte, jedenfalls für Claudia Hämmerling, die grüne Stadtentwicklungspolitikerin: entweder direkt am Flughafengebäude oder am Südrand.

Gleiches soll für Probleme mit einem Tivoli-Vergnügungspark gelten, den Investoren im Treptower Plänterwald errichten wollen. Auch der soll nach Tempelhof, an die S-Bahn-Strecke. Damit da auch jemand hinkommt, soll ein zusätzlicher Bahnhof „Oderstraße“ her. Der ist laut Hämmerling bereits im offiziellen Flächennutzungsplan vorgesehen. Geschätzte Kosten für eine einfache Variante: rund 8 Millionen Euro. Woher die kommen sollen, haben die Grünen noch nicht durchgerechnet.

Und Stress mit Wohnmobilen auf dem Schlossplatz? Auch sie kann sich Hämmerling in Tempelhof vorstellen. Direkt an S-Bahn und Stadtautobahn – komplette Ruhe gebe es sowieso in innerstädtischen Lagen nicht, die Camper würden das akzeptieren.

Letztlich könnte Tempelhof nach Grünen-Vorschlag jene Enttäuschten aufnehmen, die bislang vergeblich vom autofreien Wohnen träumten. Die das an der Chausseestraße in Mitte vorleben wollten, aber verzichten müssen, weil der Bundesnachrichtendienst dorthin will. Südlich des Verwaltungsgebäudes will Hämmerling sie unterbringen, durch Einzelhandel- und Gewerbegebäude vom Lärm des Tempelhofer Damms geschützt.

Das Innere des Geländes wollen die Grünen zu einem sich selbst überlassenen großen Volkspark für Spaziergänger, Skater (auf den Rollbahnen) oder Radler machen – bis auf einen von Hecken oder Stämmen abgetrennten Mittelkreis. Dort soll die von Naturschützern laut Hämmerling sehr geschätzte Flora und Fauna des Gebiets so bewahrt werden wie jetzt.

Was nach einer grünen Version von „Wünsch dir was“ wirkt – im Norden des Flugfelds sieht Hämmerling Chancen für eine Bundesgartenschau –, haben die Berliner Grünen in ihrer zuständigen Landesarbeitsgemeinschaft intensiv diskutiert. Für kostengünstig und pragmatisch hält Hämmerling den Vorschlag: „Es muss ja nicht immer alles so perfekt sein.“ Eine öffentliche Diskussion über die Tempelhof-Nachnutzung will sie starten – und erst gar nicht den Gedanken keimen lassen, das werde nichts mehr mit der Schließung.

Nach Plänen des rot-roten Senats hätte Tempelhof zum 31. Oktober dichtmachen sollen. Zuvor hatte die Luftfahrbehörde die Betriebspflicht aufgehoben. Damit hätte Berlin den Flughafen auf Eis gelegt, aber immer noch die Genehmigung gehabt, in irgendwann wieder aufzumachen. Ihn dauerhaft und ohne Hintertürchen zu schließen, dazu hatte sich der Senat nicht durchringen können.

Doch aus dem 31. Oktober wurde nichts. Airlines klagten gegen die Entscheidung der Luftfahrtbehörde – und bekamen im September vorerst Recht: Bis zu einem abschließenden Urteil darf der Flughafen nicht dichtmachen. Im Januar wollen die Grünen den Senat drängen, ihn sofort und komplett zu schließen – ohne Hintertürchen.