piwik no script img

Archiv-Artikel

Mit Zwang zum Glück ins Allgäu

Ist es sinnvoll, ein Heim für kriminelle und sich prostituierende Mädchen außerhalb Hamburgs zu schaffen oder verschärfen sich dadurch nur die Probleme der Kinder? Christiane Blömeke (GAL) und Klaus-Peter Hesse (CDU) im taz-Streitgespräch

Moderation:Kaija Kutter

taz: Wann und wo bekommt Hamburg ein Heim für kriminelle und sich prostituierende Mädchen?

Klaus-Peter Hesse: Wir als CDU-Fraktion wünschen uns das so schnell wie möglich. Es liegt ein Angebot der Rudolf-Ballin-Stiftung vor, das wird geprüft.

Was nützt so ein Heim?

Hesse: Es ist kein Heim in Sinne einer geschlossenen Unterbringung. Wir wollen, dass Mädchen, die sich ins Milieu begeben, deren Kindeswohl gefährdet ist, fernab von Hamburg zu sich zu kommen. Die Mädchen sollen dort ihre bis dahin gemachten traumatischen Erfahrungen überwinden und eine Perspektive finden.

Christiane Blömeke: Wir haben eine kleine Anfrage gestellt, demnach gibt es neun kriminelle Intensivtäterinnen. Wären diese ein Klientel für dieses Heim?

Hesse: Ein mögliches auf jeden Fall. Die Zahl neun ist aber nicht die relevante. Wir haben in Hamburg eher 90 Mädchen, die bereits beim Familieninterventionsteam (FIT) als gefährdet gemeldet sind.

Blömeke: Sie wollen also in diesem Heim junge Prostituierte und auch kriminelle und schwer kriminelle Mädchen unterbringen. Diese Art Sammelhilfe lehnen wir ab. Sie behaupten, dass diese Gruppen ähnliche Biographien hätten. Das stimmt nicht. Junge Prostituierte sind meist in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden und haben ein gestörtes Körpergefühl. Junge Kriminelle haben einen ganz anderen familiären Hintergrund.

Wo liegt die Gefahr?

Blömeke: Beide Gruppen könnten sich negativ beeinflussen. Es könnten neue Opfer-Täter-Beziehungen entstehen. Wir erreichen mehr, wenn wir für jede Gruppe eigene, getrennte Angebote gestalten.

Hesse: Junge Prostituierte und kriminelle Mädchen haben alle traumatische Erlebnisse. Die einen können sexuell missbraucht worden sein, andere haben körperliche Gewalt erfahren. Das bestätigt auch der Bericht der Enquete-Kommission Jugendkriminalität von 1999.

Blömeke: Und kommt zu dem Ergebnis, dass diese Gruppe unterschiedliche Hilfe brauchen!

Hesse: Jeder Mensch braucht eine auf ihn zugeschnittene Hilfe. Aber es gibt Gemeinsamkeiten. Sie kennen alle keinen regelmäßigen Tagesablauf, keine Kontinuität und waren früh auf sich gestellt. Egal ob kriminelle oder sich prostituierende Mädchen, diese Defizite bestehen bei beiden. Wir brauchen eine Hilfe im frühpräventiven Bereich, bevor sich die Mädchen in der Szene verfestigen. Was wir heute anbieten, sind nur auf Freiwilligkeit basierende Maßnahmen.

Blömeke: Eine auswärtige Unterbringung birgt Probleme. Sie reißen die Mädchen aus ihrem sozialen Netz und ihren Beziehungen. Wenn sie zurückkommen, sind sie nicht gefestigt für das, was sie hier erwartet. Besser wäre es, die Mädchen in ihrem Stadtteil in ausstiegsorientierten Wohungen zu betreuen. Es gibt erfahrene Träger, die an so etwas arbeiten.

Hesse: Diese Wohnungen bringen nichts. Ambulante Hilfe vor Ort ist richtig und gut. Die CDU steht hinter dem „Kids“ am Hauptbahnhof und „Café Sperrgebiet“ in St. Georg. Die machen eine super Arbeit. Bei den Wohnungen kann sich das Elend verfestigen. Wenn die szenenah sind, können sie benutzt werden, um Freier zu treffen oder Drogen zu nehmen.

Blömeke: Sie loben das Sperrgebiet, aber trauen den dortigen Sozialarbeiterinnen nichts zu. Das Elend kann sich im Allgäu ganz genauso fortsetzen. Egal, wo junge Prostituierte hingehen, Freier sind auch im Allgäu.

Hesse: Der Zuhälter fährt nicht ins Allgäu.

Blömeke: Vielleicht sind sie diesem Milieu etwas fern.

Hesse: Ein Glück.

Blömeke: Es wäre aber hilfreich, wenn sie gucken, was wirklich läuft. Es mag Fälle geben, wo ein Mädchen sagt, sie will da freiwillig hin. Das wäre ok. Aber unter Druck und Zwang geht nichts.

Hesse: Sie lassen Kinder in ihrem Elend. Sie wollen Wohnungen, wo sich sowas verfestigt.

Blömeke: Da würde sich nichts verfestigen. Da leben Sozialarbeiterinnen mit. Diese Mädchen müssen Vertrauen fassen, am besten im Stadtteil.

Hesse: Nein.

Blömeke: Und gerade bei diesen Projekten kürzen sie Geld. Stattdessen sind sie von einem Aktionismus getrieben, irgendwo ein Heim zu schaffen, wo sie möglichst weit weg alle diese Mädchen unterbringen.

Hesse: Und Sie tun nichts, bevor ein Mädchen sich freiwillig helfen lässt.

Blömeke: Aber die Mädchen von der Polizei aufgreifen zu lassen, ist keine Lösung. Sie erreichen sie nicht, wenn sie nicht innerlich dazu bereit sind, Hilfe anzunehmen.

Hesse: Es ist Staatspflicht, einzuschreiten, wenn sich eine Zwölfjährige prostituiert.

Wie setzen Sie den Zwang durch? Das ist ja schon in der Hamburger Feuerbergstraße nicht leicht. Dort liefen bereits 20-mal Jungen weg.

Hesse: Natürlich werden Mädchen, die aus ihrem sozialen Milieu genommen werden, sich wehren und nicht glücklich sein. Das ist mir politisch erst mal egal. Die Einrichtung muss die Verbindlichkeit herstellen. Es gibt da einen Unterschied zu Jungen, Mädchen sind besser erreichbar. Es gab ja bereits in Hamburg einen prominenten Fall eines gewälttätigen Mädchen. Die wurde in Schleswig-Holstein verbindlich untergebracht und konnte sich dort stabilisieren.

Es gibt also bereits brauchbare Angebote für gewalttätige Mädchen.

Hesse: Richtig. Selbst für diesen Fall wurde eine passende Einrichtung gefunden. Das heißt aber nicht, dass für die minderjährigen Prostituierten geeignete Plätze vorhanden sind. Die kann ich nicht in die Einrichtung schicken, wo dieses Mädchen war.

Blömeke: Das ist ein Widerspruch. Im Allgäu wollen Sie junge Prostutierte und schwer kriminelle Mädchen zusammentun.

Hesse: Nein. Ich sagte nur, dass unter diesen neun Täterinnen eventuell Mädchen passen.

Blömeke: Aber das Mädchen, von dem sie hier sprechen, war eine von den neun.

Gibt es im Allgäu Mauern und abgeschlossene Türen?

Hesse: Nein. Es ist keine geschlossene Einrichtung im juristischen Sinn, da gibt es Auflagen. Die Mädchen sollten sich aber nicht in den nächsten Bus setzen und abdüsen können. Man muss sie über einen hohen Personalschlüssel erreichen.

Blömeke: Ich frage mich, wie Sie das erreichen wollen. Die Einrichtung soll billiger sein als die Feuerbergstraße und selbst da reicht es nur für einen Pädagogen pro Schicht. Ohne Geld fürs Personal kann die Verbindlichkeit nicht hergestellt werden. Ich kann nur hoffen, dass der Träger das Konzept anders ausfüllt.

Hesse: Dann wird die Einrichtung von uns nicht belegt.

Blömeke: Sie möchten unbedingt den Zwang durchsetzen.

Hesse: Wenn wir auf Freiwilligkeit setzen, kapitulieren wir vor dem Problem der Straße.

Blömeke: Quatsch. Sie sollten auf die Sozialarbeiter hören, die im Milieu arbeiten. Die sagen, mit Zwang erreichen sie die Mädchen nicht im Inneren.

Hesse: Es gibt Mädchen, die sagen, ich bin jung, ich seh gut aus, warum soll ich einen Ausstieg machen? Ich fühl mich nicht unglücklich. Diesen helfen wir, auch wenn sie nicht wollen.

Blömeke: Sie können sie doch nicht zwangsbeglücken.

Hesse: Eine Zwölfjährige werde ich zwangsbeglücken.

Blömeke: Diese Mädchen haben ihr Leben lang Druck und Gewalt in ihrer Familie erlebt.

Hesse: Deswegen dulde ich nicht, dass das noch weiter läuft.

Blömeke: Sie spielen sich als Retter auf, aber helfen tun Sie damit nicht. Das ist anmaßend.

Hesse: Ich rette nicht, ich sorge als Politiker nur für die Rahmenbedingungen und das Geld, damit Konzepte erstellt werden, die retten.

Blömeke: Nicht genug Geld, fürchte ich. Ich hoffe, dass es nicht im Sinne guter Jugendhilfträger ist, Ihre Vorstellungen zu verwirklichen.