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Archiv-Artikel

in fußballland Jede Menge Spaß im Fahrstuhl

CHRISTOPH BIERMANN über den zivilisatorischen Fortschritt in den Fankurven, wo neuerdings ein entspannter Galgenhumor gepflegt wird

Wenig hätte mich mehr verwundern können, als die Momente des Jahres in seltsamer Ähnlichkeit gerade an jenen beiden Orten zu erleben, die in meinem Leben zwar eine besondere Rolle spielen, ansonsten aber wenig miteinander zu tun haben. Eigentlich würde ich sogar sagen, dass Köln und Bochum für gegenteilige Konzepte stehen. Trotzdem hatte ich in den dortigen Fußballstadien genau jene Erlebnisse, die man zwischendurch braucht, um mit dem Fußballspiel in friedliche Balance zu kommen.

Seit gut einem Dutzend Jahren lebe ich in Köln und würde trotzdem nicht behaupten wollen, die Seele der Stadt verstanden zu haben. Eine Zeit lang hatte ich gedacht, dass ich Köln und die hiesige Hybris durch den nicht zufällig 1. FC genannten Fußballklub der Stadt verstehen würde. Man kann Belege dafür nämlich fast täglich finden, wenn man in lokalen Zeitungen der Berichterstattung um den 1. FC Köln folgt. Sie bringt sportliche Erwartungen zum Ausdruck, die in aller Regel mindestens eine Nummer zu groß sind, und die Vereinsführung um Wolfgang Overath scheint es nicht eben anders zu sehen.

Doch mit der Seele des kölschen Fußballs hat das wenig zu tun, denn längst haben sich sportlicher Erfolg und die Begeisterung des Publikums voneinander abgekoppelt. In der Hinrunde dieser Saison, die der 1. FC Köln in der zweiten Liga auf einem Aufstiegsplatz beschloss, wurde das erstmals auch ausdrücklich formuliert. „Erst steigen wir ab, dann steigen wir wieder auf, dann steigen wir wieder ab, dann steigen wir wieder auf“, sang die Südkurve im Stadion zu Müngersdorf zur Melodie von „Polonaise Blankenese“ und sprang dazu auf und ab. „Das finden wir lustig, weil wir bescheuert sind“, wurde der Gesang beendet. Das war wirklich lustig und fast schon weise zu nennen, weil der 1. FC Köln in den letzten Jahren eben ein Fahrstuhlklub geworden ist, das Publikum aber einfach beschlossen hat, bei den Fahrten im Lift seinen Spaß zu haben.

Eigentlich wollte ich das schon als Ausdruck von rheinischem Frohsinn oder der Karnevalisierung des Lebens in der Domstadt erklären, als ich im Bochumer Ruhrstadion während des mit 1:2 gegen den Hamburger SV verlorenen Bundesligaspiels kurz vor Weihnachten die Fans in der Ostkurve singen hörte: „Erst steigen wir auf, dann steigen wir ab und zwischendurch Uefa-Cup.“ Nicht minder heiter als in Köln klang das, und das verwunderte mich sehr, denn Bochum ist mitten im erdschweren Ruhrgebiet nicht gerade die Heimat von Leichtigkeit und Selbstironie. Ich weiß das, denn ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen. Doch offensichtlich hatten auch die Fans des VfL ihren Frieden damit geschlossen, dass ihre Mannschaft kleine Abenteuer im internationalen Fußball mit Abstiegsgefahr bezahlen muss. So war es vor einem halben Jahrzehnt gewesen, und so wiederholt es sich nun offensichtlich.

Das Tolle daran war, dass die Erkenntnis weder in Köln noch in Bochum als Beschwerde vorgebracht wurde. Niemand verbrannte dazu Fahnen, beschimpfte die Spieler oder verhöhnte den Vorstand. In Köln ertrugen zehntausende regelmäßig weitgehend langweiligen Fußball und sorgten halt selbst für den Spaß. In Bochum applaudierten die Fans zum wiederholten Mal abgekämpften Verlierern und feierten sogar den Trainer. Daraus sprach Trotz und Galgenhumor, es steckte in diesem Verhalten jedoch zudem eine Entspanntheit, die nicht mit Gleichgültigkeit zu verwechseln ist.

Mir kam es jedenfalls wie zivilisatorischer Fortschritt vor, dass Fankurven inzwischen zu solch komplizierten Kollektiväußerungen in der Lage sind. Tausende von Menschen bringen eine heikle Situation gemeinsam auf den Punkt, ohne dabei stumpf zu sein. Wer hätte gedacht, dass so etwas mal möglich sein würde! Humor in dieser Form gibt den Menschen überdies Würde, und das ist schließlich nicht minder erfreulich.

Kurzum: tolle Sache, das! Nur sollte sie nicht zu einem nun scheinbar nahe liegenden Missverständnis führen, denn über die Besetzung der Trainerbänke in Köln und Bochum müsste man schon noch einmal genauer nachdenken.