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Archiv-Artikel

Für die Kinder vom Kölnberg

Mit einem Teil seines Gewinns finanziert die Bioladen-Kette Basic einen Mittagstisch für bedürftige Kinder in der Meschenicher Hochhaussiedlung. Zwei Mal pro Woche gibt es eine warme Mahlzeit

von Ruth Helmling

Birgit Thielen steht in der Küche und macht Nudelauflauf. Anderthalb Kilogramm, 750 Gramm Rinderhack, Tomatensoße, Zwiebeln und Käse verarbeitet sie zu einem Mittagessen für 14 Schulkinder. Wenn die Kinder vom Kölnberg nach der Schule bei „Wohnung 107, Haus 10“ klingeln, haben sie Hunger. Seit anderthalb Monaten kocht die Leiterin des Kinder-und Jugendprojekts in Köln-Meschenich montags und donnerstags zusammen mit Safire Gedik und zwei Ehrenamtlichen eine warme Mahlzeit für die 6 bis 16 Jahre alten Kinder und Jugendlichen.

Der „Mittagstisch am Kölnberg“ ist eines von zehn „Hunger in Deutschland“-Projekte der gemeinnützigen Organisation „Children for a better world“. Acht der zehn Projekte unterstützt die Basic AG mit einem Cent pro Einkauf. Das Bioladen-Unternehmen mit einer Filiale in Köln hat so insgesamt 20.000 Euro für dieses Quartal vom Gewinn abgezweigt. Für Birgit Thielen heißt das, 750 Euro in 24 Mahlzeiten für 14 ausgehungerte Schulkinder zu verwandeln. „Für uns reicht das super“, erklärt die 48-Jährige.

Halb zwei mittags. In der Drei-Zimmer-Wohnung im ersten Stock riecht es nach Nudeln und überbackenem Käse. Die Türklingel hat Hochbetrieb. Zemiha, eine 12-Jährige mit dicken braunen Haaren, ruft ein „Hallobirgit“ in die Küche und lässt ihren Schulranzen in die Ecke fallen. Der 9-jährige Firat holt die bunten Plastikbecher aus dem Schrank und stellt einen nach dem anderen auf die lange Tafel im Wohnzimmer. Wenige Augenblicke später sitzen hier Gymnasiasten neben Hauptschülern, Kinder neben Jugendlichen, Türken neben Iranern, Muslime neben Christen und unterhalten sich über die Wichtelgeschenke für die Weihnachtsfeier am Nachmittag. Nebenbei räumen sie das Blech Nudelauflauf leer.

Die meisten „ihrer“ Kinder kennt Birgit Thielen schon von klein auf. Seit 13 Jahren arbeitet sie als Sozialpädagogin auf dem Kölnberg. 4.000 Menschen aus 60 Nationen wohnen in der Hochhaussiedlung zwischen Köln und Bonn, drei von vier sind Ausländer. Die Arbeitslosigkeit liegt deutlich über 20 Prozent. Unzählige Antragsformulare für Arbeitslosengeld II ist die Sozialpädagogin in ihren Beratungsstunden mit den Erwachsenen durchgegangen.

Hier wird mitteleuropäisch gekocht. „Da ist dann schon mal was dabei, was sie nicht kennen“, sagt Thielen. Von Zuhause seien die Kinder die Küche ihrer Herkunftsländer gewohnt. „Wenn ich sie fragen würde, was sie essen wollen, gäb‘s jeden Tag Pizza oder Nudeln“, lacht Thielen. Zum Nachtisch gibt‘s heute Kiwis.

Jemand ruft Birgit auf den Balkon. Unter dem altgelb gestrichenen Betonkasten steht Tugay und reicht ihr seine Bio-Hausaufgaben. „Und was ist mit der Geschichtsarbeit?“, fragt Birgit Thielen und sieht mit ihrem dunklen Kostüm und der Brille, die die glatten schwarzen Haare zurückhält, plötzlich aus wie eine strenge Lehrerin. Tugay schaut verlegen in den Himmel und sagt dann: „In der Schule vergessen“.

Hausaufgabenbetreuung ist eine der wichtigsten Aufgaben. Vor allem sprachlich sieht Thielen „ziemliche Defizite“. Oft könnten die Eltern die Hausaufgaben nicht kontrollieren – der Sprache wegen. Thielen kann ein bisschen Türkisch, aber „man traut mir mehr zu, als ich kann“, meint sie mit einem Lachen.

Das Sponsoring ist vorläufig auf zwei Jahre festgeschrieben und neu für Betreuerin Thielen. Auch Basic macht „so etwas zum ersten Mal“, erklärt Pressesprecherin Silvia Raabe. Für die Kinder vom Kölnberg heißt das, dass sie den Kunden und Mitarbeitern des Bioladens nun auch zeigen sollen, wer sie sind. Gemeinsam haben sie eine Infotafel über ihr Zuhause und den Mittagstisch gestaltet. Und als Weihnachtsüberraschung haben sie vier Stunden lang Berge von Plätzchenteig durch den Fleischwolf gedreht. 30 Tüten haben sie abgefüllt, den Jüngsten als Nikolaus ausstaffiert und die selbstgebackenen Weihnachtsplätzchen im Bioladen in der Venloer Straße vorbeigebracht. Als Thielen zurückkam, hatten die Jungs die Küche schon aufgeräumt. „Wenn man sie in die Verantwortung nimmt, sind sie eine bärenstarke Truppe“, schwärmt sie. Die Multikultiwelt in „Wohnung 107, Haus 10“ ist in Ordnung. Aber Birgit Thielen weiß aus Erfahrung, dass Integration „konstante Arbeit“ ist. Sie schmunzelt, als sie ihr jüngstes Beispiel erzählt: Sie musste einem Jungen erklären, dass Christen nicht ansteckend sind. Obwohl sie Schweinefleisch essen.

Halb vier. Die Spülmaschine läuft, ein einsames Stück Auflauf wartet noch auf einen Abnehmer. Im Kinderzimmer beugen sich die Köpfe über „Mensch-Ärger-Dich-Nicht“ und „Das verrückte Labyrinth“. Birgit Thielen muss schnell noch das Wichtelgeschenk für die Mädchengruppe am Nachmittag einpacken. Ihr Geschenk von der Frauengruppe liegt noch unausgepackt in der Ecke. Zum x-ten Mal klingelt das Telefon. Eigentlich hat Birgit Thielen gerade Urlaub.