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Archiv-Artikel

Hallo, ich bin wer!

Das Betätigen der Spülknöpfe klingt auch heute noch wie Maschinengewehrsalven: In der öffentlichen Toilette unter dem Alexanderplatz, zwischen Springbrunnen und Weltzeituhr, liegt ein besonderer Ort. Dort arbeitet Kathrin als Klofrau

„Jeder muss. Ich muss ja keinem den Hintern abwischen, nur manchmal das Klo“ „Dann träum ich mich in einen Beruf, wo man richtig was mit Menschen macht“

protokolliert von Barbara Thalheim

Eine junge Frau im grünen Arbeitskittel. Maskuline Ausstrahlung, in der Hand einen Becher Kaffee, dunkle kurze Haare, Igelschnitt, ungeschminkt, Jeans, Pulli, 27 Jahre jung, aus Ostberlin. „Womit kann ich dienen?“, fragt Kathrin und kontrolliert sofort die Klopapierstände. Ich hatte mir da unten eine Bild-Zeitung lesende Alte vorgestellt. Stattdessen Kathrin: 1977 auf der Insel Usedom geboren, als Elfjährige mit der Familie nach Hellersdorf gezogen, weil der Vater in Berlin eine Anstellung als Hausmeister erhielt. Ein Jahr später fiel die Mauer. Der Vater starb 1995. Mutter und Bruder arbeiten in einem Baumarkt. Wie wird man Klofrau mit 27 Jahren? Ist doch sicher kein Traumberuf, oder?

Kathrin lacht. „Warum nicht? Ist ein Beruf wie jeder andere. Ich hab Hauptschulabschluss, dann in der Berufsschule doch noch die zehnte Klasse gerafft. Danach wollte ich irgendwas mit Kindern machen. Erzieher oder so. Habe mich beworben und beworben, ist aber nie ’ne Antwort gekommen. Dann hat meine Mutter in der Zeitung eine Annonce gelesen: Weibliche Lehrlinge für ein Mädchenprojekt gesucht. Und das hat geklappt. Ich konnte 1993 eine Ausbildung zum Bootsbauer anfangen. Vier Jahre Lehre, ein Jahr Probezeit. Ich hab mich gut verstanden mit den anderen, war eine geniale Zeit gewesen.

Aber nach einem Jahr Lehre bin ich schwanger geworden. Aus der Traum. Lehre geschmissen. Vorher hab ich mich natürlich verliebt, ja. Das kam, weil mein Papa Hausmeister war und mich öfter mitgenommen hat zu Leuten in die Wohnung, wo er was zu reparieren hatte. Und eines Tages saß da in einer Wohnung auf dem Sofa der Weiberheld von Hellersdorf. Und um mich war es geschehen. Mit 17 war ich schwanger. Irgendwann ist der dann mächtig auf die schiefe Bahn geraten, so von wegen Klauen und Körperverletzung, und musste für ein halbes Jahr in den Knast. Und ich hab den kleenen Paule im Januar 95 gekriegt. Da waren wir aber schon auseinander.

Mein neuer Freund war drei Jahre jünger als ich, erst 17, als wir uns kennen lernten. Von ihm bin ich wieder schwanger geworden, das war 98. Dann wurde meine Wohnung zwangsgeräumt. Irgendwie war die Miete nicht bezahlt. Mir wuchs alles über den Kopf. Ich hab auch nie einen Brief gekriegt dazu. Die standen früh um zehn Uhr vor der Tür und sagten: Morgen wird Ihre Wohnung geräumt. Ich bin aus allen Wolken gefallen, habe meinen Sohn zu meiner Mutter gebracht. Gott sei Dank wusste meine Mutter zu der Zeit noch nicht, dass ich wieder schwanger war.

Ich bin zu einem Kumpel gezogen und hab mich in Jugendklubs verschanzt, war auf Feten, hab die Schubladen zugemacht, und das mit einem neuen Kind im Bauch. Ich wollt nichts hören, nichts sehen. Meine Mutter hatte in der Zwischenzeit das Sorgerecht für Paulchen beantragt und auch erhalten. Hätte ich damals bloß auf meine Mutter gehört und auf meinen Daddy, dann wäre mein Leben bestimmt nicht so Scheiße gelaufen.

Ich habe meine zweite Schwangerschaft, solange es ging, vertuscht, aus Angst, aus Nichtwissen, was ich tun soll. Und auf einmal war es wieder zu spät zum Abtreiben. Wenn es damals andere Umstände gewesen wären, hätte ich sie hundertprozentig behalten, die Kleene. Ich habe das Kind gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Am 25. Januar 1999 musste ich die Adoptionspapiere unterschreiben. Meine Mutter hat dagestanden und hat geheult. Ich konnte nicht heulen. Ich hab das alles nicht an mich rangelassen.

Und dann kam mein Mann, mein heutiger. Das heißt, wir sind noch gar nicht verheiratet. Wir wollen aber heiraten, so richtig, wenn wir dafür das Geld haben. Wir kannten uns ja schon länger, so mehr von weitem. Der hat mir schon immer das Gefühl gegeben: Du kannst mit mir reden, ich höre dir zu. Und irgendwann saß ich bei ihm am Küchentisch und hab wie aus Eimern geheult. Das war so schön. Meine ganze Lebensgeschichte hab ich ihm erzählt, von A bis Z. Und dann haben wir meine Sachen geholt und ich bin bei ihm eingezogen.

Jetzt ist auch Paulchen bei uns. Neun ist der nun schon. Ich hab sehr viel Liebe für den Lütten. Aber manchmal komme ich schwer mit ihm klar. Ich glaube, der weiß oder fühlt, was ich angestellt habe. Und damit komme ich nicht klar. Früher bin ich – wenn der Lütte im Bett war – immer losgejumpt und hab geputzt. Aber leben konnte man davon nicht. Dann hab ich vom Arbeitsamt Trainingsmaßnamen aufgebrummt gekriegt: Maler-, Maurer-, Fliesen- und Mosaiklegerarbeiten, auch den Gabelstaplerschein habe ich gemacht. Also hallo, ich bin wer! Kann Gabelstapler fahren! Hab ihn aber nie wieder gebraucht, diesen Schein. Alles, was ich nach dem Abbruch meiner Lehre gemacht habe, war eben nur kurz. Gelebt habe ich vom Arbeitsamtgeld.

Jetzt bin ich seit Mai 2003 eben Klofrau. Für mich ist das ein Beruf wie jeder andere. Aber diese Toilette hier am Alex, das ist was Besonderes. Ich kannte die Toilette schon als kleines Mädchen, wenn ich mit meinen Eltern zu Besuch war in Berlin. Die Leute kommen nicht nur zum Pullern hier runter. Manche wollen sich auch aufwärmen oder mit mir reden. Ich hab kein Problem damit, wenn Leute fragen, warum diese Toilette noch nicht neu gemacht ist. Ich sage dann immer: Berlin ist voll von schicken Toilettenhäuschen. Gehen sie in den Bahnhof, da gibt es eine Supertoilette, da kostet es 80 Cent. Hier müssen Sie nichts bezahlen, aber Sie können, wenn Sie wollen. Es kommen viele Touristen, die brubbeln vor sich hin: ‚Wie früher, hier drinne.‘ Und dann gehen sie förmlich auf Jagd nach den kaputten Kleinigkeiten: blinde Spiegel, wackelige Brille und so. Ich muss immer schmunzeln, wenn sie mich drauf aufmerksam machen.

Neulich war einer da, der war wie ein Altertumsforscher, der hat sich für die Dellen auf der Wendeltreppe interessiert. Der fand das gut, dass die Toilette – die ja sicher auch bald neu gemacht wird – so geblieben ist, wie sie mal war. Natürlich gibt es auch Leute, die sagen: ‚Hier unten stinkt es‘, und: ‚Wie sieht es denn hier aus?!‘ Das Stinken ist bestimmt auch Gewohnheitssache. Ich konnte früher nicht ein Gramm essen hier unten. Da kam es mir schon hoch, wenn ich nur ’nen Kaffee getrunken habe. Auch jetzt ist mir immer noch blöd dabei, wenn ich hier sitze und meine Chinapfanne esse und die Leute runterkommen und auf Toilette gehen. Manche gucken, als wenn sie denken: Ich geh einen ablassen, und die Alte sitzt da und isst. Aber wann den sonst? Essen muss jeder. Ein Glück, dass ich so hart im Nehmen bin. Wenn einer neben’s Becken kackt, dann nehme ich meine Handschuhe, das ist mein Schutz auch für die Psyche, und mache den Dreck halt weg.

Und wenn wirklich mal keiner kommt, was sehr selten ist, dann sitz ich da unten und denke darüber nach, was ich in meinem Leben so geschaffen habe und was ich noch verändern würde. Manchmal krieg ich dann einen Schuss und denke, es hat sowieso alles keinen Sinn. Und dann träum ich mich in einen anderen Beruf, also, wo man richtig was mit Menschen machen kann. Zum Beispiel Sozialpädagogin, oder Drogenberaterin. Da kam doch gestern eine Frau, so um die Mitte dreißig, die war ganz schlimm drauf und blieb mir ein bisschen zu lange auf dem Klo. Da hab ich gegen die Tür geklopft, keine Antwort. Dann bin ich auf die Leiter gestiegen und habe oben drübergeschaut. Da war die grad dabei, sich ’ne Spritze zu setzen. Weißt du, wo? In den Oberschenkel, hier unten, nahe an der Mu, wenn du verstehst, was ich meine. Ich habe gerufen: Raus hier, meine Toilette ist clean. Hier kannst du pinkeln, das andere musst du woanders machen.

Die ist dann ewig nicht rausgekommen aus dem Klo. Ich musste mit Engelszungen reden wie eine Psychologin und ganz ruhig bleiben, obwohl ich schon Feierabend hatte und zuschließen wollte. Dann ist sie endlich rausgekommen, sie war absolut zu. Sie hat mir erzählt, dass sie Kinder hat. Ich glaube, die lebt hier richtig auf dem Alex. Oft kommt auch ein junger Mann, der ist erst 22 und kommt aus einem Zuhause mit einem Wasserbett und so. Er sagt immer, dass er einfach nur frei sein möchte. Und ich sage, dass das nicht die Norm sein kann, dass er hier oben auf den kalten Steinen pennt und betteln geht. Und dann sagt er: ‚Kathrin, ich will das im Moment so haben, Demokratie ist, wenn alle so leben können, wie sie möchten. Und wenn ich das irgendwann mal nicht mehr möchte, weil es mir zu stressig ist oder weil ich arbeiten gehen möchte, dann mache ich es nicht mehr.‘ Der sagt mir auch immer, dass Schnorren auch eine Arbeit ist. Das sehe ich nicht so.

Ich glaube, ich habe die richtige Einstellung zu dem Job. Ich meine, Auf-Toilette-Gehen ist menschlich. Jeder muss halt. Ich muss ja keinem den Hintern abwischen, nur manchmal das Klo wischen für die, die sich den Hintern nicht richtig abwischen können. Im Grunde genommen mache ich normale Putzarbeit, Spiegel, Fliesen, Toilettenbecken, Toilettenbrillen, dafür sorgen, dass Papier da ist, die Eimer leeren und aufpassen, dass es keine Spinnweben gibt. Das kann unser Chef überhaupt nicht ab. Spinnenweben.

Ich glaube ich könnte nie im Büro sitzen und mir tagtäglich einen abtippsen, und dann guck ich vielleicht mal über meinen Computer rüber in ’ner Pause, und da ist dann keiner. Ich würd ’ne Krise kriegen. Ich brauch einen Job, wo Menschen um mich herum sind.“

Barbara Thalheim ist Liedermacherin aus dem Osten Deutschlands