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Archiv-Artikel

Kampf ums Kindeswohl

REALITY-TV RTL will eine Doku-Sendung ausstrahlen, in der Säuglinge Teenagern zum Elternspielen ausgeliehen werden. Die Sozialministerien sind alarmiert, die Landesmedienanstalten dagegen warnen vor Zensur

Jugendschutz im TV

Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ist ein gemeinnütziger Verein privater Fernsehanbieter in Deutschland.

■ Seit April 1994 lassen die Vereinsmitglieder, alle bundesweit ausstrahlenden Sender des Privatfernsehens, ihre Programme bei der FSF auf Jugendschutzbelange prüfen.

■ Seit August 2003 arbeitet die FSF als anerkannte Selbstkontrolle im Rahmen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags. Der sieht vor, die Kinder vor Sendungen zu schützen, die deren Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden oder die Menschenwürde verletzen.

■ Die Kontrolle des Jugendschutzes über die FSF hinaus obliegt der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Die KJM prüft, ob Verstöße vorliegen und wägt die zu treffenden Maßnahmen ab, von der einfachen Beanstandung über Bußgeldern bis hin zum Entzug der Rundfunklizenz. Vollzogen werden diese von den Landesmedienanstalten.  (map)

VON MAXIMILIAN PROBST

Als erste aus der Politik hat sich Schleswig-Holsteins Kinder- und Jugendministerin Gitta Trauernicht (SPD) gemeldet: das Reality-TV-Experiment „Erwachsen auf Probe“ des Senders RTL sei skandalös, die geplante Ausstrahlung Anfang Juni müsse unter allen Umständen verhindert werden.

Bei der siebenteiligen Dokumentation sollen Teenagerpaare probeweise in die Elternrolle schlüpfen, unter anderem auch vier Tage lang Säuglinge im Alter zwischen neun und 14 Monaten rundum betreuen. „Windeln wechseln, schlaflose Nächte, Kindergeschrei und ganz viel Verantwortung“, heißt es dazu in der Programmankündigung des Senders.

Jetzt hagelt es auch aus der Hamburger und Bremer Politik Proteste: Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) kritisierte, dass mit der Doku Kleinkinder „wie Gegenstände verliehen und auf ihre Bindung zu den richtigen Eltern keine Rücksicht genommen“ werde. Und seine Bremer Kollegin Ingelore Rosenkötter (SPD) prüft zurzeit, „ob wir rechtliche Möglichkeiten haben, die Ausstrahlung der Serie zu verhindern.“ Zusätzlich möchte man in Bremen, das den Vorsitz in der Jugendministerkonferenz Anfang Juni inne hat, eine Initiative vorbereiten, „um gegen derartige Experimente mit Kleinkindern vorzugehen“.

Die Landesmedienanstalten hören so etwas gar nicht gerne. „Das wäre Zensur“, sagt Thomas Fuchs, Direktor der Landesmedienanstalt Hamburg und Schleswig-Holstein. Auch Reinhold Albert, Direktor der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM), die für die Lizenz von RTL zuständig ist, legt Wert darauf, dass man sich die Sendung erst einmal anschauen müsse, um sie zu bewerten.

Dass die NLM danach die Sendung aus dem Programm nehmen oder dem Sender ein Bußgeld aufbrummen werde, hält Albert für unwahrscheinlich. Von der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) ist die Sendung bereits begutachtet worden. Fazit: Die Ausstrahlung sei unbedenklich. Albert hält es deshalb für wichtig, zu trennen – zwischen der medienrechtlichen Frage nach der Ausstrahlung und der familienrechtlichen der Produktion.

Schleswig-Holsteins Jugendministerin Trauernicht beabsichtigt, auch auf dieser zweiten Ebene zu intervenieren. Für den Fall, dass Babys aus Schleswig-Holstein an der Sendung teilnehmen, sind die Ordnungsämter angehalten, mit dem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung zu intervenieren. Sie folgt damit den Einwänden des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB), der bereits Anfang vergangener Woche kritisierte, dass RTL die Kinder „existentiellen Ängsten aussetzt“ und damit „die Entstehung einer Bindungsstörung“ billigend in Kauf nimmt.

Der Sender RTL verteidigte das Reality-TV-Format, das von der BBC übernommen worden sei, als „pädagogisch wertvoll“. Man habe nur Paare ausgewählt, die sich tatsächlich Kinder wünschten, sagt Redakteur Frank Rendez. Die Sendung gebe ihnen die Möglichkeit, ihren Wunsch mit der Realität zu konfrontieren und zu prüfen, ob sie „wirklich reif sind für den härtesten Job der Welt – eigene Kinder“, wie das in der Programmankündigung heißt.

Die Kleinkinder seien dabei zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen, weder psychisch, noch physisch. Die Eltern hätten die Produktion in einem Haus nebenan über Kameras verfolgen und jederzeit eingreifen können. Zudem sei immer eine Erzieherin, eine Kinderkrankenschwester und eine Kinderpsychologin am Set gewesen. Zusammen mit den zwei betreuenden Teenagern, der Produktionsleiterin und der Moderatorin Katja Kessler – der Ehefrau von Bild-Chef Kai Diekmann – summiere sich das auf sieben verantwortungsbewusste Personen. „Auf so einen Betreuungsschlüssel kommt keine Kita“, sagt Rendez nicht ohne Stolz.