Waten in Blut und Sperma

Stiftung Wahrheit-Test: Wie schläft es sich in „Bild“-Bettwäsche? Ein Selbstversuch

Oberschenkelbreit wünscht die schwarzrotgoldene Schlagzeile: „Gute Nacht, Deutschland!“

Bettgeschichten, Bettgeschichten, immer wieder Bettgeschichten. Das ist es doch, was Sie wollen. Ja, Sie da draußen: die Voyeure, die sich selbst vornehm Leser nennen. Am liebsten würden Sie doch den ganzen Tag nichts als Piepmätze und Bärchen besichtigen. Na gut, dann tun wir Ihnen den Gefallen. Lüften wir die Bettdecke. Und zwar meine. Sie ist nämlich etwas ganz Besonderes.

Dabei geht es unter meiner Bettdecke eher gesittet zu. Überhaupt gibt es in meinem Bett Wichtigeres als das Innere meines Pyjamas. Im Bett nämlich habe ich meine besten Ideen. Und so kam mir eines frühen Morgens die Idee: Wie ist es eigentlich in Bild-Bettwäsche zu schlafen? Würde ich nachts in Blut und Sperma waten?

Die Bild-Bettwäsche kostet bei Real 29 Euro 95 und ist immerhin zu 100 Prozent aus Baumwolle. Nach „Öko-Tex Standard 100“ sind das Kissen und das Oberbett sogar „schadstoffgeprüfte Textilien“, auch wenn beides grässlich nach Chemie stinkt und erst einmal gewaschen werden muss. Auf links, versteht sich. Das Kissen trägt Weiß auf Rot den Schriftzug „Bild“, und das Oberbett ist eine 135 mal 200 Zentimeter große Titelseite mit allerlei verdrückten Geschichten rund ums Bett. Neben der Zeile „Vanessas flauschiges Kissen-Wissen“ grinst die obligatorische nackte Mieze aus der Seite-eins-Wäsche. Darüber verkündet eine oberschenkelbreite und selbstverständlich schwarzrotgolden eingefärbte Schlagzeile: „Gute Nacht, Deutschland!“

Ich bin zwar nicht Deutschland, freue mich aber jetzt schon auf die Nacht und das, was mich erwartet, als ich entschlummere … – doch es geschieht nichts, rein gar nichts. Ich erwache am nächsten Morgen sanft umschlungen von Bild und bin enttäuscht. Ich hatte weder Alb- noch geile Träume. Die nackte Ische grinste mich noch immer genauso grenzdebil an wie am Abend zuvor. Der Selbstversuch ist gescheitert.

Vor mir liegt ein ganz normaler Montag. Ein Tag allerdings, an dem ich mein neues iBook abholen will. Endlich würde auch ich der stolze Besitzer eines tragbaren Hochleistungscomputers sein. Voller Vorfreude verlasse ich das Haus und versenke die Abfalltüte im überfüllten Müllcontainer – und leider auch meinen Schlüsselbund. Als ich ihn eine Dreiviertelstunde später zwischen Kaffeefiltern und den Resten eines Katzenklos wiederfinde, muss ich noch einmal zurück auf Anfang und duschen. Wenigstens ist das iBook fantastisch, auch wenn es nicht wie vorgesehen funktioniert. Ich komme und komme damit nicht ins Internet.

Aber der Dienstag ist auch noch ein Tag. Der mich gleich zurück ins Elektronikgeschäft führt, um ein neues TAE-Kabel zu kaufen. Als ich drei Stunden später heimkehre, darf ich sofort wieder umdrehen. Der Verkäufer hat mir das falsche Kabel ausgehändigt. Leider ist der Laden jetzt geschlossen.

Aber der Mittwoch ist auch noch ein Tag. An dem ich zunächst zum Zahnarzt muss. Der gute Mann eröffnet mir, dass ein Backenzahn nicht mehr zu halten ist. Ich verliere den ersten Zahn seit meiner Milchzahnzeit, und der Zahnarzt muss ihn eine Stunde lang in zwei Teile zersägen, um den tief im Inneren meines Körpers verwurzelten Brocken überhaupt aus mir hinaus befördern zu können. Beim anschließenden Besuch im Computergeschäft muss ich wohl einen recht unverständlichen Kaufwunsch vorgetragen haben. Das ist jedenfalls kein Ethernet-Kabel, die Anschlüsse passen nicht, das iBook will immer noch nicht ins Internet.

Aber der Donnerstag ist auch noch ein Tag. Ausgefüllt von einem neunstündigen Telefongespräch mit einem Fachmann in Regensburg, der mir schließlich erklärt, ich bräuchte kein TAE- oder Ethernet-, sondern ein FireWire-Kabel, dann müsste ich nur noch beim Einschalten des Geräts auf den Buchstaben T drücken und alles funktioniere. Nichts funktioniert: Ich hatte einen Ferrari gekauft und tuckerte nun mit ihm im zweiten Gang über den Hof, weil niemand den Schlüssel für das Tor fand.

Aber der Freitag ist auch noch ein Tag. Mit einem fünf Stunden dauernden Gastauftritt eines iBook-Experten. Ich bräuchte kein TAE- oder Ethernet- oder FireWire-Kabel, sondern WLan, das sei kabellos, erklärt er mir. Ich aber trete lautlos hinter ihn, schwinge das TAE- oder Ethernet- oder FireWire-Kabel wie das „indische Halstuch“ um seinen Nacken, ziehe es enger und enger, bis seine Augen hervorquellen und er … – nein, das muss ich nur geträumt haben. Der Experte aber hat offenbar meinen irren Klaus-Kinski-Blick gesehen, denn er hat es plötzlich sehr, sehr eilig. Das iBook läuft noch immer nicht.

Aber der Samstag ist auch noch ein Tag. Der mich zunächst ins Blumenfachgeschäft führt. Dort hatte ich am Tag zuvor einen orangegelben Geburtstagsstrauß für meine Herzensdame bestellt und auch schon bezahlt. Freundlich lächelnd überreicht mir die Floristin ein orangegelbes Grabgebinde: „Zum Hinlegen“, wie sie erklärt. Ich hätte doch einen Kranz bestellt, oder?, fragt sie, als sie meinen verblüfften Gesichtsausdruck bemerkt. Ich aber ahne, dass es sich um ein böses Omen handeln muss. Das nur auf eine Art zu bannen ist: Ich muss darüber schreiben. Wenigstens dazu ist das iBook zu gebrauchen.

Der Sonntag ist genau der richtige Tag. Zeile für Zeile komme ich der Wahrheit näher. Als plötzlich der Strom ausfällt. Die Lichter erlöschen. Das Redaktionsgebäude in der Berliner Kochstraße liegt in tiefstem Dunkel. Es ist der erste Stromausfall seit 1990, wie ein Alteingesessener stolz verkündet. Nichts geht mehr. Ich hatte den Text nicht gesichert, und zirka 5.000 Zeichen sind verloren.

Erstaunlicherweise bleibe ich völlig ruhig. Resigniert denke ich an mein iBook und die zurückliegende Woche. Dann sehe ich aus dem Fenster. Der ganze Block ist dunkel. Überall ist der Strom ausgefallen. Nur im Gebäude schräg gegenüber nicht. Frech lacht die Leuchtschrift herüber: „Axel Springer Verlag“. Auf der anderen Seite der Kochstraße gibt es offensichtlich ein Notstromaggregat.

Wie ein Blitz schlägt es in meinem gepeinigten Kopf ein. Schlagartig wird mir klar, wer schuld ist an all den Katastrophen, an der Woche des Grauens, die nun auch noch gipfelt in der ersten Niederlage einer deutschen Fußballnationalmannschaft gegen ein asiatisches Team: eins zu drei gegen Südkorea, kommentiert von dem widerlichen Zettelableser Reinhold Beckmann. Ich beschließe, eine Aktion zu gründen: „WM 2006 ohne Beckmann“.

An diesem Sonntag weiß ich mit einem Mal, wer schuld ist an all dem Elend: Nein, nicht Beckmann. Sie! Ja, Sie da draußen: die Voyeure, die sich selbst vornehm Leser nennen. Ohne Leser keine Bild. Ohne Bild keine Bild-Bettwäsche. Ohne Bild-Bettwäsche keine Katastrophen. Das ist so bombensicher und betonfest wie der Kartoffelbrei meiner Großmutter.

Zu Hause verbrenne ich als Erstes im Hof die Bild-Bettwäsche. In den bizzelnden Flammen ist noch lange die verglimmende schwarzrotgoldene Schlagzeile zu sehen. Durch einen Trick bringe ich schließlich das iBook hinaus in die Netzwelt. Ich halte es vor das Fenster, zeige ihm die rauchenden Überreste der Bettwäsche unten im Hof und frage es: „Willst du genauso enden?“ MICHAEL RINGEL