: „Die größten Schäden entstanden weit weg vom Beben“
Der Potsdamer Erdbebenexperte Rainer Kind erklärt, wie gigantische Wellen, so genannte Tsunamis, dem Beben folgten. Die Verheerungen durch Tsunamis hätten durch ein Warnsystem begrenzt werden können. Ein solches gibt es aber bisher nur im Pazifik. Noch drohen Nachbeben
taz: Herr Kind, wie sind die massiven Auswirkungen dieses Erdbebens zu erklären?
Rainer Kind: Es war eines der stärksten Beben, die seit der Registrierung mit modernen Apparaten gemessen wurden: mit einer Stärke von 8,2 bis 8,9 auf der Richterskala, das hängt von der Quelle der Messung ab. Von daher ist mit großen Folgen zu rechnen. Aber die größten Schäden sind nicht am Ort des Bebens entstanden, sondern weit weg durch Tsunamis.
Wie funktionieren Tsunamis?
Diese Wellen entstehen, wenn es unter der Meeresoberfläche zu Erdbeben, Vulkanausbrüchen oder einen Hangrutsch – einer plötzlichen vertikalen Verlagerung am Meeresboden – kommt. Sie breiten sich mit einer Geschwindigkeit von bis zu eintausend Kilometern pro Stunde aus, also mit der Geschwindigkeit eines Düsenflugzeugs. Das ist sehr viel langsamer als die Ausbreitung der seismischen Wellen, so dass bei ausreichender Entfernung im Allgemeinen genügend Zeit für Warnungen bleibt. Ist die gegenüberliegende Küste flach oder gibt es enge Hafeneinfahrten, können sich die Wellen dort zu Höhen von mehreren zehn Metern auftürmen und große Schäden verursachen.
Warum sind die Menschen in Indien, Sri Lanka und auf den Malediven nicht gewarnt worden, obwohl sie mehrere tausend Kilometer vom Epizentum entfernt waren?
Im Pazifik gibt es ein funktionierendes Tsunami-Warnsystem. Wenn in Alaska ein Beben ist, wird Japan gewarnt, ist in Japan ein Beben, wird Südamerika oder Hawaii gewarnt. In dieser Region ist man aus Schaden klug geworden, wobei das System in erster Linie Warnungen und Information über Erdbeben beinhaltet. So hat hat man jetzt auch festgestellt, dass von diesem Beben zum Beispiel für Kalifornien keine Gefahr ausging. Im Indischen Ozean ist mir aber von einem solchen Tsunami-Warnsystem nichts bekannt. Deshalb gab es dort keine Warnungen.
Können nicht Schiffe die Küstenbewohner warnen, wenn sie auf hoher See den Wellen begegnen?
Es ist nicht so, dass die Schiffe die Wellen kommen sehen. Das sind sehr langsame, sehr langperiodische Schwankungen von geringer Höhe, die auf hoher See kaum zu bemerken sind. Die Wellen steigen erst auf, wenn sie auf die Küste treffen.
Warum gab es in Sri Lanka, Indien und den Malediven, also in tausenden Kilometern Entfernung vom Epizentrum, mehr Opfer als im nahen Malaysia und Thailand?
Das kann verschiedene Ursachen haben. Das Beben ist wahrscheinlich auf der westlichen Seite Sumatras zum indischen Ozean hin gewesen, so dass sich die Wellen in erster Linie in diese Richtung ausgeweitet haben. Die Auswirkungen der Tsunamis hängen auch stark von der Beschaffenheit des Meeresbodens, der Küste und der dortigen Dichte der Besiedlung ab.
Warum reichten die Tsunamis bis zu den Malediven, aber nicht bis an die Ostküste Afrikas?
Die Malediven liegen etwa auf der Hälfte des Weges nach Afrika. Die Wellen schwächen sich auf die große Entfernung ab, messbar ist das sicher auch in Ostafrika gewesen, aber auch andere Faktoren können hierzu beigetragen haben.
Wie groß ist die Gefahr von Tsunamis bei Nachbeben?
Genauso groß wie bei Hauptbeben, das hängt nur von der Stärke des Bebens ab, also der Höhe des Versatzes, den der Meeresboden macht, der proportional der Stärke des Bebens ist. Die Bruchzone reichte innerhalb einer Stunde über mehrere hundert Kilometer in Nord-Süd-Richtung von Sumatra über die Nikobaren bis zu den Andameninseln. Es hat ja bereits mehrere Nachbeben von Siebenerstärke gegeben. Die Gefahr von weiteren Tsunamis besteht also durchaus.
INTERVIEW: SVEN HANSEN