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Archiv-Artikel

Ist nicht alles Zuckerwatte

Gerd Gronwald ist Nestor der Dortmunder Rainbow-Borussen: Metzelder traf er in der Sauna. Über Ricken oder Niebaum schimpft er wie ein Kurven-Proll

„Wenn ich die Dinge ausschließlich schwul sehe, sehe ich sie nicht vollständig“ Fußball spielte Gerd Gronwald nur in der Schule – und das nur, wenn er musste

AUS DORTMUNDLUTZ DEBUS

In einer kalten Winternacht im Jahr 1964 versteckte sich Gerd Gronwald in einem Hinterhof. Durch ein Toilettenfenster war er entwischt. In dem so genannten einschlägigen Lokal in der Dortmunder Hansastraße kontrollierte die Sitte die Ausweise der Gäste. Der Anlass: Paragraph 175. Homosexuelle Handlungen, auch zwischen Erwachsenen, waren verboten. Die Rosa Liste wurde in dieser Nacht mal wieder vervollständigt.

Gerd Gronwald hatte keine Lust, dass sein Name auf dieser Liste erscheint. Einen Freund hatte die Polizei Monate zuvor eines Nachts heraus geklingelt, zur Gegenüberstellung ins Präsidium gebracht. Der Freund stand auf der Rosa Liste. Ein kleiner Junge war ermordet worden. Homosexuelle galten als potentielle Kindermörder.

Wenn Gronwald diese Geschichte vor jungen Schwulen erzählt, staunen die nicht schlecht: „Hört auf zu jammern. Ihr wisst gar nicht, wie gut es euch geht“, hämmert er dann seinen Freunden ein. Gronwald ist der Methusalem bei den Rainbow-Borussen, dem schwul-lesbischen Fanclub von Borussia Dortmund.

Seine 68 Lebensjahre sind Gronwald nicht anzusehen, er könnte auch als Mittfünfziger durchgehen. Die anderen etwa 30 Vereinsmitglieder sind jünger. Gerade das genießt er an dem Fanclub – Studenten, Lehrer, normale Menschen. Früher mied er monatelang die Szenelokale, so wollte er seine Sichtweise wieder objektivieren: „Wenn ich die Dinge schwul sehe, sehe ich sie nicht vollständig.“ Und so reizt Gronwald auch die Schnittmenge zwischen dem angeblich heterosexuell dominierten Fußball und der schwulen Community.

Inzwischen berichten selbst die Feuilleton-Seiten der überregionalen Zeitungen und das Abendprogramm im öffentlich-rechtlichen Fernsehen über die schwulen Borussenfans. Der Kinofilm „Männer wie wir“ tat das übrige – erzählt wird die Geschichte des schwulen münsterländischen Torwarts Ecki im Millieu der Borussenfans. Zur Weltpremiere des Streifens mit den Schauspielern Rolf Zacher, Dietmar Baer und Mariele Millowitsch war auch Gerd Gronwald als Rainbow-Borusse eingeladen.

Aber wie fing das bei ihm an mit dem Fußball? Gronwald kommt aus Lüdenscheid. Sportlich war der Junge nicht. Fußball spielte er nur in der Schule, nur wenn er musste. Aber die Spiele von Rot-Weiß Lüdenscheid, die schaute er sich gelegentlich an. Das reichte.

Und wie begann sein Schwulsein? Das Coming-Out hatte Gerd mit 22. Er war gerade mit einem Mädchen zusammen, als er für sich klar hatte, dass er Männer viel reizvoller findet. So zog er mit einem anderen Mädchen Arm in Arm über die Kirmes in Lüdenscheid, wurde von seiner Freundin prompt inflagranti gestellt. Es gab einen Riesenkrach und Gronwald war die beiden Damen los.

Er packte seine Koffer und zog in die große anonyme Stadt, nach Dortmund. Seine Mutter weinte beim Abschied.

Der gelernte Buchdrucker und Schriftsetzer wollte nicht mehr in seinem Beruf arbeiten. Der Bruch mit seiner Vergangenheit sollte perfekt sein. Also wurde er Schlafwagenschaffner, kam weit herum in Europa – nach Genua, Mailand, Rom. Er lebte in München, Frankfurt, Hannover – bis er nach Dortmund zurückkehrte: „Mitte der Siebziger Jahre, als ich meinen Kleinen gerade kennen gelernt hatte, da kaufte ich mir meine erste Dauerkarte für das Westfalenstadion“, erinnert er sich.

Mit dem „Kleinen“ meint Gerd seinen Lebensgefährten – kein Fußballfreund. „Der ist nie mitgekommen ins Stadion. Wenn ich nach Hause kam, konnte er an meinem Gesicht sofort erkennen, wie der BVB gespielt hatte.“

Gronwald ist mittlerweile ordentliches Mitglied des BVB und poltert auf Versammlungen schon mal los. Wenn Geschäftsführer Gerd Niebaum an seinem Posten klebt, weil er, wie er sagt, den Schaden, den er angerichtet hat, wieder gut machen will, dann fragt Gronwald ihn, ob er denn noch genug Kraft dafür habe.

Seine Sitznachbarn auf der Tribüne kennt Gronwald teilweise seit Jahrzehnten. Er nennt sie, nicht ganz ohne einen ironischen Unterton „meine älteren Herren“. Jeder hat seine Dauerkarte. Ein älterer Herr kommt nicht mehr, ist zu krank, schickt seinen Sohn: „So ist das eben in Dortmund.“

Die Herren wissen nichts von seiner sexuellen Orientierung. Wenn sie es erfahren würden, glaubt Gronwald, wäre das auch nicht schlimm. Jedenfalls nicht so schlimm wie Lars Ricken.

Bei Ricken wird Gerd richtig sauer. Der habe sich offen gegen den Trainer gestellt, sei nachts um drei Uhr noch in der Disco rumgelungert. „Reuter war ja noch ein Vorbild. Aber Ricken?“ Am besten sollte der Verein den Spieler verkaufen, meint der Rainbowfan: „Aber wer nimmt den denn noch?“ Mit der Frage bringt Gerd Gronwald seine ganze Sitzreihe und die davor und die dahinter zum Lachen.

Sein Liebling ist Christoph Metzelder. Gut gebaut sei der Junge. Geht es Gerd Gronwald also darum, schöne Männer zu sehen? „Natürlich schau ich auf den Hintern. Und auch vorn schau ich hin, was der so hat. Aber machen das ‚Heten‘ bei Frauen etwa nicht?“ Neben Metzelder habe er sogar schon mal in der Sauna gesessen. Ein paar Tage später traf man sich zufällig auf einem Vereinsempfang. Der Fußballprofi fragte, ob man sich nicht kenne: „Herr Metzelder, als wir uns das letzte mal trafen, sahen wir beide etwas anders aus“, antwortete Gronwald, Metzelder begriff und lächelte. Ob Metzelder oder irgend ein anderer Spieler vom BVB schwul sei, wisse Gronwald nicht. Zugeben würde es keiner. Kehl, Metzelder und Reuter waren auch auf der Premiere von „Männer wie wir“. Ein Reporter fragte sie, ob sie Teamkollegen ein Outing empfehlen würden. Alle drei verneinten.

Fußball hat für Gerd Gronwald aber nicht nur etwas mit Sex zu tun. Wenn ein Tor fällt und der Nebenmann den Torschützen umarmt, dann ist das ein Akt der Herzlichkeit, mehr nicht, aber auch nicht weniger. „Die Herzlichkeit nimmt leider ab. Give me five heißt das bei den Jungen nach einem Tor. Selbst beim Fußball wollen die alle cool sein.“ Herzlichkeit lebt Gronwald bei den Rainbow-Borussen: Als sich einer seiner Freunde bei klirrender Kälte um sechs Uhr früh wegen Karten für das Spiel gegen Bayern München anstellte, brachte ihm Gerd Gronwald um 8 Uhr Kaffee in der Thermoskanne vorbei.

Und was gibt es außer Fußball und Community noch in seinem Leben? „Nicht nur Subkultur – Kultur muss auch sein.“ An diesem Abend gehe er in das Harenberg-Center, einem renommierten Buchverlag, der auch Kulturveranstaltungen durchführt. Da spricht Armin Müller Stahl. Den liebt er. Auch Gustaf Gründgens habe er damals noch in Düsseldorf gesehen. Theater, überhaupt das Spiel mit Worten, fasziniert ihn.

Rentner Gronwald wohnt in einer eher rustikal eingerichteten Eigentumswohnung im Dortmunder Osten. Seine beiden neunjährigen Kater Max und Moritz schnurren abwechselnd auf seinem Schoß. Den Gartenteich deckte er mit Gardinenstoff ab. Sonst verwandelten die Nadeln der Lärche den Teich in wenigen Jahren in einen Sumpf.

Manchmal besucht er seine Schwester in Lüdenscheid: „Ich fahre gern hin. Ich fahr aber auch gern wieder zurück.“ Zum Bruder habe er keinen Kontakt mehr. Und sein „Kleiner“, sein Lebensgefährte? „Der ist im Juni 2003 gestorben“, sagt Gronwald und zeigt auf seinen Ring. Die beiden Partnerschaftsringe, einen goldenen und einen silbernen, hat er sich zusammen löten lassen.

Der „Kleine“ hatte Knochenkrebs. Von der Diagnose bis zu seinem Tod blieb den beiden ein dreiviertel Jahr. Irgendwann brach die Lendenwirbelsäule, später ein Halswirbel. Den Tod seines Freundes sei fast eine Erlösung gewesen: „Das ist im Leben wie im Fußball. Ist nicht alles Zuckerwatte. Ein paar Bröckchen sind auch drin.“