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Archiv-Artikel

Der Teilzeitberliner

taz-Serie „Arbeit ist das halbe Leben“ (Teil 2): Der Programmierer Stefan van den Berg hat, als gut bezahlter Teilzeitjobber das, was viele sich wünschen: Zeit. Und das nötige Geld, um zu genießen

VON RICHARD ROTHER

Stefan van den Berg ist zufrieden. An diesem Vormittag sitzt er gelassen in einem Sessel am Fenster seiner Kreuzberger WG-Küche, schaut in den trüben Dezemberhimmel und liest, ab und an einen Schluck Milchkaffee trinkend, einen Roman. Der 35-jährige Teilzeitprogrammierer hat, was viele Berufstätige nicht haben: Zeit. Und Geld, sie genießen zu können. Nicht besonders viel zwar, aber für einen Single ausreichend. Der Holländer, der seit fünf Jahren in Berlin lebt, sagt von sich: „Ich habe die Balance zwischen Beruf und Privatleben gefunden.“

Das war nicht immer so. Ein paar Jahre hat van den Berg gebraucht, um herauszufinden, welcher Job zu ihm passt. Nach einem Physikstudium organisierte er Konzerte und Veranstaltungen in Eindhoven, bevor es ihn auf eine mehrmonatige Rundreise durch Osteuropa zog. „Westeuropa kannte ich schon, und fliegen wollte ich wegen der Umweltverschmutzung nicht“, sagt der Mann mit den langen Locken. In Prag verliebte er sich. Ein Jahr lang lebte dort er als Physikdoktorand mit 100 Euro im Monat, verdiente sich als Jongleur auf der Karlsbrücke etwas Geld zum Leben dazu. Und lernte eine Frau aus Berlin kennen. Da wollte er nun auch hin. Sein Weg führte über Amsterdam. „Ich wollte endlich mal Geld verdienen und musste etwas lernen, um in Berlin Fuß fassen zu können.“

Statt theoretische Physik an der Uni suchte er die Praxis in einem Unternehmen – als Programmierer. „Logisch denken war ich ja gewohnt.“ Ein Jahr lang programmierte er Computer in Holland, bildete sich jeden Abend weiter. 1999 gelang ihm der Sprung nach Berlin. Heute klingt das wie ein Märchen aus einer vergangenen Zeit – der Ära der Start-up-Euphorie. „Nach einer Woche Bewerben hätte ich in zwei Unternehmen sofort anfangen können, in einem etablierten und einem ganz kleinen.“

Van den Berg entschied sich für die kleinere, gerade gegründete Firma E & E Information Consultants. Bei dem Personalberatungsunternehmen, das auch Software für Großkonzerne entwickelt, ist er noch heute. „Das Abenteuer reizte mich, mit sechs, sieben Leuten klein anzufangen“, sagt er und ergänzt, dass er heute wahrscheinlich die sicherere Variante wählen würde. Heute hat die Firma rund zehnmal mehr Mitarbeiter, ist ein ganz normales mittelständisches Unternehmen geworden.

Anfangs programmierte van den Berg oft bis zu 60 Stunden in der Woche – aber nach zwei Jahren kam der Bruch. Dass die Beziehung scheiterte, wegen der er nach Berlin gekommen war, war nur der Anlass. „Ich musste weniger arbeiten, von Berlin hatte ich zu wenig gehabt.“ Van den Berg zog in eine Kreuzberger Wohngemeinschaft. In der Fabriketage wurde ihm immer deutlicher, dass das Leben nicht nur aus Arbeit bestehen.

Den Wunsch nach Teilzeit erfüllte ihm die Firma unproblematisch, der Chef wollte den Mitarbeiter unbedingt halten. Der Preis für die Drei-Tage-Woche sind nicht nur 40 Prozent weniger Gehalt. Auch auf der Karriereleiter ging es wieder abwärts. Statt Projektleiter ist van den Berg heute wieder einfacher Programmierer. „Die Kollegen wollen, dass ein Chef immer ansprechbar ist.“ Der Abstieg macht ihm nichts aus. „Das ist es mir wert.“ Auch ohne Leitungsfunktion sei man für die Firma wichtig. Dafür hat er jetzt mehr Zeit – für Freunde und Freundin, die WG und Hobbys – und das Reisen.

Die finanziellen Einbußen durch Teilzeit sind bei einem gut bezahlten Job erträglich – für seine Teilzeitarbeit bekommt van den Berg einen unteren Durchschnittslohn für normale Vollzeittätigkeiten. „Ich brauche nicht viel, eine Ikea-Couch reicht auch.“ Der Konsumrausch mache die Menschen verrückt, meint er. Auch wer 5.000 Euro im Monat verdiene, habe oft das Gefühl, nicht genug zu haben.

Die aktuelle Entwicklung in der Wirtschaft findet van den Berg absurd. „Die einen arbeiten bis zum Umfallen, und die anderen sind arbeitslos.“ Warum werde ein 60-Stunden-Job nicht in zwei 30-Stunden-Jobs umgewandelt?, fragt er. „In Holland gibt es viel mehr Teilzeit als in Deutschland.“ Arbeit und Einkommen müssten eben gerechter verteilt werden. Angst vor Arbeitslosigkeit hat der optimistische Holländer nicht. Irgendetwas werde sich schon ergeben, „ich muss nicht mein Leben lang programmieren“.

Konkrete Pläne auf Veränderung hat van den Berg nicht. Sein Leben werde sich vermutlich erst ändern, wenn er Berlin verlasse, denkt er. Das könnte eher der Fall sein, als ihm lieb ist. Wie viele in seiner Umgebung hat auch seine Freundin, die gerade das Studium abgeschlossen hat, keine Aussicht auf einen angemessenen Job in Berlin. Da sie nicht ewig in einer Kneipe kellnern will, wird sie sich anderswo bewerben – und er könnte ihr folgen, wenn sie eine Stelle findet. „Die Liebe hat mich nach Berlin verschlagen, sie könnte mich hier auch wieder wegkriegen.“