: Wie Nessie aus dem Loch
Nachrichten aus dem Sommerloch: Wie Niedersachsens Ministerpräsident Wulff mit seiner Kritik an der Rechtschreibreform die üblichen Verdächtigen alarmierte – und bauchlandete
aus Hannover Kai Schöneberg
Über ein „nationales Unglück“ wetterte Marcel Reich-Ranicki. „Bravissimo!“, jubilierte Ralph Giordano, „endlich“ sei „der Klamauk mit der ,neuen Rechtschreibung‘“ zu Ende. Die CSU sprach von einer „überflüssigen Reform, die das Volk nicht annimmt“. Und es war Sommer.
Im August vor vier Jahren kübelten die üblichen Verdächtigen ganz ähnlich wie in diesem. Damals hatte sich die alte Tante FAZ entschlossen, zur guten alten Rechtschreibung zurückzukehren, dieses Jahr hatte sich Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) entschlossen, endlich mal bundesweit Furore zu machen. Das Gute am Sommerloch: Sonst ist ja nix los.
Mal ehrlich: Könnten Sie begründen, warum „dastehen“ zusammen, aber „falsch liegen“ auseinander geschrieben wird? Selbst Lehrer haben mit der neuen Zusammen- und Getrenntschreibung ihre Probleme, viele Journalisten vertrauen auf die Korrektur.
Und so hievte Wulff den Rechtschreib-Wahnsinn so mühelos in die Schlagzeilen wie das zuständige Fremdenverkehrsamt von Loch Ness den Ursaurier Nessie. Zwei Wochen, nachdem Wulff bei der RTL-Show „Der große Deutschtest“ im Diktat nur eine „Zwei“ bekommen hatte, wummerte die „Bums“-Bild am Sonntag: „Erster Ministerpräsident will Rechtschreibreform kippen“. Noch pikanter: Kurz zuvor hatte Wulffs Kultusminister Bernd Busemann (CDU) in der Kultusministerkonferenz (KMK) dafür gestimmt, die Reform im kommenden August nach sechs Jahren Testphase verbindlich einzuführen.
Nun ja, auch die KMK bekam später ihr Fett von Wulff weg. Und auch bei diesem Punkt landete der Ministerpräsident auf dem Bauch. Als auch andere Ministerpräsidenten merkten, dass mit der „Schlechtschreib-Reform“ ein Blumenpott zu gewinnen sei, gewann das Ganze an Dynamik. Inzwischen waren ja auch Springer, Spiegel und die Süddeutsche Zeitung in seltsamer Einigkeit auf den Zug aufgesprungen.
Aber dabei sollte es auch bleiben: Weil ein Sommerloch-Thema im Herbst schon nach oller Kamelle müffelt, lehnten die Ministerpräsidenten schließlich das Ende der Reform ab. Auch viele CDU-Länderchefs fielen Wulff in den Rücken, was das Gemunkel um seinen Status als „Reserve“-Kanzlerkandidat relativieren dürfte. Und so schreiben heute die Bild, die Braunschweiger Stadtverwaltung und die CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag wieder wie dunnemals – und keinen kümmert‘s. Warum? Weil sich niemand von irgendwelchen Politikern oder Boulevardzeitungen vorschreiben lassen will, wie er „Schifffahrt“ buchstabiert. Und weil die zwischenstaatliche Kommission für deutsche Rechtschreibung immer wieder darauf hingewiesen hatte, dass sie vor Ablauf der Übergangszeit Zweifelsfälle klären will, bleibt eigentlich alles beim Alten.
Der frühere bayerische Kultusminister Hans Zehetmair hat am 17. Dezember den Vorsitz des „Rates für deutsche Rechtschreibung“ übernommen, um die „größten Schwachstellen der Reform“ bis zu den Sommerferien auszubügeln. „Ketschup“ oder „Restorant“ dürften wieder aus dem Duden gekickt werden, die Experten werden sich demnächst äußern – zum Glück noch im Winter.