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Archiv-Artikel

Die Bücher und die Politik

LINKE INSTITUTION Peter Haß vom Schanzenbuchladen-Kollektiv steigt nach 30 Jahren aus. Statt Bücher zu verkaufen, möchte er sie lesen. Und gegen die Gentrifizierung seines Viertels kämpfen

Haß wird sich nun dem Problem widmen, dass die Immobilienbranche das Viertel entdeckt hat

VON ROGER REPPLINGER

Als Peter Haß vor dem Buchladen in der Schanze steht, um fotografiert zu werden, gehen die Passanten vorbei und sagen: „Ohh“ und „hei“. Und heben, beim ersten „h“ von „ohh“, und beim „e“ von „hei“ ihre Stimme, um sie dann wieder fallen zu lassen.

Das hat mit dem Buch zu tun, das sich Haß geholt hat, und in die Kamera hält, und von dem er sagt, dass es wieder gekauft wird, weil es erneut aktuell ist. Haß hat auch den nachdenklich-revolutionären Gesichtsausdruck drauf, der zu dem passt, was da auf dem Buchdeckel steht: „Marx Engels Werke“.

Dreißig Jahre Buchladen in der Schanze, dreißig Jahre Haß. Der Buchladen macht weiter, der Haß nicht. Er ist 61 Jahre alt und statt Bücher zu verkaufen will er sie nun lesen. Der Laden bleibt den Prinzipien der Selbstverwaltung treu und allem anderem, wofür Haß steht.

Haß ist gelernter Bankkaufmann und muss lachen, wenn er daran denkt. Es fängt irgendwo an und endet ganz woanders. Im Jahr 1965 hat er bei der Dresdner Bank angefangen, im Jahr 1968 wackelte auch die Bank, eine linke Gewerkschaftsgruppe bekam bei den Betriebsratswahlen 40 Prozent der Stimmen, der Bankvorstand „las im Selbststudium Marx, um Argumente gegen uns zu haben“.

Er blieb bis 1977 bei der Bank, danach war er arbeitslos. Seine Freundin, zwei Kinder, von Beruf Erzieherin, arbeitete in einem Kinderladen in der Bartelsstraße. Dort hat Haß für die Kinder gekocht. „Wir haben dann gemerkt, dass es einen Nachholbedarf bei Kinder- und Bilderbüchern gibt, und bei Kinderbuchläden.“ Damals war der Autor und Illustrator Ali Mitgutsch mit seinen „Wimmelbilderbüchern“ erfolgreich und vermittelte darin ein „traditionelles Männer-, Frauen- und Familienbild“: Männer im Auto, Frauen am Herd.

Am 1. September eröffnete in der Bartelsstraße / Ecke Schanzenstraße der Kinderbuchladen. Bald kam ein Geschäft dazu, das pädagogisch wertvolles, gesundes Spielzeug anbot. Kinderbuchladen vorne, Spielzeugladen hinten, drüber Wohnung, insgesamt 300 Quadratmeter, Mietpreis: 500 Mark, die durch drei geteilt wurden. „Wir hatten uns vorgenommen, die 170 Mark Miete, die das kostete, einzunehmen“, sagt Haß, der für das Buchhalterische zuständig war, „das hat hingehauen“.

Damals gab es zehn linke Buchläden in Hamburg, für jede Gruppe einen: KB, Trotzkisten, KBW, Jusos. „Heute sind es noch fünf“, sagt Haß.

Schon im zweiten Jahr seiner Existenz erwirtschaftete der Laden mehr als die Miete, obwohl die Schanze damals noch ein Arbeiterviertel war. Das änderte sich, als Mont Blanc und Gewürzfabrik wegzogen und die Arbeiter mit. Große Wohnungen für erschwingliche Mieten wurden frei. „Studenten, linkes Volk sowie Migranten zogen ein“, sagt Haß. Es entstanden Initiativen, neue Läden, es gab mehr Lesepublikum.

Und es gab keinen anderen Buchladen. 1990 eröffnete Haß am Schulterblatt, neben der Roten Flora, seinen zweiten Laden. Die Miete war wesentlich höher als die für den Kinderbuchladen, „aber, verglichen mit heute, niedrig“. Der Laden blieb ein Kollektiv, mit einem GmbH-Vertrag, der festlegte: Jeder hat eine Stimme, egal wie viel Geld er in die GmbH eingebracht hat. Jeder wird Gesellschafter und Geschäftsführer, vier Tage arbeiten pro Woche, acht Wochen Urlaub im Jahr, Einheitslohn. Alle 14 Tage diskutiert das Kollektiv: vier Mitarbeiter vom Kinder- und Jugendbuchladen, sieben vom Schanzen-Buchladen. Der Lohn liegt bei der Hälfte dessen, was ein Facharbeiter verdient.

Der Laden ist eines der Zentren der Schanze: Info-Tauschbörse, Treffpunkt. Die politischen Gruppen, die etwas vorhaben, bringen ihre Plakate und Flyer vorbei. „Wir wissen es immer vorher“, sagt Haß. Das wird ihm, wo er doch aufgehört hat, dort zu arbeiten, fehlen. „Die vielen Menschen, die man dort jeden Tag trifft, auch“, sagt er. Die Leser, die erzählen, dass ein Buch Mist war, und ein anderes „cool“. Kunden wie Jeanette Langer, die fragen: „Was, das habt ihr nicht?“ Und andere, die sagen: „Was, das habt ihr?“

Der Laden hat Politik und Literatur zusammen gebracht, weil sie nicht weit auseinander sind. „Zum G-8-Gipfel in Heiligendamm haben wir sieben Busse gemietet“, erzählt Haß. Hundert Lesungen gab es in den 30 Jahren, 100 Zuhörer passen in den Laden, oft war er voll. Grass kam nicht bis zur Schanze.

Den Laden wird es weiter geben, trotz explodierender Mieten rundum, weil der Hausbesitzer sagt, dass sie hier bleiben und leben können. Haß wird sich nun dem Problem widmen, dass die Immobilienbranche das Viertel entdeckt hat. Widerstand organisieren. Auch der Schanzen-Buchladen merkt, was abgeht. Grundsätzlich werden hier alle Kunden geduzt, aber nun gibt es Kunden, die fragen pikiert: „Warum duzen Sie mich?“ Es gibt auch Kunden, die sagen: „Wenn Sie das Buch bis 14 Uhr nicht hier haben, dann gehe ich zu Thalia.“ Hätte sich früher keiner getraut, meint Haß, „weil Thalia Verrat bedeutete“.

Menschen mit hippen Brillen mögen den Schanzen-Buchladen und Haß verstaubt und uncool finden. Doch das hat mehr mit Mode als mit Wahrheit zu tun. Denn es steht geschrieben: „Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme, ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage.“ (Karl Marx)