: Die Arbeitsuchende
taz-Serie „Arbeit ist das halbe Leben“ (Teil 3): Die Serbin Bojana kam als Verkäuferin und Hauswartin jahrelang gut über die Runden. Nun sucht sie händeringend nach Putzjobs in der Nachbarschaft
VON ULRIKE LINZER
Sie kann es nicht aushalten, den ganzen Tag drin. „Ich will raus, ich will Arbeit“, schimpft Bojana *. Die 53-jährige Serbin redet schnell und temperamentvoll, manchmal zu schnell und so temperamentvoll, dass man sie kaum versteht. Die kleine schlanke Frau mit großen dunklen Augen und wilder Krause macht gleichzeitig Kaffee, bringt Hausschuhe und redet wie ein Wasserfall.
Zusammen mit ihrem Mann lebt sie in Wilmersdorf, ihr Sohn ist erwachsen, und sie versucht durch Putzjobs die knappen Finanzen der Familie aufzubessern. 22 Jahre hatte Bojana beim Edeka gearbeitet, kassiert oder an der Wursttheke verkauft. Vor sechs Jahren ist der Laden abgebrannt. Seither ist Bojana arbeitslos. Das Geld fehlt an allen Ecken, aber fast genauso vermisst sie den Kontakt zu Kunden und Kollegen. „Alle kannten sich, es war immer lustig. Und ich war die schnellste an der Wurstschneidemaschine.“
Weil die Rente ihres Mannes, der in einem Krankenhaus arbeitete, nicht für beide reicht, putzt Bojana mehrmals die Woche in der Nachbarschaft. Doch auch das genügt nicht mehr. Denn vor einem Monat wurde ihr nach 28 Jahren die Hauswartstelle gekündigt – der neue Eigentümer hat den Job an eine Firma vergeben. „Jetzt müssen wir noch zusätzlich 240 Euro für die Miete aufbringen. Das Geld wird knapp, ich muss noch mehr Putzjobs finden“, sagt Bojana und fasst sich ächzend an die Hüfte. Die macht nicht mehr alles mit. „Ich bin auch nicht mehr die Jüngste. Aber was nützt es, anderen geht es noch schlechter.“
Sie lebt in einer plüschig eingerichteten Erdgeschosswohnung, mit vielen Fotos, Nippes und Pflanzen. Obwohl das Wohnzimmer bis in den letzten Winkel vollgestellt ist, weiß Bojana immer, wo sie was versteckt hält. Zum Beispiel ihre selbst gemachten Kekse. Während sie erzählt, klettert sie auf einen Sessel, um aus dem obersten Fach des Bücherregals eine Dose mit Gebäck zu langen. Auch aus weiteren Depots kramt sie große Behältnisse hervor. „Ein jugoslawisches Rezept“, sagt sie, „in Jugoslawien habe ich auch immer viel gearbeitet.“ Wieder ein Gedankensprung. So flink wie die dynamische Person in schwarzen Leggins in ihrer Wohnung hin und her flitzt, hüpft sie auch in ihrer Erzählung. Eben noch redet sie über ihren Kumpels beim Edeka und im nächsten Moment schimpft sie auf ihren Chef im Zollbüro, bei dem sie als junge Frau geputzt hat.
Eigentlich wollte sie Frisöse werden, musste aber erst bei ihren Eltern auf dem Bauernhof helfen und dann wie ihre Schwester als Textilverkäuferin arbeiten. „Und immer so blöde Gummibänder abschneiden, einen halben Meter hier, einen Meter da. Dann bin ich abgehauen.“
Vor 30 Jahren hat sie ihr Mann aus Nis in Serbien mit nach Berlin genommen. „Mit Händen und Füßen und einem Wörterbuch habe ich versucht eine Arbeit zu finden.“ Ihr Mann half und hilft bei der Jobsuche. Nach knapp zwei Wochen hatte sie ihre erste Arbeit in Deutschland: als Putzfrau bei der Rohrreinigungsfirma, bei der auch ihr Mann angestellt war. Dann die Hauswartsstelle und Verkäuferin bei Edeka – über 20 Jahre lang ging es ihnen ziemlich gut. Sie konnte durch ihre Arbeit sogar Verwandte in Jugoslawien unterstützen. „Jetzt reicht das Geld vorne und hinten nicht. Dabei leben wir wirklich bescheiden.“
Bojana ist ständig auf der Suche nach Nebenverdiensten. Unterwegs in der Nachbarschaft hat sie in vielen Geschäften nachgefragt, im türkischen Gemüseladen einen Tag zur Probe gearbeitet. Aber die meisten können sich auch niemanden zusätzlich leisten. „Ich kann nicht gut auf Deutsch lesen und schreiben, deshalb kriege ich nur Putzjobs. Aber man darf sich für nichts zu fein sein“, sagt Bojana. Der Dreck anderer Leute mache ihr nichts mehr aus, „aber wie Dreck behandeln lasse ich mich nicht“.
Eine Frau beim Arbeitsamt habe sie einmal so arrogant abgefertigt, dass sie heulend und zeternd nach Hause gerannt und nie wieder hingegangen sei. Ohnehin hätte sie nur 23 Euro pro Monat vom Amt bekommen, das sei ihr die Schikane nicht wert. Sie erzählt all das, aufgebracht, doch sie schimpft und klagt und lacht abwechselnd. Bojana lässt sich nicht unterkriegen.
Sie sparen, wo sie können, um gelegentlich dem erwachsenen Sohn etwas zuzustecken. „Wir vom Balkan haben Energie. Ich kann nicht rumsitzen, ich muss was tun“. Und dann fügt sie wie aus der Pistole geschossen hinzu: „Ohne Fleiß kein Preis.“
* Name geändert