Heimat auf allen Kanälen

Heute (20.15 Uhr, ARD) läuft die letzte Folge „Heimat 3“. Das Nationalepos ist eine Enttäuschung. Aber musste die Serie nicht zwangsläufig scheitern in rückschauverliebten Zeiten wie diesen?

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Der Blick nach vorn ist heute Abend von grauen Winterwolken verhangen. Unten liegt der Rhein im Dunkel. Oben, über den Weinbergen, will selbst das romantische Fachwerkhaus – ein von jahrhundertealten Balken zusammengehaltenes Geschichtenarchiv – keine rechte Heimat mehr sein. Tränen kullern der erwachsen gewordenen Heldin über die Wangen. Es sind nicht die Regentropfen auf der Fensterscheibe. Aber die, die dort sitzt, ist ja längst auch keine Heldin mehr. Keine von denen, die selbst auf kargen Hunsrückhügeln noch Milch und Honig geerntet haben. Die eine Dirigentenlegende geworden sind. Oder ein Wirtschaftswunder.

Gegorene Mythen

Edgar Reitz lässt den letzten Teil seiner „Heimat“-Trilogie fatalistisch enden. Desillusioniert scheiterte auch die dritte Auflage seines Heimatprojekts. Nicht einmal drei Millionen Zuschauer gab es etwa am vergangenen Mittwoch anlässlich der vierten von sechs neuen Folgen zu notieren. Dafür müssten manche „Tatort“-Kommissare ihren Polizeiausweis abgeben – zumal, wenn zeitgleich auf Sat.1 ein wiederholter „Bulle von Tölz“ deutlich bessere Quoten erzielt, der ja auch einen kritischen Heimatdiskurs bestreitet, irgendwie.

Und genauso irgendwie nimmt sich das Fernsehen immer öfter der deutschen Geschichte, des deutschen Zeitgeschehens an, entwirft Geschichtsbilder als Bildergeschichten. Heimat ist längst auf allen Kanälen. Am kommenden Samstag wiederholt Sat.1 sein preisgekröntes „Wunder von Lengede“, das bei der Erstausstrahlung im November 2003 über elf Millionen Zuschauer fand. Aber so ein Ereignis macht auch einiges her: elf Bergleute, vierzehn Tage, in vierzig Metern Tiefe und mit Happy End. 50 Jahre lang ist der Mythos seither gegoren.

In Schabbach allerdings, in der „Hunsrück“-Heimat, blieb der Stollen verschüttet. Darin millionenschwere Kunstschätze, die einer ein halbes Leben lang gesammelt hat. Wer will, der mag darin eine Metapher vermuten, wo doch „Heimat 3“ zumeist jegliche Metaphorik mit zeitgeschichtlichen Offensichtlichkeiten nivelliert.

Wer nicht will, der könnte sich andere Fragen stellen: Wie zwangsläufig war das Scheitern der dritten „Heimat“? Warum funktioniert eine „Chronik der Gefühle“, von der Alexander Kluge gerne spricht (und als welche die erste „Heimat“-Staffel 1984 ins kollektive Mediengedächtnis eingegangen ist), nicht mehr? Können wir in unserer retrospektiven Epoche die Vergangenheit nur mehr in ihrer schablonenhaften Bildhaftigkeit verdauen? Selten jedenfalls war so viel Gestern wie heute.

Wie Retrotainment

Und vielleicht noch seltener haben wir uns so einfache Bilder vom Gestern gemacht. Vielleicht hat ja selbst Edgar Reitz nicht mehr an seine „Heimat“ geglaubt. Zu sehr gleichen seine Bilder immer wieder denen der Ostalgie-Shows und des Retrotainments: der Ossi im BRD-Nationaltrikot, die Trabbi-Kolonnen am Grenzübergang Helmstedt – und nirgends mehr eine zeichenhafte Distanz zu den Geschichtsklischees, wie sie für „Heimat“ so typisch war. Da blieb der Fackelzug der Nazis nur als Schattenriss erkennbar, projiziert auf eine Zimmerdecke, darunter das Spiel zweier Liebender. Da waren die politischen Verhältnisse immer zunächst erfühlbar. Und ein Dorf als Barometer einer Republik genügte.

Der wahrscheinlich gelungenste Geschichtsfilm der vergangenen Jahre war Christian Petzolds Terroristen-Requiem „Die innere Sicherheit“, das als Reisebeschreibung eines untergetauchten Terroristenpärchens bundesdeutsche Geschichte gerade dadurch erfahrbar macht, dass es sie ausgeblendet – und nur die Wunden und Narben dokumentiert, die jene Vergangenheit in der Gegenwart hinterlassen hat.

Letztlich sind es solche Perspektiven, die uns wirklich von einem Früher erzählen. Die das Bedeutende ausstellen, weil sie – mit dem Zeichentheoretiker Roland Barthes gesprochen – auf das Bedeutete verzichten. Ein Zuviel der Bilder hingegen macht aus dem Mauerfall eine Bad-Taste-Party, macht aus Andreas Baader jenen James Dean, als der er längst zur Ikone, zum zeichenleeren Bilddokument geworden ist. „Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner blickt es zurück“, hat Karl Kraus einmal gesagt. Mit den Bildern scheint es ganz ähnlich zu sein.