: Krisengeschäft Rechtsberatung
Die Bremer Arbeitnehmerkammer verzeichnet ein deutliches Plus an Rechts-Nachfrage. Im Kampf um Geld und Arbeit wird mit härteren Bandagen gekämpft
bremen taz ■ Rechtsberater können immer haarsträubende Geschichten erzählen. In Krisenzeiten werden sie drastischer und zahlreicher. So zählte die Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer im auslaufenden Jahr 2004 60.000 Rechtsberatungen in Bremen und Bremen-Nord. Dabei machten die 15 Juristen im Haus eine klare Tendenz aus: „Die Beschäftigten führen zunehmend einen Abwehrkampf“, sagt Kammerjurist Ingo Schierenbeck. Die Angst vor dem Jobverlust führe allerdings oft dazu, dass Beschäftigte sich viel gefallen lassen.
„Früher hatten wir viele Anfragen von Arbeitnehmern, die wissen wollten, wie viel ihnen an Weihnachtsgeld, Urlaub oder Sondertagen für Hochzeit beispielsweise zusteht“, erinnert er sich. Doch sei seit der Kündigung des Flächentarifvertrags im Öffentlichen Dienst offenbar ein Damm gebrochen. Immer mehr Ratsuchende seien mit gesteigertem Druck ihrer Arbeitgeber konfrontiert. „Darf mein Chef mir das auch noch wegnehmen?“ – so laute die Frage der Neuzeit, bilanziert Schierenbeck. Änderungskündigungen mit dem Ziel der Einkommensminderung nähmen zu. Zugleich wachse die Geduld Beschäftigter mit zahlungssäumigen Chefs. „Immer mehr Menschen warten sehr lange, bis sie wegen ausbleibenden Gehalts aktiv werden“, beobachtet die Kammer – und warnt zugleich: Die Agentur für Arbeit übernimmt im Insolvenzfall die Gehaltszahlung nur für drei Monate. Es sei sinnvoll, sofort Rat zu suchen – denn wer nicht handele, riskiere, selbst in die Schuldenfalle zu laufen, etwa weil er die Miete schuldig bleibe oder Kreditraten nicht mehr zahlen könne.
Auch bei den Verbraucherinsolvenzen beobachtet die Kammer einen bedenklichen Trend: „Nach einem ersten Prüftermin müssen die Betroffenen mit mehreren Monaten Wartezeit rechnen“, heißt es. Als leidiges Problem der jüngeren Zeit habe sich dabei die Haltung der Energieversorger gegenüber säumigen Zahlern erwiesen. „Zur Stromsperre kam es früher nur seltenst“, erinnern sich die Berater. Heute zählen sie mehrere Fälle pro Woche. Dabei werde es auch für die beratenden Juristen immer schwieriger, mit den Unternehmen zu verhandeln. „Betroffene geraten in die Warteschleife anonymer Call-Center“, sagt Schierenbeck. Die Folgen solcher Unternehmenspolitik belasteten nicht nur die Schuldner – sondern auch die öffentliche Hand. Denn wer zahlungsunfähig ist, stellt in der Regel einen Antrag auf Prozesskostenhilfe. Aber: „Dann wird aus einer eigentlich überschaubaren Angelegenheit eine Riesensache.“
Einen neuen Trend in Rechtsfragen hat unterdessen die Hartz-Reform hervorgerufen – nicht nur wegen undurchschaubarer Bescheide zum Arbeitslosengeld II. Das jedenfalls bemängeln die Berater: „Wer zu uns mit einem Bescheid kommt, um ihn überprüfen zu lassen, dem können wir kaum helfen“, räumen sie ein. Bewilligungskriterien seien unklar – und somit auch Widerspruchsmöglichkeiten dagegen. Darüber hinaus haben die Rechtsberater große Angst unter qualifizierten Arbeitslosen registriert. „Viele fürchten, sich zu dequalifizieren, weil sie nach den neuen Gesetzen jede Arbeit annehmen müssen.“ Darunter auch Minijobs – „die aber keine rechtlosen Arbeitsverhältnisse sind“, wie die Kammer betont. Auch hier stieg der Beratungsbedarf. ede