: Berlin in der Welt, die Welt in Berlin
Das war das Jahr 2004: Ein Regierender Bürgermeister spricht hier und da. Ein Senator stolpert über Zeltbauten. Ein Film begeistert die Juroren. Ein Palast wird wiederbelebt. Ein Park darf sich erholen. Eine Ausstellung lässt Millionen warten. Eine Mauer kehrt zurück. Ein Wochentag ruft zum Protest
VON UWE RADA
Begonnen hatte die taz ihre Berichterstattung im Januar 2004 mit einem Hilferuf. Drodzy Polacy, pomóżcie nam – liebe Polen, helft uns! Anlass war die Neujahrsansprache des Regierenden Bürgermeisters gewesen, der die Osterweiterung der Europäischen Union als das wichtigste Ereignis für Berlin im Jahre 2004 bezeichnet hatte. Und wirklich, die Polen haben uns geholfen. In einer ersten Bilanz zum Ende des Beitrittsjahres, so freute sich Wirtschaftssenator Harald Wolf, sei ein Zuwachs der Exporte Berlins in die Beitrittsländer von 23 Prozent zu verzeichnen. Tusch!
Kein Tusch dagegen für den Klaus Wowereit. Seinen Naujahrsworten ließ er keine Taten folgen. Den 1. Mai verbrachte er lieber im Schauspielhaus als an der deutsch-polnischen Grenze. Und in der Weihnachtsansprache 2004 war von der Osterweiterung schon keine Rede mehr.
Wenn man den Jahresrückblick unter das Motto „Berlin in der Welt – die Welt in Berlin stellt“, dann darf man ruhigen Gewissens noch einen Moment bei Wowereit verharren. Keiner hat im letzten Jahr schließlich Berlin so sehr im Ausland repräsentiert wie er. Oder besser: so sehr geschadet. Seine Rede von Berlin als „Tor zum Asien“ in Bangkok hat ihm nun den Titel „zweitpeinlichster Berliner des Jahres“ beim Tip eingebracht. Kein gutes Jahr also für Wowi.
Kein gutes Jahr auch für diejenigen Berliner, die im Novemver in die USA gereist sind, um die Abwahl von George W. Bush live zu erleben. Sie mussten schnell kapieren, dass die Wahl nicht an ihnen lag, sondern am battle state Ohio. Und der war weit weg von der Ostküste, von New York und Boston, wo sich die Berliner Bush-Gegner versammelt hatten. Am Ende blieb nur das Gefühl, einer Fluggesellschaft hunderte Euros umsonst in den Rachen geschoben zu haben und bei der Ausreise womöglich mit einem höhnischen Lachen verabschiedet worden zu sein.
Etwas besser hatten es dagegen die Amerikaner in Berlin. Sie mussten nach der Wiederwahl des US-Cowboys kein Flugticket mehr lösen, um in Europa zu sein. Und ist Berlin, neben Kanada natürlich, nicht ein wunderbarer Ort für US-Exilanten?
Das gilt natürlich auch für die Kunst. Die Welt in Berlin, das war 2004 auch und vor allem die MoMA-Welt. Von Februar bis September lockten die Bilder des New Yorker Museum of Modern Art 1,2 Millionen Besucher in die Nationalgalerie. Tusch! Ganz nebenbei hat Berlin damit Rom als Nummer drei der Touristenstädte in Europa überholt. Die Welt in Berlin ist zum Wirtschaftsfaktor geworden. Die Mitarbeiter der Berlin Tourismus GmbH werden noch lange mit Freude auf das Jahr 2004 zurückblicken.
Belebter Palast
Mit der Welt in Berlin begann 2004 auch die Zwischennutzung des Palastes der Republik. Im März kamen nämlich die Terrakottakrieger aus China nach Mitte. Ihnen folgten die Sophiensäle, das HAU und die Schrumpfenden Städte. Am Ende hatten die Zwischennutzer erreicht, was sie wollen. Die Debatte um den Abriss ist neu entbrannt. Selbst der SPD-Parteitag atmete einen Hauch von Weltläufigkeit und forderte, den Abbruch hinauszuschieben, bis die Finanzierung der Schlosskopie steht.
Aber Berlin ging auch hinaus in die Welt – und das gleich zu Beginn des Jahres auf der 54. Berlinale. Für viele überraschend gewann Fatih Akins „kleiner rockiger Film“ „Gegen die Wand“ die Filmfestspiele. Mit dabei auch Hauptdarsteller Birol Ünel, dessen Welt einmal der Straßenkampf auf der O-Straße gewesen war. Berlin schreibt Karrieren, und das ist nicht schlecht so.
Überhaupt, das Filmjahr 2004, es war nicht das schlechteste für die Stadt. Das gilt auch für die Neuverfilmung von „In achtzig Tagen um die Welt“. Gedreht wurde in Babelsberg und am Gendarmenmarkt.
Berlin in der Welt, das gilt natürlich auch für unseren Kanzler, auch wenn der seinen Wohnsitz in Hannover hat. Nur leider ist die Welt des Gerhard Schröder auf Moskau und Schlittenfreund Putin beschränkt. Da haben es die hunderttausenden Demonstranten der orangefarbenen Revolution in der Ukraine natürlich schwer, den deutschen Kanzler vom Gegenteil zu überzeugen. Erst recht, wenn es um eine EU-Beitrittsperspektive ihres Landes geht. So blieb es den ukrainischen Studenten in Berlin vorbehalten, für Orange in Berlin zu werben.
Ein Stück Welt in Berliner Umland wurde am 16. Dezember im brandenburgischen Brand eröffnet. Seitdem lockt das Tropical Island Tausende in die Südseeinsel. Dumm nur, dass das Wort tropisch schon anderthalb Wochen später nur noch ein Synonym für Katastrophe war. Zehntausende sind beim Beben in Südostasien ums Leben gekommen, darunter tausende Touristen. Berliner Asiaten bangen um ihre Freunde und Verwandten, Freunde und Verwandte bangen um die Berliner Touristen.
Gekreuzter Checkpoint
Gebannt schauen die Berliner auch wieder auf den Checkpoint Charlie. Dort, wo sich im Oktober 1961 einmal amerikanische und sowejetische Panzer gegenüberstanden, stehen sich nun Touristen aus aller Herren und Damen Länder die Füße in den Leib. Mit ihrem Erinnerungskabinett aus Holzkreuzen und Gedenkevent hat es die Chefin des Mauermuseums, Alexandra Hildebrandt, nicht nur geschafft, Klaus Wowereit im Ranking der peinlichsten Berliner auf Platz zwei zu verweisen. Sie hat den Checkpoint Charlie erst recht auf der inneren Landkarte der Berlintouristen verankert. Was tun?, fragen sich seither die Denkmalexperten und wissen keine Antwort. Bleibt nur die Hoffnung auf einen möglichst schnellen Verkauf der Grundstücke. Apropos Welt. Sollte dort nicht einmal ein American Business Center entstehen?
An Luftschlössern mangelt es wahrlich nicht in der Berliner Nachwendegeschichte. 2004 war dagegen das Jahr der Aufarbeitung derselben. Der Erste, der ihr zum Opfer fiel, war Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD). Er hatte sein Schicksal mit dem Tempodrom verknüpft und musste, wie das Zelt am Anhalter Bahnhof, in die „Insolvenz“ gehen. Seine Nachfolgerin Ingeborg Junge-Reyer hat daraus offenbar gelernt und gleich ein weiteres Millionengrab, die Topographie des Terros, wieder zugeschüttet.
Entrummelter Tiergarten
Apropos Millionengräber. Manche buddeln sie ja nicht einmal aus. Oder wie soll man das erste Jahr ohne Love Parade anders verstehen, als mit dem Technorummel einfach kein Geld mehr zu verdienen war. Der Tiergarten dankt’s. Nur die vielen Technofans aus dem Ausland hatten ein Berlinevent weniger zu beklagen. Wie viele von ihnen stattdessen in die Flick Collection gegangen sind? Blöde Frage, oder? Keineswegs! Eine tänzerische Einlage ist uns noch gut in Erinnerung – einmal Salto und dann Flickflack mit beiden Beinen hinein in die Kunst. So schön ganz Protest sein und auch ein bisschen verrückt.
Bleibt am Ende nicht nur der Rückblick, sondern auch die Ausschau. Das Jahr 2005 wird nicht mehr so schön polyglott sein wie sein Vorgängerkollege. 2005, das haben die Montagsdemos schon in diesem Jahr gezeigt, geht es nicht um die Welt, sondern ums Eingemachte, das Geld. Hartz IV und du bleibst hier, könnte man sagen. Der Einzige, der sich auch im nächsten Jahr nicht daran halten wird, ist Klaus Wowereit.