: Keine Kristallkugel, kein Kaffeesatz
Gabriele Hoffmann, 50, ist Wahrsagerin – und gibt dabei zu, dass sie sich auch einmal irren kann. Leute, die alles glauben, was sie sagt, findet die Berlinerin anstrengend. Da sind ihr Skeptiker viel lieber – vielleicht auch deswegen, weil sie ihrer eigenen Branche nicht recht traut
VON JANA SITTNICK
Das erste Mal ist es ihr passiert bei einer Familienfeier, da war sie acht Jahre alt. Da entdeckte sie ein streng gehütetes Geheimnis und sagte dem Vater auf den Kopf zu, er habe eine Geliebte. Vor der Mutter und allen Gästen.
Sie hat sich nichts Böses dabei gedacht, erinnert sich Gabriele Hoffmann, sie wollte eigentlich nur die Oma verteidigen, die weissagen konnte. Der Vater hatte sich über die alte Frau mokiert und dann seiner Tochter im Spaß die Hand hingehalten, damit sie darin lese. Tatsächlich „sah“ die Tochter mehr, als dem Vater recht sein konnte – eine „dicke Frau mit schwarz gefärbten Haaren und vier Kindern. Das war seine Geliebte.“ Es war die Wahrheit. Der überführte Vater tobte. Die Feier war vorbei.
Gabriele Hoffmann ist hellsichtig, seit ihrer Kindheit. Die Prügel hat sie überstanden und ihr Talent zum Beruf gemacht. „Damals, als mein versohlter Hintern brannte, brannte auch die Neugier auf das, was ich da probiert hatte.“ Neugier trieb sie an, weiterzumachen, denn sie wusste, dass sie Dinge sehen konnte, die andere nicht sahen. In der Schule sagte sie einigen Lehrern – ungefragt – Scheidungen voraus. Auf Sympathie stieß sie damit nicht. Mit zwölf Jahren habe sie von der Freundin ihrer Mutter das erste Honorar bekommen, erzählt sie, eigentlich ein Schweigegeld, weil sie „gesehen“ hatte, dass eins der beiden Kinder der Frau nicht von deren Ehemann war. Für zwanzig Mark versprach Hoffmann, nichts zu sagen. Die 50-jährige Berlinerin gehört zu den bekanntesten Wahrsagern Deutschlands. Die „Gabe“ der Hellsichtigkeit liege in ihrer Familie. Schon die Großmutter und die Urgroßmutter konnten wahrsagen. Mit Mitte zwanzig sagte Hoffmann Politikern und Prominenten die Zukunft voraus, zu Beginn ganz unbedarft, wie sie meint, und ohne Abgrenzungsstrategien, gegen Kritiker, Neider, gegen das Medieninteresse. Heute weiß sie sich besser zu schützen. Mehr als zwei Sitzungen pro Tag, in denen sie sich in Trance versetzt und in die Zukunft anderer schaut, macht sie nicht. Vorhersagen zum Jahreswechsel in Zeitungen und TV lehnt sie ab. Früher habe sie das gemacht, aus Eitelkeit, weil sie sich geschmeichelt fühlte. Doch auch hellsichtige Menschen irren. „Aber daran denkt niemand, die Presse giert zum neuen Jahr nach Vorhersagen, zu Schröder, zum Jackpot, und da ist manchmal Quatsch dabei, der sich nicht erfüllt.“ Es wäre ihr einfach zu peinlich, sich öffentlich zu irren, wie Elisabeth Tessier. Die berühmte Kollegin hatte für 2003 vorhergesagt, ein Komet würde auf Paris stürzen.
Seit 31 Jahren ist Gabriele Hoffmann als Wahrsagerin im Geschäft, und das Geschäft geht gut. Sie hat einen Berufseintrag bei der Industrie- und Handelskammer, ein elegantes Beratungszimmer in ihrer Altbauwohnung in Ku’damm-Nähe, wo sie ihre „Klienten“ empfängt, eine kontinuierlich gute Auftragslage und einen beachtlichen Prominenten-Kundenstamm. Die Liste der Berühmtheiten, die bei ihr im Laufe der letzten drei Jahrzehnte Rat suchten, liest sich wie ein etwas angejahrtes Who’s who der deutschen Unterhaltungsbranche: Hildegard Knef war bei ihr und Curd Jürgens, Helga Feddersen, Howard Carpendale, Ivan Rebroff, Udo Lindenberg, Dunja Rajter, Klausjürgen Wussow.
Die Wahrsagerin ist sich ihrer medientauglichen Reputation durchaus bewusst. Sie weiß, dass die Verbindung zur Prominenz imagefördernd ist. Sie bekomme mehr „allgemeine Anerkennung“, dafür sei sie dankbar. Als Promi-Wahrsagerin sieht sie sich allerdings nicht. „Zu mir kann jeder kommen, ich arbeite nicht für Eliten“, sagt sie. Opernsänger kommen zu ihr, Generäle, Nonnen und Verkäuferinnen. Den Schlüssel zu ihrem Erfolg sieht sie in der Qualität ihrer Aussagen. „Ich bin präzise.“
Gabriele Hoffmann, groß, schlank, rotblond, ist nicht das, was man sich unter einer Wahrsagerin vorstellt. Kein Weihrauch, kein Hexen-Appeal, keine Gruftie-Stimmung. Mädchenhaft und unprätentiös wirkt sie, trotz engem Strickkleid und hochhackigen Stiefeln. Sie hat Kaffee gekocht und berlinert ungeniert drauflos am schweren Holztisch in ihrer Altbauwohnung mit sieben Zimmern – „davon sind drei Geschäftsräume“ – sie erzählt gern von ihrer merkwürdigen Familie und den einfachen Verhältnissen, aus denen sie stammt. Eine Urgroßmutter, die „Stubenoma“, die nie ihre Couch verließ, habe vielen Leuten die Zukunft vorausgesagt und heilend die Hand aufgelegt. Die Großmutter stellte Salben her und legte Karten. Man hätte große Hoffnungen in sie, die Enkelin gehabt, wegen der „Gabe“.
In der Musikerfamilie mit sechs Kindern gab es dafür jedoch nicht allzu viel Raum. Der Vater spielte Piano in Tanzkapellen, das Geld reichte nicht, die Miete stand aus, man hatte oft nichts zu essen. Gabriele Hoffmann verpasste oft die Schule, weil sie von der Wohnung in Kreuzberg bis Schöneberg lief, um auf Baustellen leere Flaschen zu sammeln. „Wir hatten nicht viel, wir hatten oft Hunger, aber ich fühlte mich geliebt. Und bei uns war immer was los.“ Mit ihrer Schwester sang Gabriele Hoffmann im Duett, zu Hause und auf Tanzböden, leichte Lieder wie „Ich brauche keine Millionen“ – so schief, dass die Leute sich die Ohren zuhielten. „Der Vater wollte Stargeschwister aus uns machen.“ Als es aufhörte mit der Niedlichkeit, war auch die Bühnenkarriere beendet.
„Man erwartet so viel von Wahrsagern – Mystik, Zauberkunde, Unfehlbarkeit. Aber das ist Quatsch.“ Gabriele Hoffmann redet von Wahrsager-Klischees, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Sie arbeitet zum Erstellen der astrologischen Horoskope mit dem Laptop, nicht mit der Kristallkugel, sie hat keinen Zauberring und liest auch nicht aus dem Kaffeesatz. Natürlich irre sich auch ein Wahrsager hin und wieder. Skepsis und Kritik sei ihr ganz recht, jedenfalls lieber als jene übertriebene Gläubigkeit von Leuten, die alles Gesagte absolut annähmen. „Die gesunden Skeptiker sind mir lieber, weil die das Gesagte selbst nachprüfen, und sich das Wichtige aus dem Gesagten rausfiltern.“ Gläubige dagegen würden mit einer „Spannung“ alles verfolgen und aufsaugen, was sie sagt, und das sei anstrengend. Früher habe sie Angst davor gehabt, sich zu irren, jetzt könne sie damit besser umgehen. Das kommt mit dem Alter, sagt sie, die Gelassenheit. Sie hätte mit den Jahren mehr über sich selbst gelernt und größere Einsicht in den „Wesenskern“ der Menschen bekommen. Was früher aus Neugier geschah und einem prickelnden Machtgefühl – frei nach dem Motto „ich sehe was, was du nicht siehst“ –, geschehe heute aus dem Bedürfnis zu helfen. Hoffmanns Schau in die Zukunft will „Hilfestellung“ sein, die Gegenwart besser umzusetzen, nicht Sensation. Ihre Technik besteht darin, sich zu Beginn einer Sitzung mit einem „Klienten“ in Trance zu versetzten. Dazu legt sie Karten, als Ritual, „um den Kopf frei zu bekommen und mich in meiner eigenen Kraft zu zentrieren“. Wenn sie in Trance ist, „verschmilzt“ sie mit dem „Wesenskern“ ihres Gegenübers und sieht Bilder, die Traumbildern ähneln. Die Informationen in diesen Bildern gibt sie an den Klienten weiter. „Das, was ich sehe, soll den Menschen in ihrer konkreten Lebenssituation helfen“, erklärt sie, „meine Grundregel ist, wenn ich den Eindruck habe, dass ihnen die Information den Boden unter den Füßen wegzieht, sage ich es nicht.“ Ob man an Schicksal glaubt, an die Existenz von Übersinnlichem oder an die Vorhersehbarkeit der Zukunft, ist wohl eine persönliche Entscheidung. Fakt ist, dass das Bedürfnis nach Zukunftsschau und Schicksalsdeutung gegenwärtig groß ist, allen Mahnrufen aus wissenschaftlichen Milieus zum Trotz. So glaubt einer Forsa-Umfrage zufolge fast jeder zweite Deutsche an Horoskope und daran, dass die Sterne irgendwie unser Schicksal beeinflussen. Die Geschäfte von Astrologen, Hellsehern und Heilern blühen, rund 10 Milliarden Euro geben die Deutschen jährlich für ihr Seelenheil aus. Mit Tarotkarten, okkulten Riten und spirituellem Zauber wollen sie ihr Leben in die richtigen Bahnen lenken. Nicht selten kommt es dabei zu Kontakten mit fragwürdigen „Heilern“, die die (Selbst-)Erkenntnissucher ausbeuten, ihnen das Geld aus der Tasche ziehen und sie manipulieren.
Zu dem heiklen Thema gibt es keine klare gesetzliche Regelung. Zwar legte die Enquetekommission des Deutschen Bundestages zu „So genannten Sekten und Psychogruppen“ einen Gesetzentwurf vor. Darin soll durch eine deutlichere Kennzeichnungspflicht der verwendeten Inhalte und Methoden sowie der persönlichen Qualifikation der Anbieter der Esoterikmarkt transparenter gemacht werden. Doch der Entwurf der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe liegt bislang auf Eis.
In ihrem Gewerbe gäbe es viele Scharlatane, sagt Gabriele Hoffmann. Deshalb sei es wichtig, das eigene Urteilsvermögen einzusetzen. Deshalb mag sie die, die kritisch bleiben. Um den Rattenfängern nicht ins Netz zu gehen und auch nicht den eigenen Klischees.
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