: Gefährlich gestresste Pfleger
Pfleger eines privaten Mülheimer Seniorenheims klagen über Arbeitsbedingungen: Alte Menschen würden aus Personalmangel lebensgefährlich vernachlässigt. Neue Debatte über Privatisierung
von MIRIAM BUNJES
Manchmal liegen sie stundenlang im Nachthemd auf dem kalten Boden, erzählt Herbert Fischer. Oder sie rutschen im Schlaf zwischen die Gitter ihrer Betten und warten schmerzvoll verrenkt, bis dann doch ein Pfleger Zeit für sie findet. „Verstöße gegen die Menschenwürde sind hier an der Tagesordnung“, sagt der Betriebsratsvorsitzende.
Dabei sieht das Mülheimer Seniorenpflegezentrum Bonifatius eigentlich ganz schön aus von außen: Kleine Wohngruppen, helle Räume, Blumenbeete vor der Eingangstür. Das alles natürlich inklusive qualifizierter Pflege wird zumindest im Internet-Auftritt versprochen.
Daran hapert es gewaltig, sagen die Mitarbeiter. „Unsere Pfleger sind völlig überlastet“, erzählt Herbert Fischer. „Oft ist einer für 20 Bewohner zuständig, da dauert es manchmal Stunden bis Hilfebedürftige bemerkt werden.“ An den Wochenenden sei die Situation noch schlimmer: „Der Nachtdienst ist mit höchstens fünf Nachtwachen für mehr als 270 Senioren zuständig“, sagt Herbert Fischer. „Die schaffen oft nichtmals das Nötigste.“
Deshalb hat der Betriebsrat beschlossen, diese „alltäglichen Skandale“ öffentlich zu machen und exemplarische Arbeitsprotokolle an die städtische Heimaufsicht, die Heimleitung und die Presse geschickt.
Verwaltungsdirektor Henning Krey hält die Kritik des Betriebsrats für „aufgebauscht“. Es habe in letzter Zeit ein paar „unschöne Vorfälle“ im Pflegebetrieb des Heims gegeben. „Das liegt aber daran, dass viele Mitarbeiter zum Jahresende im Urlaub oder krank waren“, sagt Henning Krey. „Im Winter ist es normal, unterbesetzt und gestresst zu sein, denn auch die Bewohner sind häufiger krank.“
Der Krankenstand der Bonifatius-Pfleger ist allerdings ungewöhnlich hoch: Fast 20 Prozent im Dezember, runde 10 in den meisten anderen Monaten, so die Personalstelle. „Wir haben ein Motivationsproblem“, sagt der Verwaltungsdirektor zu den Zahlen. Zusätzlich würde die Unzufriedenheit von einigen Betriebsratsmitgliedern gezielt geschürt. „So dramatisch, wie sich das von Betriebsratsseite anhört, ist die Situation bei uns nicht“, versichert Henning Krey. „Natürlich brauchen wir eigentlich mehr Personal. Aber wegen der leeren Pflegekasse habe ich überhaupt keinen Spielraum mehr.“ Außerdem hätte der Medizinische Dienst der Krankenkasse viele Senioren in die Pflegestufe 2 eingestuft, die eigentlich in die betreuungsintensivste dritte Stufe gehörten. „Auch das ist normal und liegt an der leeren Pflegekasse“, sagt Krey. „Aber das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem und keins, das ich irgendwie lösen könnte.“
Ähnlich wie die Heimleitung reagiert auch die städtische Heimaufsicht auf die Klagen aus dem Pflegeheim. „Im Bonifatius ist es auch nicht schlechter als in anderen Altersheimen“, sagt Sozialamtsleiter Ulrich Bolten. „Die Kritik kommt in der Öffentlichkeit völlig falsch an.“ Und die reagiert in Mülheim ausgesprochen empfindlich auf das Thema Seniorenpflege, denn seit Monaten diskutiert der Rat der Stadt über eine mögliche Privatisierung der städtischen Altersheime. Die finanzschwache Stadt sieht darin fast ausschließlich Vorteile. Dass jetzt ein privates Pflegeheim – das Bonifatius Altersheim gehört zu der Maternus-Kliniken AG mit Stammsitz in Hannover – Negativschlagzeilen macht, ist Wasser auf den Mühlen der Kritiker: Die Mülheimer Grünen und die Gewerkschaft ver.di wollen im Februar ein Bürgerbegehren gegen das Vorhaben durchbringen. Sie befürchten, private Heime würden versuchen mit noch weniger Personal auszukommen.
Das öffentliche Schimpfen der Belegschaft stört auch die Heimleitung gewaltig. Betriebsratschef Herbert Fischer flatterte unlängst die Kündigung auf den Schreibtisch. „Offiziell wegen Manipulation am Zeiterfassungsgerät“, erzählt Fischer. „Aber eigentlich, weil ich hier der Staatsfeind Nummer Eins bin. Meinen Chefs und der Stadt Mülheim passt eben nicht, was ich zu sagen habe.“
Eine Entspannung der Situation ist bislang nicht in Sicht: Verwaltungsdirektor Krey will die Dienstpläne flexibler gestalten, um Engpässe an den Wochenenden zu vermeiden. Dieses Vorhaben blockiert der Betriebsrat bislang. „Unsere Arbeitsbelastung ist derart hoch, da muss man auch mal frei haben“, sagt Fischer. Helfen sollen auch so genannte Zeitkräfte. Auch die sind Herbert Fischer ein Dorn im Auge. „Das sind alles unqualifizierte Hartz IV-Jobber, die für einen Euro die Stunde offiziell nur im hauswirtschaftlichem Bereich eingesetzt werden, in Wirklichkeit aber im ganzen Haus arbeiten.“ Die schwierige Situation im Heim würde dadurch noch verschärft.