: Science-Fiction
Zu regierungskritisch? Der Schweizer Ringier-Konzern macht sich an rumänischer Vorzeigezeitung zu schaffen
Sie ist die unabhängigste und meistgelesene Qualitätstageszeitung Rumäniens, sie hat die am besten recherchierenden Journalisten, das Anzeigengeschäft läuft blendend. Evenimentul zilei (Das Ereignis des Tages) ist derzeit das unbestrittene Flaggschiff der rumänischen Presse. Ihr Besitzer, der Schweizer Pressekonzern Ringier, könnte also zufrieden und sogar stolz sein. Aber er ist es nicht. Im Juli wurde plötzlich und ohne Angabe von Gründen die populäre Fernsehsendung „Evenimentul zilei TV – Reporter inkognito“ gestrichen – ein von Journalisten des Blattes gemachtes Nachrichtenmagazin, in dem Woche für Woche Korruptionsaffären und Wirtschaftsverbrechen, Kindersklaverei und Menschenhandel in Rumänien aufgedeckt wurden.
Ende September entließ Ringier dann den Direktor von Evenimentul zilei. Am Tag vor Weihnachten schließlich musste Chefredakteur Dan Turturica gehen – wegen Managementfehlern, wie es bei Ringier vage hieß. Die Kündigung wurde nach einhelligem Protest der Redaktion zwar zurückgenommen, Turturica selbst jedoch zu einem zweimonatigen „Marktstudium“ in die ostrumänische Provinzstadt Bacau abkommandiert. Unter den Redakteuren herrscht Bestürzung, Turturica fühlt sich „wie in einem Science-Fiction-Film“. Die Redaktion von Evenimentul zilei droht Ringier mit Streik, falls die Maßnahme bis Ende der Woche nicht zurückgenommen wird. Bei Ringier ist über Gründe nichts Konkretes zu erfahren. Auch die Redakteure des Blatts können „nur spekulieren“. „Wahrscheinlich sollen wir ein Boulevardblatt werden“, sagt Turturica. „In Diskussionen mit dem Verlag ist uns immer wieder vorgeworfen worden, dass wir zu politisch seien, zu regierungskritisch.“
Ringier wäre nicht der einzige Pressekonzern aus dem deutschsprachigen Raum mit solchen Absichten. Im Herbst hatte die WAZ-Gruppe den Direktor der Bukarester Tageszeitung Romania libera abgesetzt und angekündigt, das regierungskritische Blatt „modernisieren“ zu wollen. Nach monatelangem Widerstand aus der Redaktion gab der Essener Konzern aber kurz vor Weihnachten 21 Prozent seiner Anteile an einen rumänischen Unternehmer ab. Die WAZ-Gruppe ist seitdem nur noch mit etwa 47 Prozent an der Romania libera beteiligt und will sich allein um wirtschaftliche Angelegenheiten des Blatts kümmern. Der Konflikt zwischen Ringier und Evenimentul zilei könnte anders ausgehen. Der Präzedenzfall liegt in Ungarn: Dort hatte Ringier im November die liberale Tageszeitung Magyar Hírlap dichtgemacht und den Namen kurz darauf an die Redaktion verkauft. Ob die Zeitung das überleben wird, ist unklar. KENO VERSECK