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: Am ersten von 1.000 Tagen

An Tag 1 von Hartz IV ist alles noch neu und aufregend: Das Arbeitsamt als Ground Zero des Sozialstaates

Im Arbeitsamt Charlottenstraße, schräg gegenüber der taz, stauten sich am Tag 1 von Hartz IV die darbenden Massen. Weinende Mütter mit Kind, schimpfende Kreuzberger Senioren und resignierte Jung-Leistungsempfänger jeglicher Couleur. Selbst die Nummernanzeige versagte hier. Nach zwei Stunden Warten wurden wir an die Nebenstelle in der Lindenstraße verwiesen. Das betraf alle Privilegierten, die schon einen Hartz-VI-Bescheid hatten. In meinem Fall 25 Prozent weniger Leistung. Aber noch nagen auch wir nicht am Hungertuch: Im Fahrstuhl steht neben mir eine piekfeine Kopftuchträgerin, mit der ich mir schnell einig bin: „Alles Kacke hier!“. Sie nickt, verlässt das Gebäude und steigt in einen wartenden Mercedes. In der Zehlendorfer Agentur wurden die Wartenden aufgefordert, für die Tsunamiopfer zu spenden.

In der örtlichen Hauptagentur von Pankow feierte man sogar auf den Fluren: Aktivisten des „Agenturschluss-Aktionstages“ verteilten dazu Sekt und Kaffee. Ein Stockwerk höher fand ein Konzert statt. Aber auch dort bekommt man nicht das bei Jung wie Alt so beliebte echte Geld, sondern nur einen Ausdruck mit den ALG-II-Bezügen, die noch auf dem „Bankweg“ sind.

Die Empörung hielt sich jedoch in allen Ämtern in Grenzen, dazu waren die vom Andrang überraschten Sachbearbeiter zu verunsichert, gerade so, als säßen wir alle im selben Rettungsboot. MATHIAS MILDNER