Stipe Mesić muss in die Stichwahl

Bei den Präsidentschaftswahlen in Kroatien liegt der proeuropäische Amtsinhaber vorne. Doch seine Gegenkandidatin Jadranka Kosor ist bei der zweiten Runde nicht ganz chancenlos. Sie setzt auf die Stimmen der unterlegenen Kandidaten

AUS ZAGREB ERICH RATHFELDER

Im Verlauf des Wahlabends wurden die Gesichter im Wahlzentrum des amtierenden Präsidenten Kroatiens, Stipe Mesić, immer länger. Denn nach einigen Stunden der Auszählung war der prognostizierte Wahlsieg für den 70-jährigen populärsten Politiker des Landes bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag auf 49,03 der Stimmen zusammengeschmolzen. Weil im ersten Wahlgang für den Sieg 50 Prozent der Stimmen erreicht werden müssen, wird ein zweiter Wahlgang nötig, der am 16. Januar stattfinden soll.

Obwohl die Herausforderin von der konservativen Regierungspartei „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ), die 51-jährige Jadranka Kosor, mit nur 20,18 Prozent ein mäßiges Ergebnis erreichte, geht sie als zweite Kandidatin nicht ganz aussichtslos in die Stichwahl. Denn die Stimmen für die meisten der ausgeschiedenen weiteren elf Kandidaten sind dem konservativen bis rechtsradikalen Lager zuzurechnen. Kosor hofft nun, dass sie die Wähler dieser Kandidaten für sich mobilisieren kann. Sie rechnet sogar damit, dass sich bei einer höheren Wahlbeteiligung – lediglich 51 Prozent der 4,3 Millionen Wähler gingen an die Urnen – ihre Aussichten noch steigern ließen.

Dabei hatte auch Kosor am Wahlabend schwere Stunden zu überstehen. Lange Zeit lag nämlich der bisher in Kroatien wenig bekannte US-amerikanische Geschäftsmann und Exilkroate Boris Mikšić in der Wählergunst noch vor ihr. Der noch vor wenigen Tagen mit lediglich 2 bis 3 Prozent der Stimmen gehandelte Mikšić erreichte sensationelle 17,80 Prozent und brach damit in die Domäne der großen Parteien ein. Indem Mikšić versprach, den Integrationsprozess Kroatiens in die EU zu verlangsamen und er sich auch weigert, mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zusammenzuarbeiten, traf er den Nerv vieler Wähler im konservativen Lager, die mit der proeuropäischen Regierungspolitik des Premierminister Ivo Sanader und seiner Kandidatin für das Präsidentenamt nicht mehr einverstanden sind.

Am rechten Rand der HDZ hat sich schon seit Monaten Unmut über die Regierungspolitik gesammelt. Mit dem Erfolg von Mikšić blieben jedoch die aus der HDZ ausgeschiedenen rechtsradikalen Kandidaten wie der bosnisch-kroatische Exgeneral Ljubo Ćesić Rojs (1,85) und der ehemalige Generalsekretär der Partei, Ivo Pasalić (1,82), weit unter ihren prognostizierten Möglichkeiten. Auch der Kandidat der Konkurrenzpartei HSP (Kroatische Partei des Rechts), Slaven Letica, blieb bei 2,6 Prozent stecken.

Dennoch könnten diese Stimmen bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen ausschlaggebend sein, vor allem, wenn es gelingen sollte, die konservativen Nichtwähler in den ländlichen Gebieten und in Bosnien doch noch zu mobilisieren. Nach wie vor nämlich dürfen die bosnischen Kroaten, die über eine doppelte Staatsbürgerschaft verfügen, bei den Wahlen in Kroatien mitstimmen.

Der von einem Mitte-links-Bündnis getragene Mesić eröffnete noch am Sonntagabend den Wahlkampf für die zweite Runde. Er verteidigte seine proeuropäische Politik und forderte die Bürger auf, an die Zukunft Kroatiens zu denken und sich bei allen Schwierigkeiten vor Augen zu halten, dass das Land ohne die europäische Integration noch weiter hinter die hoch industrialisierten Länder zurückfallen werde. Es gäbe keine Alternative zum bürgerlichen Rechtsstaat.

Auch Mesić hofft auf eine höhere Wahlbeteiligung. Denn viele seiner Wähler – vor allem in der Hauptstadt Zagreb – dachten, Mesić würde ohnehin gewinnen und nutzten die Feiertage für Kurzferien an der Adriaküste. Unabhängige politische Beobachter und ausländische Diplomaten sehen deshalb einen Wahlsieg für Mesić in der zweiten Runde als wahrscheinlich an. Denn Kosor und die Regierung Sanader wären angesichts ihrer proeuropäischen Ausrichtung nicht in der Lage, in so kurzer Zeit die konservativen Euroskeptiker für sich zu mobilisieren, wie es nötig wäre. Die Regierungspartei gerate mit der Stichwahl in eine politische Zerreißprobe, die Kosors Chancen minimiere, so die Diplomaten. Mittelfristig rechnen diese Kreise mit der Formierung eines neuen Rechtsblocks in Kroatien.

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