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Archiv-Artikel

Der Putzige

PRÄSIDENTSCHAFTSWAHL Köhler hat das Amt des Bundespräsidenten anders interpretiert als seine Vorgänger. Das politische Berlin, das er zunächst erzürnte, hat sich mit dem Machtlosen arrangiert. Beim Volk ist er beliebt, obwohl er sich mit dem Basiskontakt schwertut

Bundesversammlung

■   Am 23. Mai 2009 wählen 1.224 Wahlmänner und -frauen der Bundesversammlung einen der vier Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten.

■ Horst Köhler will für eine zweite Amtszeit kandidieren. Die SPD hat die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Gesine Schwan vorgeschlagen. Die Linke schickt den Schauspieler und Theaterregisseur Peter Sodann ins Rennen. NPD und DVU nominierten Frank Rennicke als Kandidaten.

■ Im ersten und zweiten Wahlgang ist die absolute Mehrheit erforderlich. Erst im dritten Wahlgang genügt die relative Mehrheit zur Wahl des Bundespräsidenten.

AUS BERLIN UND MAGDEBURG RALPH BOLLMANN

Jianguo Hong sagt es, als wäre nichts dabei. „Der das Land aufbaut“, bedeute sein Vorname wörtlich übersetzt, erklärt der Chinese. Es klingt, als hätten ihn die Leute aus dem Präsidialamt nur wegen seines Namens herbestellt. Oder als habe Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) den hohen Besuch aus Berlin nur deshalb hergelotst, damit er hier auf Hong trifft.

Beides stimmt nicht. Jianguo Hong arbeitet wirklich bei der Firma FAM Förderanlagen Magdeburg, er ist für die Betreuung von Großprojekten in Asien zuständig. Der exportstarke Betrieb, der Kohlekraftwerke oder Hafenanlagen ausrüstet, gilt längst als einer der wenigen Vorzeigebetriebe in dem strukturschwachen Bundesland. Schon der frühere Ministerpräsidenten Reinhard Höppner führte in seinem letzten Wahlkampf den damaligen Kanzler Gerhard Schröder hierher. Das war vor sieben Jahren.

Jetzt also Horst Köhler. Anders als Schröder macht er natürlich keinen Wahlkampf. Es ist einer jener Regionalbesuche, die der Präsident den Bundesländern regelmäßig abstattet. Aber es ist der letzte, bevor sich Köhler am 23. Mai in der Bundesversammlung zur Wiederwahl stellt. Ob er nervös ist? „Ich mach meine Arbeit“, sagt er auf dem Hof der Maschinenfabrik, umringt von Lehrlingen im Blaumann. „Es wäre nicht fair, wenn ich hierherkomme und nur über Berlin rede. Aber Nervosität, bezogen auf den 23. Mai? Fehlanzeige.“

Das Land aufbauen: Das ist es, was sich der Bundespräsident seit seinem Amtsantritt am 1. Juli 2004 vorgenommen hat. Damals war es durchaus Ansichtssache, ob das Land einen Aufbau nötig hatte. Köhler glaubte das. Am deutlichsten sagte er es vor knapp vier Jahren, als er per Fernsehansprache die Auflösung des Bundestags verkündete und dabei das Land in Trümmer redete. Nicht juristisch, sondern politisch begründete er, warum Deutschland dringend Neuwahlen brauche. „Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel“, sagte er – und, um die Dramatik des demografischen Wandels zu verdeutlichen: „Wir werden immer älter.“

Seit die große Krise ausgebrochen ist, könnte man wirklich von Trümmern reden und von Aufbau. Wie alle anderen, so ist aber auch der Präsident leiser geworden seither. Ende März schimpfte er in seiner Berliner Rede auf die Banker und forderte ein Ende des Wachstums. Vielleicht fügen sich die Gegensätze bei Köhler, der während der Fünfzigerjahre als Flüchtlingskind im schwäbischen Ludwigsburg sozialisiert wurde, in einer pietistischen Ethik des Verzichts zusammen.

Köhler tut sich schwer im Basiskontakt mit seinem Volk, auch an diesem Tag in Magdeburg. Hölzern wirken seine Fragen an die Anlagenbauer, dann schaltet sich der örtliche Ministerpräsident ein. „Darf ich mal was Indiskretes fragen?“, sagt Böhmer. „Haben Sie Flächentarif oder Haustarif?“ Haustarif, entgegnen die Chefs – die gerade noch beklagt haben, dass qualifiziertes Personal im Osten so schwer zu halten sei.

Nun aber lebt Köhler sichtlich auf. „Wenn’s schwieriger wird, würden Sie sagen, wir würden mal kürzertreten?“, fragt er voller Vorfreude auf die positive Antwort. Ja, sagt eine Mitarbeiterin, das gab’s schon mal. Der Präsident ist begeistert. Er wolle bei seinem nächsten Besuch in Süddeutschland erzählen, erklärt er nachher draußen vor der Tür, „was das hier für ein tolles Erfolgserlebnis ist“.

Vor ein paar Wochen hat das Berliner Museum für Kommunikation eine Fotoausstellung über den Präsidenten eröffnet. Es sind nur ein paar wenige Journalisten gekommen, die sich Aufschlüsse über Köhler erhoffen. Die Museumsdirektorin ist peinlich darauf bedacht, jeden Anschein der Parteinahme zu vermeiden. Von einem Wahlkampf habe sie doch nichts ahnen können, beteuert sie, als sie die Schau im Vorjahr geplant habe.

Kein anderer als der Bundespräsident könnte sich so viel Zeit leisten. Aus der gefühlten Bedeutungslosigkeit hilft ihm das nicht

Auf welchem der Bilder der Präsident am meisten bei sich gewesen sei, wird der Fotograf gefragt. Er verweist auf ein großes Farbfoto. Es zeigt Köhler im offenen Hemd, ein Glas Rotwein in der Hand, seine Frau neben sich. Sie sitzen auf einem Boot. Im Vordergrund Wasser, im Hintergrund Savanne. Der Abend eines Staatsbesuchs in Afrika, nach dem Ende des offiziellen Programms.

Afrika. Hier fühlt sich Köhler sicher, der in der deutschen Parteipolitik so fremdelt. Bei diesem Thema kann hierzulande nur eine Handvoll Leute mitreden. Es ist auch das Thema, das ihm womöglich grüne Stimmen in der Bundesversammlung einträgt – von der Entwicklungspolitikerin Uschi Eid etwa oder von den unabhängigen Wahlmännern und -frauen aus der Partei, von denen einer aus dem Senegal stammt.

Im vorigen Sommer lud der Präsident zum interkulturellen Dialog ins Schloss Bellevue. Es ist eine anspruchsvolle Runde, viele Wissenschaftler aus aller Welt und ein paar wenige Journalisten aus Deutschland und der Schweiz. Der Theologe Hans Küng ist dabei, dessen „Projekt Weltethos“ der studierte Tübinger Köhler schon lange bewundert. Der israelische Soziologe Shmuel Eisenstadt, der das Konzept der „vielfältigen Modernen“ durchgesetzt hat. Die Politikwissenschaftlerin Heba Raouf Ezzat aus Kairo, die mit Kopftuch und Laptop erscheint und deshalb gleich das meiste Interesse auf sich zieht.

Die Veranstaltung unterscheidet sich stark von jenen Tagungen, die Geisteswissenschaftler in Deutschland abhalten – und bei denen einheimische Männer über fünfzig unter sich sind. Der Kreis ist global gemischt. Bis auf Australien ist jeder Kontinent vertreten, die meisten Teilnehmer arbeiten außerhalb ihres Herkunftslandes, jede dritte Diskutantin ist eine Frau. Die jüngsten Teilnehmer sind 43 Jahre alt, der Älteste ist 85.

Vor allem aber hört Horst Köhler zu. Den ganzen Tag, von morgens um neun bis abends um sechs, nur kurz verschwindet er einmal nach draußen. Er sitzt am runden Konferenztisch und macht fleißig Notizen. Soziologische Theorien, theologische Erörterungen, historische Einordnungen.

Was er sich wohl aufgeschrieben hat? Viel ist es nicht, was an diesem Tag hängen bleibt. Wie so oft beim interkulturellen Dialog verläuft der Austausch freundlich, manches Kontroverse wird lieber ausgespart oder mit der Fachsprache des internationalen Wissenschaftsbetriebs unkenntlich gemacht. Manche Zeitung spottet anschließend über Köhlers Rat der Weisen. Kein anderer Politiker als der Bundespräsident könnte sich einen solch zeitraubenden Luxus leisten. Einen Weg aus der gefühlten Bedeutungslosigkeit weist ihm die Debatte allerdings auch nicht.

Um das Problem zu verstehen, hilft vielleicht hilft eine Diskussionsrunde in der Berliner Humboldt-Universität. Es ist der 22. Januar, die Debatte um Köhlers Wiederwahl hat gerade einen neuen Höhepunkt erreicht, weil sich die Freien Wähler nun doch nicht mehr auf Köhler festlegen wollen. Im Hörsaal geht es um einen seiner Vorgänger als Staatsoberhaupt. Über die Rolle des letzten Kaisers Wilhelm II. streiten dessen Biografen.

Wir haben bereits auf Lohn verzichtet, sagt die Mitarbeiterin aus Magdeburg. Der Bundespräsident ist von dieser Haltung begeistert

Anders als heute, da die Verfassung die Macht des Präsidenten klar begrenzt, war die Rolle des Monarchen damals unbestimmt. Einerseits war es längst Praxis, dass die Regierung die Geschäfte ohne Einmischung des Kaisers führte. Wilhelm schien das insofern auch zu akzeptieren, als er oft für Wochen fern der Hauptstadt weilte. Andererseits beschäftigte der Kaiser Politik und Medien immer wieder mit erratischen Einlassungen zum Tagesgeschäft. In Teilen der Öffentlichkeit machte er sich damit zum Gespött. Es stellte sich die Frage, wozu oberhalb der Regierung ein Repräsentant des Staatswesens nötig war – wenn er es nicht verstand, diesen Staat als Ganzes zu repräsentieren.

Köhler ist nicht Wilhelm. Aber ein Rollenproblem hatte auch er, zumindest in den ersten Amtsjahren. Bei seinem Vorgänger Johannes Rau hat das Publikum oft mitgelitten wegen seiner übergroßen Vorsicht. Köhler hat die Grenzen des Amtes ausgetestet. Mit seiner zweifachen Weigerung, Gesetze wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit zu unterschreiben, mit seinen Äußerungen zu tagespolitischen Fragen wie der Verlängerung des Arbeitslosengelds.

Die Bevölkerung nahm es ihm nicht übel, weil sie die Eingriffe als Attacken auf Politik und Parteien insgesamt verstand. Im Berliner Politikbetrieb hat es den Abstand zum Präsidenten vergrößert. Als ihm die Gegenkandidatin Gesine Schwan fehlerhaftes Amtsverständnis vorwarf, sprach sie nur aus, was viele denken. Auch bei der Union. Wobei der Umstand, dass Köhler auch die Kanzlerin und CDU-Minister ärgerte, den Groll bei der SPD zuletzt wieder dämpfte. Das politische Berlin hat sich mit dem Machtlosen ausgesöhnt.

Am Nachmittag seines Magdeburg-Besuchs geht Köhler in den Dom. Kurz vor dem Abschied gibt er noch ein Pressestatement. „Mir macht das Amt immer wieder Freude“, sagt er. „Es ist eine Gelegenheit, Menschen kennenzulernen. Das Schöne ist, die Menschen lassen sich darauf ein.“ Spricht’s – und geht über den menschenleeren Marktplatz zum schwarzen Wagen mit der Standarte.