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Archiv-Artikel

Jüdisches Zentrum vereint Jung und Alt unter historischem Dach

In Neuehrenfeld betreibt die Synagogen-Gemeinde Köln seit kurzem ein Wohlfahrtszentrum. Wo vor hundert Jahren ein hoch geschätztes Krankenhaus stand und in der Nachkriegszeit belgische Soldaten stationiert waren, spielen heute Kindergarten- und Grundschulkinder. Außerdem bietet das Zentrum alten Menschen 70 Pflegeplätze

KÖLN taz ■ Das „Jüddespidol“ war bei den Kölnern sehr beliebt. So nannten sie das 1908 eingeweihte und damals hochmoderne jüdische Krankenhaus in der Ottostraße in Neuehrenfeld. „Juden und Nichtjuden ließen sich hier gern behandeln“, erzählt Abraham Lehrer, Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln, die heute in dem umgebauten Gebäude ein Wohlfahrtszentrum mit Kindergarten, Schule und Altenheim betreibt.

Bis zur Einweihung des jüdischen Wohlfahrtszentrums war es ein langer Weg mit wechselvoller Geschichte. Nicht einmal ein halbes Jahrhundert lang konnten jüdische Ärzte im Jüddespidol praktizieren. Dann fielen die Schatten des Dritten Reiches auch auf den robusten Kölner Backsteinbau: 1942 räumten die Nationalsozialisten das Gebäude und verschleppten Personal und Patienten in Konzentrationslager. Anschließend zerstörten alliierte Bomben das Gebäude teilweise.

Nach Kriegsende entstanden in den Trümmern des Geländes die Neuanfänge der jüdischen Gemeinde. „Aber dann wurde die Synagoge in der Roonstraße wieder aufgebaut, und da es nur noch so wenige Juden in Köln gab, lohnten sich zwei Gemeindezentren nicht“, erzählt Abraham Lehrer. Die Ottostraße gab man deshalb auf. Das belgische Militär zog mit einem Hospital in das wieder aufgebaute Gemäuer und blieb hier bis 1995.

„Wir platzten in den 90er Jahren aus allen Nähten. Die Gemeinde wuchs, obwohl das direkt nach dem Krieg keiner für möglich gehalten hatte“, so Lehrer weiter. Vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion seien viele Juden nach Deutschland und auch nach Köln gekommen. Die Möglichkeit des Rückkaufs des Geländes in der Ottostraße sei da gerade recht gekommen.

Nach mehrjährigen Umbau- und Sanierungsarbeiten spielt sich hier seit 2003 wieder jüdisches Leben ab – generationsübergreifend. Denn das Wohlfahrtszentrum beherbergt nicht nur jüdische Einrichtungen für Kinder, sondern auch für Alte. Über 70 Pflegeheimplätze gibt es in der Ottostraße, 60 davon sind schon belegt. Seit kurzem auch von prominenten Bewohnern: Der 85-jährige Ernst Simons, Ehrenvorsitzender der Jüdischen Gemeinde und ehemaliger Kölner Regierungsschuldirektor, bezog mit seiner Frau Ans eines der Zimmer.

Das Wohlfahrtszentrum soll auch Begegnungsstätte sein. Vereine treffen sich hier, im Gebetsraum werden Gottesdienste gefeiert, und vor allem für die zugewanderten Juden ist es ein wichtiger Anlaufpunkt mit Angeboten, die vom Deutschunterricht bis zur Sozialberatung reichen. „Hier findet Integration statt“, sagt Lehrer. Aber das sei wie überall nicht immer einfach. So mache bei den Russlanddeutschen die große Zahl der Zugewanderten Probleme. Inzwischen werde auch im Kindergarten viel Russisch gesprochen. „Da dauert es länger, bis die Kinder Deutsch lernen.“ Die Synagogen-Gemeinde ist ganz offensichtlich seit einigen Jahren vor ganz neue Aufgaben gestellt, denen sie mit der modernen Infrastruktur eines solchen Zentrums gerecht zu werden hofft.

Die Neuehrenfelder Nachbarschaft hatte das Projekt zunächst mit Skepsis betrachtet. Nicht zuletzt wegen der aufwändigen Sicherheitsvorkehrungen rund um das Gelände. Auffällig sind die vielen Kameras, die Polizeistreife, die regelmäßig patrouilliert, und der Sichtschutz aus schwarzem Tuch, der nächstes Jahr durch eine schusssichere Mauer ersetzt werden soll. Nach einem Tag der offenen Tür seien aber viele Vorbehalte ausgeräumt worden. „Einige unserer nichtjüdischen Nachbarn haben danach sogar ihre Kinder im Kindergarten angemeldet“, freut sich Lehrer. Und demnächst sollen im Jüdischen Wohlfahrtszentrum Kulturveranstaltungen auch für Nichtjuden stattfinden. Das werde ein gutes Nebeneinander weiter fördern. Ein Besuch des Zentrums könne zeigen, dass „hier drinnen alles ganz normal aussieht“. CHRISTIANE MARTIN