Chirac zieht Referendum vor

In Frankreich soll bereits im Frühjahr über die europäische Verfassung abgestimmt werden. Davon erhofft sich der Staatspräsident bessere Chancen der Befürworter

PARIS taz ■ Je schneller, desto „oui“. Nach diesem Motto beschleunigt der französische Staatspräsident die Prozedur für das Referendum über die europäische Verfassung. Bei seiner Sylvesteransprache hatte Jacques Chirac die Kampagne eröffnet und sich selbst an die Spitze der Oui-Sager gestellt. Am Montag, bei der ersten Regierungssitzung im neuen Jahr, bläute er seinen MinisterInnen ein, dass er von ihnen „persönliches Engagement“ für ein „Oui“ erwarte. Und schon sehr bald will er – zusammen mit den Vorsitzenden sämtlicher Parteien – die Modalitäten für den Urnengang festlegen.

Ursprünglich hatte Chirac „die zweite Jahreshälfte“ für das Referendum anvisiert. Doch nun soll die Abstimmung, bei der die Franzosen sich für oder wider den europäischen Verfassungsvertrag aussprechen dürfen, noch vor der Sommerpause stattfinden. „Voraussichtlich am Ende des Frühlings“, so Justizminister Perben. Als Voraussetzung für das Referendum ist eine Änderung der nationalen französischen Verfassung nötig. Sobald sie abgeschlossen ist, kann das Datum für das Referendum bestimmt werden.

Ein entsprechendes Gesetz, das Frankreichs Verfassung den europäischen Bedürfnissen anpassen soll, ist am Montag dieser Woche bereits vorgestellt worden. Ende Januar kommt es ins Parlament. Im März könnte es in Kraft treten. Unter anderem sieht dieses Gesetz vor, dass die Franzosen zu jeder künftigen EU-Erweiterung in einem neuen Referendum befragt werden. Auch zur Türkei.

Die Eile, mit der Chirac – und alle anderen französischen „Oui“-SagerInnen – jetzt zu einem Referendum drängen, hat viele Gründe: Sie möchten den Aufwind nutzen, den ihnen die positiv verlaufene parteiinterne Abstimmung bei den SozialdemokratInnen gibt. Sie möchten eine weitere Vermischung der Debatten über die EU-Verfassung einerseits und den Türkei-Beitritt andererseits verhindern. Und sie haben einen taktischen europäischen Terminkalender im Hinterkopf. Danach sollen die FranzösInnen möglichst positiv über die EU-Verfassung abstimmen, bevor die WählerInnen anderer europäischer Länder – zum Beispiel in Großbritannien – sie auf andere Ideen bringen könnten.

Wie einst sein Amtsvorgänger François Mitterrand, der 1992 die Zustimmung zu den Maastrichter Verträgen zu seiner persönlichen Angelegenheit machte, setzt sich jetzt Chirac für die europäische Verfassung ein, die in Frankreich „Verfassungsvertrag“ genannt wird. Er weiß, dass er es sowohl auf der Linken als auch in seinem eigenen politischen Lager sowie bei sämtlichen Rechtsextremen mit zahlreichen GegnerInnen zu tun hat. In seinen Verteidigungsreden greift er ihre Argumente auf. Laut Chirac werde Frankreich durch den EU-Verfassungsvertrag stärker, werden die sozialen Rechte und die öffentlichen Dienste in Europa gestärkt und das nationale Parlament erhalte zusätzliche Kompetenzen in europäischen Fragen – dank der jetzt laufenden französischen Verfassungsänderung.

Ob es dem Staatspräsidenten gelingt, seine Landsleute für das EU-Thema zu begeistern, ist fraglich. Die kommunistische Zeitung Humanité fand zwar mit einem Sonderdruck des kompletten EU-Verfassungsvertrages einen ungewöhnlich reißenden Absatz. Doch außerhalb der Politzirkel in den Parteien interessieren sich auch in Frankreich bislang nur wenige für die Details des EU-Verfassungsvertrages, der demnächst in millionenfacher Auflage an die Haushalte verteilt werden soll.

DOROTHEA HAHN