: Notarzt-Diagnose: „Ertrinken“
Drogendealer im St.-Joseph-Krankenhaus ist wahrscheinlich hirntot. Notarzt berichtet: Dem Mann wurde bei der Polizei so viel Wasser in den Magen gepumpt, dass es in die Lunge drang. Innensenator stoppt Brechmitteleinsatz bis auf weiteres
Bremen taz ■ Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) hat gestern den zwangsweisen Einsatz von Brechmitteln bis auf weiteres ausgesetzt. Grund hierfür ist das Gedächtnisprotokoll des Notarztes, der in der Nacht des 27. Dezember im Polizeipräsidium dabei war, als ein mutmaßlicher Drogendealer aus Sierra Leone nach zwangsweiser Verabreichung von Brechmitteln ins Koma gefallen war (siehe taz von gestern). Dem Mann sei soviel Wasser in den Magen gepumpt worden, dass er es nicht mehr aufnehmen konnte und das Wasser in die Lunge eindrang, „und zwar in solchen Mengen, dass ein Stillstand der Atmung eintrat“, so formuliert es der Anwalt des Notarztes. Noch an Ort und Stelle sei der Hirntod eingetreten. Die Diagnose des Notarztes: „Ertrinken“.
„Diese außergewöhnlich brutale Methode ähnelt eher einem langsamen Ertränken,“ so Anwalt Andree Osterwald, und: „Es ist davon auszugehen, dass der Geschädigte an den Folgen der Behandlung sterben wird, falls dies nicht inzwischen geschehen ist“. Das St. Joseph-Krankenhaus, auf dessen Intensivstation der Mann seither liegt, machte gestern keine Angaben zu seinem Gesundheitszustand. Innensenator Thomas Röwekamp hatte noch am Dienstag in buten un binnen behauptet, der Mann leide unter einer schweren Vergiftung und sei nicht mehr in Lebensgefahr. Dazu hatte der Senator erklärt: „Den Schaden hat er sich selber zuzuschreiben.“
Der Mann aus Sierra Leone hatte bei einer Kontrolle am Sielwalleck Drogenkügelchen geschluckt – insgesamt sieben Kügelchen mit je 100 Milligramm Kokain. Die sollten als Beweismittel wieder heraus. In einem speziell dafür ausgerüsteten Raum im Polizeipräsidium haben zwei Beamte den sich heftig wehrenden Mann fixiert, während ein Arzt vom Beweissicherungsdienst dem Mann eine Magensonde legte und ihm ein Brechmittel sowie Wasser verabreichte. Mit Geräten wurden seine Vitalfunktionen überprüft. Als eines davon ausfiel, alarmierte der Arzt den Notarzt. Der kam und bestätigte, dass die Werte des Mannes in Ordnung waren. „Der Mann wirkte sehr erschöpft“, erinnert sich der Notarzt, „der Kollege versicherte, er habe da Erfahrung, dieses Klientel würde immer so tun als seien sie bewusstlos, um ein Ende der Maßnahmen zu erreichen.“ Der Polizeiarzt bat den Notarzt zu bleiben, weil die Magenspülung noch nicht beendet sei. „Der Kollege legte dem Mann eine Magensonde und befüllte diese mittels einer sehr großen Spritze mit Leitungswasser. Er füllte drei oder vier Spritzen hinein und ich erkundigte mich, ob er das Wasser auch wieder ablassen wolle. Er antwortete, er werde den Magen so weit mit Wasser befüllen, bis der Patient erbricht. Sowohl der Kollege wie auch die beiden Polizeibeamten vermittelten den Eindruck, als sei dies absolut übliches Vorgehen.“ Das wurde mehrfach wiederholt. Dann „wirkte der Mann sehr matt und einem der Polizisten fiel auf, dass er nur noch sehr flach, fast gar nicht mehr atmete“. Da versuchte der Notarzt die Reanimation, die ihm – zu spät – gelang.
„Sehr ernsthafte Fragen“ werfe diese Darstellung auf, so Senator Röwekamp gestern, „sehr ernste Zweifel, ob die Verabreichung richtig erfolgt ist.“ Von einer Vergiftung gehe er nicht mehr aus. Auch die Darstellung des Polizeiarztes und dessen Vorgesetzten, des Gerichtsmediziners Dr. Michael Birkholz, der Mann habe Erbrochenes verschluckt und es entgegen menschlicher Reflexe nicht wieder ausgehustet, gehört zu dem, was nun „ernsthaft geprüft“ wird. Die Staatsanwaltschaft ermittelt erst seit Dienstag – vorher hatte sie von dem Vorfall offenbar nicht erfahren. sgi