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Archiv-Artikel

„So was wie Acidprop“

Er sammelt Müll vor der Haustür, schüttelt die Realität und schaut, was dabei herauskommt. Ein Gespräch mit dem Hildesheimer Filmemacher Wenzel Storch über seinen neuen Film „Die Reise ins Glück“, Trash und bekloppte Klischees

INTERVIEW FRANK SCHÄFER

taz: Herr Storch, „Die Reise ins Glück“ ist Ihr erster 35-mm-Film. Ihr Status hat sich gefestigt. Rechnet es sich denn mittlerweile?

Wenzel Storch: So kann man das nicht sagen. Die Situation ist die, dass durch die Produktion ein riesiger Schuldenberg entstanden ist. Die Möglichkeiten, die man hat, den abzutragen, sind ja nur: Kinoauswertung, DVD – wir bereiten auch gerade was vor für den Herbst 2005, stellen die Making-ofs meiner drei Filme zusammen etc. – und Fernsehen, und das hängt natürlich sehr davon ab, wie der Film im Kino gelaufen ist, weil die längst nicht mehr alles kaufen.

Und Trash-Filme schon mal gar nicht. Darf ich dieses Attribut für Ihre Arbeit überhaupt verwenden?

Ich kann damit leben, aber anfangen kann ich nichts damit. Das ist so ein abgenudelter Begriff wie Kult. Er wird wahllos allen möglichen Sachen aufgedrückt. Ich kann deshalb damit leben, weil die Russ-Meyer-Filme, als sie hier Anfang der 80er-Jahre ins Kino kamen, ebenfalls als Trash angeboten wurden, obwohl sie mit Trash absolut nichts zu tun haben. Es sind ja teilweise extrem kunstvolle Filme.

Sie wissen schon, was ich meine. Nennen Sie es Camp oder Bad Taste oder wie auch immer. Dieses fast verwaiste Genre, das von Leuten wie Ihnen, Jörg Buttgereit und Christoph Schlingensief gepflegt wird.

Die Parallelen zu Buttgereit und Schlingensief bestehen meines Erachtens darin, dass die ihr eigenes Universum schaffen, das nicht irgendwelchen äußeren Vorgaben gehorcht oder dem Geschmack eines Produzenten. Die machen extreme Sachen, die eine eigene Handschrift tragen – und das ist etwas, was man im deutschen Kino nahezu überhaupt nicht findet. Es gibt doch nur Filme, die völlig austauschbar sind, man sieht immer dieselben Gesichter, die über die Leinwand wackeln, es gibt einen Standardhumor, der sich etabliert hat, der darf auch ruhig ein bisschen geschmacklos sein inzwischen, und trotzdem ist der auf eine seltsame Art total gefällig. Bei Buttgereit und Schlingensief überhaupt nicht, da ist bei jedem Film zu sehen, warum die das gemacht haben, die Energie, die da drinsteckt.

Extrem sind Sie auch – etwa in Ihrer Kirchenkritik. Diesmal gibt es einen Cumshot direkt in den Beichtstuhl. Das ist zwar nur eine Trickszene, aber das wird den katholischen Filmdienst ordentlich schäumen lassen.

Die haben sich ja über „Sommer der Liebe“ aufgeregt und gefragt, warum da nicht mal jemand guckt, dass ich mir mit Steuergeldern regelmäßig die Kirche auf diese Art vorknöpfen darf, obwohl die ja kaum vorkommt in dem Film. In „Der Glanz dieser Tage“ sehr wohl … Jetzt kommt sie nur einmal kurz vor, wird einmal kurz durchgefickt, und dann ist es das auch gewesen.

Es fällt auf, dass dieser Film Geld gekostet hat, die Ausstattung ist opulent. Das war Sinn und Zweck …

Ja, viel Geld auszugeben.

einen Ausstattungsfilm zu drehen?

Man weiß vorher nicht, wie es später aussieht. Wenn ich das vorher schon wüsste, hätte ich überhaupt keine Lust anzufangen. Wenn ich nur nach einem inneren Bild oder Foto etwas zusammenbasteln müsste, wäre das eher uninteressant. Diese drei Filme transportieren ja einen bestimmten Blick auf die Realität. Das Prinzip ist, Gegenstände aus der Wirklichkeit zu nehmen, einzusammeln und daraus eine neue Wirklichkeit zusammenzubauen, das ist ja in allen drei Filmen so. Das katholische Wunderland in „Der Glanz dieser Tage“ ist aus dem Scheiß, der vor unserem Haus herumlag, zusammengebastelt, die Siebzigerjahre sind aus Sperrmüllresten entstanden, und in dem Schloss aus „Die Reise ins Glück“ entdeckt jeder Bauer und jeder Automechaniker Teile, die er in seinem Schuppen oder seiner Werkstatt stehen hat.

Und das Ergebnis ist dann reine Kunst. Das Gegenteil von Message.

Naja, Agitprop ist es nicht gerade, aber vielleicht so was wie Acidprop. Es war auffällig auch bei der internationalen Premiere in Montreal, dass sofort diese LSD-Assoziation kam. Und jeder, der schon mal Trips geworfen hat, wird da viel wiedererkennen, von der Art und Weise, wie sich Realität plötzlich verändert. Insofern kann man die Filme schon als so eine Art Agitprop für einen anderen Blick auf den Alltag sehen. Aber wenn man hier eine Botschaft sucht, dann hat man wohl wenig Chancen. Ich will diesen Blick auch gar keinem nahe bringen, ich will ihn nicht anleiten.

In dem Film gibt es eine schwarze Bordkapelle, das sind angetünchte Weiße. Ist das eine bewusste Anspielung auf die Minstrel-Shows?

Ich hatte zunächst Sorge, dass die mir das in den USA als Rassismus auslegen könnten mit ihrem PC-Quatsch da drüben, aber die hatten überhaupt kein Problem damit. Auf dem Filmfestival in Chicago hat mich jemand bei der anschließenden Publikumsdiskussion gefragt, ob wir in Deutschland eine Minstrel-Kultur hätten. Das war die einzige Frage zu dem Thema. Der Ausgangspunkt war der: Wir haben ja mit den Kulissen angefangen. Wir wollten ein Schloss, und wir wollten ein Schiff, und dort wollten wir ein Bordkino und eine Bordkapelle haben. Dass es eine farbige Kapelle sein würde, war am Anfang gar nicht klar. Die Kulissen waren fertig, und wir mussten die Darsteller da irgendwie hineinbekommen, und da hatten wir nun das Problem, dass die verkleidet immer so karnevalsmäßig aussahen. Wir hatten zum Beispiel auch eine orientalische Variante, mit Turbanen und Schleiern etc., das wirkte nicht, und dann kam uns diese Idee mit den Eingeborenen. Es stellte sich bald heraus, dass es gut kommt, wenn man etwas pummelige Frauen anmalt, weil die sich besser in dieses bauchige Schneckenschiff einfügen. Das war zunächst also eine rein optische Entscheidung. Und dann finde ich es immer sehr gut, wenn man mit solchen bekloppten Klischees hantiert. Man hat dann später immer den Eindruck, das sei alles von vornherein geplant gewesen, Anspielung auf Minstrel-Shows und so weiter. Von außen kann man schön mutmaßen, was das alles bedeuten könnte.

Und was ist, wenn diese vermeintliche Anspielung zum maßgeblichen Bestandteil einer Exegese wird?

Das wird auch kommen.

Und wie stehen Sie dem gegenüber?

Mit freudiger Erwartung. In dem Moment, wo der Film erscheint, kann man lesen, was man gemacht oder angeblich gemacht hat. Da sind Sachen dabei, die es erstaunlich treffen. Wenn etwa eine Analyse des Films präsentiert wird, die man so nie hätte selbst formulieren können, auf die man im Grunde gar nicht gekommen wäre, die aber auch stimmt. Aber es ist mir im Grunde egal, wie das einer in Worte fasst oder wie einer, der nur Flöte spielt, mir das musikalisch übersetzt, im besten Fall ist es unterhaltsam für mich. Das hat aber mit dem Grund, warum ich das mache, natürlich nichts zu tun. Das verändert auch nicht meinen Blick auf die Sache. Man kriegt natürlich auch den unmöglichsten Scheiß vorgesetzt, da schreiben Leute, die meine Filme wie durch Glasbausteine sehen.

Es gibt eben Unterschiede in der Wahrnehmung.

Ja, nehmen wir mal die Gegenseite: Wie ich bestimmte Dinge sehe. Der Film mit Bruno Ganz, „Der Untergang“. Ich habe das Spiegel-Titelbild gesehen und habe es nicht geglaubt. Bruno Ganz mit seiner Kartoffelnase wird da ein Hut aufgesetzt und ein Chaplin-Bart angeklebt, und man liest überall, das sei so unglaublich echt und authentisch. Die sehen einfach gar nicht, wie grotesk das Ganze ist, jetzt mal völlig unabhängig davon, was das politisch bedeutet. Was ich damit nur sagen will, die Art und Weise, wie ich auf diesen Film blicke, ist kilometerweit entfernt von dem, wie er eigentlich gemeint ist und wie er landläufig verstanden wird. Und insofern muss ich davon ausgehen, dass es Leute gibt, die mit einem ähnlichen fremden Blick auf das gucken, was ich da mache.

Ärgern Sie die daraus resultierenden und auch bei der „Reise ins Glück“ erwartbaren Verrisse noch?

Es gibt Verrisse, über die man sich total freut, weil die so lustig sind. „Ein Schundprodukt aus der Unterhose gefilmt“ und solche Sachen, das ist schon klasse. Was ich gut finde, ist, wenn man Leute direkt erreicht. Und es gibt Verrisse, bei denen merkt man, man hat die Leute total getroffen. Und das ist gut. Manche ärgern einen auch, klar. Vor allem, weil man davon abhängt, weil man einfach ein paar Leute in den Film kriegen muss.

Sie benutzen vorgefundene Sprache, also diese alte Märchendiktion, leicht ironisch aufgeraut, alte Phrasen und Idiome, aber auch einen überkommenen Jugend- und Szeneslang. Sprachschrott, wenn man so will …

Ja, wenn man das mal rein formal betrachtet, könnte man sagen, dass auf der sprachlichen Ebene geschieht, was auf der visuellen auch passiert: Aus vorgefundenem Material wird etwas zusammengebaut. Das ist in allen meinen Filmen so. In „Glanz dieser Tage“ ist jeder fünfte Satz aus einem katholischen Buch geklaut. Und beim nächsten Film habe ich mir dann gedacht, das könnte irgendwann Ärger geben, wenn diese Autoren ihren Scheiß dann mal in einem Film aus dem Mund von Jürgen Höhne [dem Hauptdarsteller aller Filme Wenzel Storchs] hören, also habe ich mir mehr selber ausgedacht. Ich nehme die Realität und schüttele und schaue dann mal, was dabei herauskommt.

Aber das ist ja schon nicht mehr die Realität, das ist ja schon vergangene, verrottete, kaputte Wirklichkeit.

Das ist das Gegenteil von dem, was einem früher die Eltern immer erzählt haben: Wie die Realität ist und wie schön alles ist. Man zieht einen Anzug an und dann geht man dahin, wo man seinen Beruf hat. Da arbeitet man schön, und dann geht man abends nach Hause und spielt mit der Ehefrau Halma.

Das haben Ihnen also Ihre Eltern erzählt.

Jedenfalls ist es so bei mir angekommen.