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Archiv-Artikel

Verklärung des letzten Augenblicks

Totenmasken für die Hinterbliebenen: Bildhauer Holger Schmidt will den Übergang vom Leben zum Tod begreifbar machen

VON JUDITH LUIG

Des Menschen Tod bezeichnen wir als Erlösung. Und wirklich folgt dem letzten Atemzug alsbald ein fast überirdisches Lächeln. Allen Leides enthoben, vollbracht! Wie eine Erfüllung, eine Vollendung als das höchste Moment des Lebens erscheint so das Sterben. Solange das Blut noch warm ist, die Muskeln noch wach sind, zeigt sich, wie in einem letzten Aufblühen, das Antlitz in Verklärung. Dann tritt Erkaltung ein, Erstarrung ändert die Züge. Verfall und Verwesung künden den Untergang alles Körperlichen. Welkenden Pflanzen gleichen die Toten. (Georg Kolbe, „Das Abnehmen von Totenmasken“, 1926)

Holger Schmidt ist keiner, der die Dinge unnötig beschönigt. „An einer reißerischen Geschichte habe ich kein Interesse“, erklärt er. Reißerisch, das war zum Beispiel der Beitrag, in dem er als „Totenmann“ bezeichnet wurde. Einer, den die braven Königswinterer fürchteten. Wenn man sie nach dem Bildhauer frage, so hatte der Kollege berichtet, deuteten die Bewohner des Städtchens bei Bonn ängstlich in Richtung Berge. „Sie können mich gerne interviewen“, stellt Schmidt vorab am Telefon fest, „aber schreiben Sie hinterher keinen Mist.“

Das Thema Totenmasken wird nach langen Jahren, in denen man höchstens das unvermeidliche Antlitz des toten Beethoven über dem Klavier hängen sah, wieder diskutiert. Einige Bücher sind neu erschienen, es gab verschiedene Ausstellungen. Und Holger Schmidt, einer der bekanntesten Hersteller von Totenmasken, wird immer häufiger von Journalisten besucht.

Der Bildhauer hat sich daran gewöhnt, ist vielleicht auch ein bisschen stolz darauf. Zumindest hängen in seinem Atelier jede Menge Zeitungsseiten an den Wänden. Auch wenn Holger Schmidt sich mit figürlichen Skulpturen einen Namen in der Kunstszene gemacht hat, die Medienberichte löst er mit einem Handwerk aus, das den Tod begreifbar machen will. Oder zumindest das Gesicht des Toten.

Wenn man sich im Atelier umschaut, fällt auf, dass der Mensch Schmidts beherrschendes Thema ist. Von einem Fensterbrett aus blicken zwei Skulpturen ins Tal, von einem anderen lächelt eine Mädchenbüste, weiter hinten blitzt Egon Bahrs markantes Profil auf. Warum macht er nicht auch Lebendmasken? „Das wäre etwas Falsches.“ Der Lebendmaske merke man die Spannung des Modells an – vier bis fünf Stunden kann die Prozedur dauern. Schmidt holt eine Lebendmaske aus einem Schrank hervor, die Augen sind leicht zugekniffen, die Lippen aufeinander gepresst. „Das ist doch kein authentisches Gesicht.“ Der Tod hingegen verleiht dem Gesicht jene Entspannung, die Kolbe beschreibt.

Schmidts erster Auftrag war eher zufällig. Eine hartnäckige Tochter hatte sich vor zwanzig Jahren durch etliche Absagen telefoniert und schließlich gehofft, beim Lehrstuhl für Bildhauerei an der Uni Duisburg einen Fachmann zu finden. Schließlich gehörte das Abnehmen von Totenmasken einst zum Handwerk von Bildhauern. Auch Schadow, Begas oder Seitz fertigten sie an. „Ich hatte Sorge, dass ich es nicht schaffe“, erinnert sich der damalige Dozent. Einer Leiche Silikonschichten ins Gesicht schmieren? „Vielleicht wird mir übel, vielleicht kriege ich einen hysterischen Lachanfall, wer weiß das schon.“ Schmidt hatte kaum Zeit nachzudenken. Tote sind ungeduldig. Die ersten 48 Stunden nach Eintritt des Todes sind die beste Zeit – dieser Moment der vermeintlichen Verklärung. Danach wird es schwieriger, die Haut lässt schnell nach, verformt das Gesicht. Der Augenblick des Todes ist es, den man festhalten will. Nicht den der Leiche. Doch dann, dem Toten gegenüber, legte sich die Unruhe. „Er war unglaublich präsent.“ Die Tochter blieb daneben stehen. Sie erzählte vom Vater.

Ein ungewöhnlicher direkter Mann ist Holger Schmidt. Er beobachtet sein Gegenüber mit durchdringendem Blick, nimmt Maß, bevor er beginnt, die Faszination für sein Handwerk zu erklären: „Eine Totenmaske ist so etwas wie die Verlängerung der Aufbahrung.“ Aus einer Vitrine holt der 46-Jährige einen Abguss. Ein Auftrag der Mutter des Verstorbenen. Auf dem Heimweg von der Disko hat ihr einundzwanzigjähriger Sohn eines Nachts sein Auto vor einen Baum gesetzt. Eine tief klaffende Wunde auf dem Gipskopf hält die Heftigkeit des Aufpralls fest.

Schmidt dreht die Maske behutsam in seinen Händen. „Er hatte Locken“, erklärt der Bildhauer, „aber die sind ein bisschen platt gedrückt, da man Haare und Gesicht für den Silikonabdruck einfetten muss.“ Die Silikonschicht, das Positiv für den Abguss, hat jede einzelne Pore erfasst, auf dem Gips ist jede noch so kleine Linie der obersten Hautschicht abgedruckt. Ein paar Wimpern sind im Gips eingeschlossen. Ein makabres Memento mori?

Seine Kunden, sagt Schmidt, sähen nichts Gruseliges im Antlitz der Toten: „Das Gesicht ist der Ort, wo Person stattfindet.“ In der Totenmaske ist ein Gegenüber, etwas, das den Verstorbenen realitätsnah darstellt. Deswegen hängen die Hinterbliebenen sich ihre Lieben auch nicht an die Wand, viele bewahren die gipsernen Abgüsse, eingehüllt in Tücher, in besonderen Kistchen auf und holen sie immer wieder mal hervor; andere präsentieren das gipserne Antlitz auf dem Schreibtisch, auf dem Kaminsims oder an einer besonderen Stelle in der Vitrine.

Holger Schmidt beansprucht für sich, heute der einzige der ohnehin wenigen Totenmaskenmacher zu sein, der das Handwerk formvollendet ausführt. Wie er bieten auch seine Kollegen die Masken in Gips oder Bronze an, zwischen tausend und zweitausend Euro das Stück, doch die Technik Schmidts ist nicht unbedingt verbreitet. Und so bleibt die Konkurrenz meist auf halbe Masken reduziert, die Ohren, Kopf und Hals aussparen. Um das Fehlende zu ersetzen, legen viele Hersteller die Gesichtsmasken auf bronzene Faltenwürfe oder umgeben sie mit künstlichen Blättern. Einige gehen sogar so weit, aus der Totenmaske kunstgewerblichen Kitsch zu machen, indem sie sie mit Edelsteinen oder Federn verzieren.

Aber vom Beschönigen hält Holger Schmidt nun mal nichts. So dachte auch sein Kollege Kolbe: „vergewaltigtes, gefälschtes Leben“ nennt er das Bearbeiten der Masken. Sein Äußerstes in Richtung Retusche hat Holger Schmidt übrigens bei der Totenmaske des Kölner Erzbischofs Josef Kardinal Höffner getan. „Die Bischofsmütze hatte an den Schläfen des Toten Druckstellen hinterlassen, die habe ich sanft wegmassiert.“

Einer entscheidenden Korrektur am Gesicht der Leiche kann aber auch Schmidt nicht entgehen, denn sie stammt vom Tod selbst. Schmidt hält jetzt die Maske einer alten Frau in seinen Händen. Er ertastet die Falten an ihrem Hals. „Sehen Sie, da das Gesicht eines Verstorbenen kein Wasser mehr halten kann, zieht seine Haut in Richtung Boden.“ Und weil die aufgebahrten Leichen auf dem Rücken liegen, strafft der Tod ihr Gesicht; die Toten scheinen zu lächeln. Der ruhige, entspannte Gesichtsausdruck, wenn keine Muskeln das Gesicht mehr kontrollieren, kann die Hinterbliebenen trösten. Das Totenlächeln vermittelt ein letztes bisschen Lebendigkeit. Auch wenn es nur eine Illusion ist.

Vor zehn Jahren hat Schmidt einige seiner heute immerhin dreihundert Masken umfassenden Sammlung ausgestellt. So wie er die Negative vom Gesicht nahm, wollte er auch die Positive haben: liegend, nicht an der Wand. Der Künstler wollte die Totenmasken möglichst nah an die Besucher bringen, körperlich nah. „Ich habe den Leuten gesagt, sie können die Masken begreifen. Das habe ich auch so gemeint: Um etwas zu spüren, muss ich es anfassen.“ Die Ausstellungsbesucher seien mit den Masken so behutsam umgegangen wie Hinterbliebene, die den Masken ihrer Freunde, Geliebten oder Verwandten zart über die Wangen streicheln.

Sein ungewöhnliches Handwerk stellt Nähe her zwischen Holger Schmidt und seinen Kunden. Er begleitet sie in einem ihrer intimsten Momente, er beschäftigt sich als einer der Letzten intensiv mit dem Toten. Manchen, sagt er, helfe dieses letzte Gesicht des Verstorbenen, die Trauer zu bewältigen. „Es gibt Menschen, die verstehen erst nach einiger Zeit, wie sie das gebraucht haben“, sagt er. Viele riefen ihn später an, erzählten vom Umgang mit der Totenmaske.

Und so hängen die Artikel vielleicht auch nicht unbedingt aus Eitelkeit an der Atelierwand. Ihnen verdankt Schmidt einen Großteil seiner Aufträge. „Ich erlebe das immer wieder“, erklärt er. „Die Menschen zaubern irgendwelche vergilbten Beiträge über mich hervor.“ Seine Auftraggeber sind alle möglichen Leute. Der Bruder Rio Reisers, der Mann einer berühmten Pianistin, genauso wie eine alte Witwe oder die Eltern eines Kindes.

Die Totenmasken verkörperten immer nur den Wunsch, der Tote möge weiter anwesend sein. Niemals – auch in der Geschichte nicht – repräsentierten die Abgüsse den Verstorbenen als Lebenden. Und doch vermitteln die Gipsabgüsse der Gesichter, auf denen jede Pore zu spüren, jede Lachfalte zu ertasten ist, ein bisschen Anwesenheit der Abwesenden. Eine vielleicht dankbar angenommene Illusion.

Schmidt will die Dinge nicht beschönigen. Er will auch keine metaphysischen Wahrheiten in das Bedürfnis der Menschen, den Toten noch bei sich zu behalten, hineinlesen. Und doch, indem er den Hinterbliebenen ein Abbild ihrer Toten in die Hand gibt, korrigiert er ein bisschen die Wirklichkeit.

JUDITH LUIG, 30, ist taz.mag-Redakteurin