Unbeirrbar beharrlich

Selbstvergessen den Leidenschaften folgen, vor sich hin werkeln und leidenschaftlich bleiben: Schon 300 oder 400 Songs hat Doc Schoko bisher geschrieben. Dazu kommen unzählige Skizzen und Fragmente und fast ein ganzer Roman. Eine Hommage

VON STEPHANIE GRIMM

Schön, wenn jemand zumindest auf den zweiten Blick genauso zu sein scheint, wie man ihn sich vorgestellt hat. Auf den ersten Blick könnte der nette blonde Typ auch über seiner philosophischen Doktorarbeit brüten. Doch Doc Schoko ist vor allen Dingen Musiker, und an diesem trüben Winternachmittag sitzt er leicht verquollen in der Ankerklause. Draußen wird es schon wieder dunkel, das Gespräch tröpfelt so dahin, ab und an raucht er eine, und irgendwann fühlt er sich bemüßigt zu erklären: „Eigentlich hab ich eine Menge zu erzählen. Das ist einfach noch nicht meine Tageszeit.“ Das macht nichts. Ein Treffen mit Doc Schoko bestärkt das Gefühl, dass es gut ist, sich Zeit zu nehmen. Schließlich nimmt er sie sich auch für alles, was ihm wichtig ist: für die Musik und für das Schreiben.

Beidem widmet sich Doc Schoko, der übrigens seinen bürgerlichen Namen nicht verrät, mit unbeirrbarer Beharrlichkeit. Von seiner Jugend im Westfälischen erzählt er: Schon früh war klar, wo es hingehen sollte. „Die ersten Songs habe ich mit 10 oder 11 aufgenommen. Eigentlich wusste ich da schon, dass ich Rockstar oder Schriftsteller werden will, und jetzt habe ich mir eben eine Kombination aus beidem ausgesucht: Songwriter.“ Die Eltern unterstützten ihn – zumindest anfangs: „Als sie merkten, dass ich es ernst meine, sind sie doch erschrocken.“

Und wie ernst es Doc Schoko meint. 300 oder 400 Songs, so seine Schätzung, hat er bisher geschrieben. Dazu kommen unzählige Skizzen und Fragmente. Ein Roman, über den er ebenfalls nichts verraten will, ist auch fast fertig. Als der heute 33-Jährige vor acht Jahren nach Berlin zog, landete er dort, wo sich in den mythischen Neunzigern die engagierte Independent-Subkultur versammelte: im Umfeld der legendären Galerie Berlin Tokyo. Auch auf dem, was der Nachwelt von diesem Ausgeh-Ort erhalten geblieben ist, den Samplern „Spielkreis“, ist er verewigt, unter anderem mit seiner bezeichnenden Single „Komm an den Ofen“.

Seither hat er seinen Aktionskreis erweitert. Neben dem Plattenauflegen, unter anderem in der Friedrichshainer Lee Harvey Oswald Lounge und bei Radio Hochsee im Kaffee Burger, organisiert er Konzerte – derzeit organisiert er eine Gala zu Elvis’ Siebzigstem mit, außerdem moderiert er die Reihe „Musik in Büchern“ im King Kong Club. Da wird Prosa gelesen, in der es um Musik geht, danach das betreffende Stück gespielt.

Seine größte Leidenschaft ist aber die eigene Musik, und die beschreibt Doc Schoko als „Rock ’n’ Roll mit Tendenz zu Blues und Punk“. Mit einem gestählten Selbstbewusstsein, das wohl durch jahrelanges Rumwerkeln entstand, erklärt er: „Es geht darum, das, was gut gewesen ist – in den letzten 100, 200, 300, na, sagen wir 40 Jahren –, zu bewahren, eine Essenz rauszuholen.“

Worin auch immer diese Essenz besteht – auf jeden Fall steckt bei Doc Schoko immer Liebe zum Detail drin. Seine Texte sind poetisch und verschwurbelt – ohne die oft mit Subjektivität verbundene Nabelschau. Im schönen Dokumentarfilm „Musik fliegt in der Luft“, in dem er zusammen mit der Band Quarks porträtiert wird, beschreibt Doc Schoko enthusiastisch den Moment, an dem ihm bewusst wurde, wie die Farbe Hellblau selbst unter widrigen Umständen seine Laune hebt. Daraus wurde der Song „Hellblaues Wölkchen“ – ein Lied, das wiederum anderen gute Laune bereiten kann. Erschienen ist es auf der kürzlich veröffentlichten EP „Tränenwölkchen“ (ZickZick/Choose Records). Im Frühling erscheint eine neue, seine zweite Platte. „Rauflaus“ wird sie heißen.

Fast zögerlich gesteht er ein, dass es ja schon schön wäre, irgendwann von der Musik leben zu können. Bisher hat er sich – mal mit Jobs, mal arbeitslos – durchgeschlagen. So ein Lebensmodell ist dieser Tage ungemütlich geworden– selbst in Berlin, wo alles nach wie vor vergleichsweise billig ist. Doch selbst wenn die Nischen nicht mehr so geräumig sind: Für Doc Schoko macht es immer noch Sinn, selbstvergessen seinen Leidenschaften zu folgen. Auf Umwegen landet man so vielleicht doch noch in seinen Teenie-Träumen. Im Herbst beispielsweise spielte Doc Schoko im Vorprogramm seines alten Helden Mark E. Smith und dessen Band The Fall. Dazu kam es, weil er auf dem The-Fall-Tribute-Sampler „Perverted by Mark E.“ gelandet ist. Smith fand Doc Schokos Coverversion von „Life just bounces“ so gut, dass er ihn einlud, mit auf Tour zu gehen. Da lehnte Doc Schoko nicht ab, auch wenn Liveauftritte eine große Sache für ihn sind, etwas, das er nicht zu oft machen will. „Jedes Konzert muss einzigartig sein“, findet er.

Tatsächlich wirkt er auf der Bühne abgebrühter, als man das in der Ankerklause vermuten würde. An einem Abend nach unserem Gespräch singt Doc Schoko in der Altpunk-Kneipe Enzian vor Leuten, die sicher oft hier sitzen und ihn erst nur mäßig beachten. Doc Schoko buhlt nicht um ihre Aufmerksamkeit. Zwischen den leidenschaftlich vorgetragenen Songs kommentiert er: „Das ist Popmusik, direkt von der Basis.“ Am Schluss hören ihm tatsächlich alle zu.

Konzerte: Heute, 22.30 Uhr, bei der Gala zu Elvis’ Siebzigstem, Festsaal Kreuzberg; 21. 1., 22 Uhr, Roter Salon