: Der gescheiterte Aufbau Ost
Trotz Soli verschärfen sich selbst innerhalb Ostdeutschlands die ökonomischen Unterschiede
DRESDEN taz | Die mehr als eineinhalb Billionen Euro Bruttotransfers von West- nach Ostdeutschland sind bislang nur zu einem geringen Teil bei den Bewohnern angekommen. So kritisierte beispielsweise der Finanzwissenschaftler Helmut Seitz von der TU Dresden schon 2007 den falschen Einsatz von Solidarpaktgeldern zum Stopfen öffentlicher Haushaltlöcher. Subventionsmentalität oder überproportionale Ausgaben für die Infrastruktur haben nicht zur erhofften Wertschöpfung und damit zu Einkommenssteigerungen beigetragen.
Schon Kurt Biedenkopf (CDU) hatte als sächsischer Ministerpräsident in den Neunzigerjahren darauf hingewiesen, dass die effektiven Nettotransfers geringer ausfielen. Wirtschaftsrelevante Förderung fließe über „verlängerte Werkbänke“ ostdeutscher Filialen indirekt als Gewinn an westdeutsche Firmensitze, während die immensen Sozialtransfers konsumtiv im Osten verbraucht würden.
Eine Studie des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts Dresden nahm im Oktober 2008 den jetzt vorgestellten Armutsatlas teilweise vorweg. Danach werden sich die bereits bestehenden Entwicklungsunterschiede zwischen Ballungsräumen und dem flachen Land in der Größenordnung von 26 Prozent weiter vertiefen. Auch Aufbau-Ost-Minister Wolfgang Tiefensee (SPD) schätzt, dass bis zum Auslaufen des Solidarpakts 2019 bestenfalls einige Cluster wie Dresden oder Jena den Anschluss an das Wirtschaftsniveau West schaffen könnten. Die ifo-Studie räumt indirekt zugleich ein Scheitern der „Leuchtturmpolitik“ ein, weil deren Ausstrahlung lokal begrenzt bleibe.
Mit wachsender sozialer Differenzierung entspann sich zudem auch im Westen ab etwa 2006 eine Neiddebatte West-Ost. Politiker wie Günther Beckstein (CSU) sprachen nun vom „Nachholebedarf West“. Bereits früher erhobene Forderungen nach entwicklungsabhängigen gesamtdeutschen Förderkriterien sind weiterhin aktuell. Die EU verfährt mit ihrer Kategorisierung von Förderregionen bereits so. So genoss Ostdeutschland lange komplett die höchste Priorität als Ziel-1-Fördergebiet. Diese Förderung aber müsste über die klassischen Förderinstrumente wie die Investitionszulage hinausgehen, meinte schon der Grünen-Bundestagsabgeordnete Peter Hettlich mit Blick auf den Osten. Existenzgründungen und unkonventionelle Ideen sollten unterstützt werden, wofür sich die Gemeinschaftsabgabe anbiete.
MICHAEL BARTSCH