: „Jassir Arafat würde Abu Masen wählen“, sagt Khaled Duzdar
Morgen wird in Palästina ein neuer Präsident gewählt. Ein Verlierer steht schon fest: die Hamas
taz: Mahmud Abbas alias Abu Masen hat von Woche zu Woche mehr Zustimmung bei den Wählern gefunden. Warum?
Khaled Duzdar: Die Leute verstehen, dass eine neue Ära begonnen hat. Sie haben vier Jahre lang gelitten und realisieren jetzt, dass Abu Masen vielleicht eine friedliche Lösung bringt und palästinensische Souveränität. Man kann das vor allem im Gaza-Streifen beobachten, einer früheren Hochburg der Hamas. Heute würden den Umfragen zufolge 70 Prozent Abu Masen unterstützen. Gaza hat unter der Intifada und ihren Folgen am meisten gelitten.
Mit welchen Themen hat Abu Masen Wahlkampf gemacht?
Mit den Reformen. Der Friedensprozess steht nicht an erster Stelle, sondern die innere Stabilität. Dazu muss er reformieren, vor allem im Sicherheitsbereich. An zweiter Stelle stehen die wirtschaftlichen Reformen. Außerdem kritisieren die Wähler die Korruption …
Der Gegenkandidat Mustafa Barghuti hat die Korruption in den Mittelpunkt seines Wahlkampfes gestellt. Mit Erfolg?
Mustafa Barghuti ist dafür nicht stark genug. Er würde sich gegenüber der Fatah nicht durchsetzen können. Die Fatah kontrolliert alles, die Ministerien, die Institutionen, alles.
Aber Barghuti zielt doch gerade auf die Reorganisation der Institutionen.
Ja, aber er würde nicht über die Möglichkeiten verfügen, das durchzusetzen. Die Fatah ist überall. Es ist ein komplettes Netzwerk, das geschaffen wurde, lange bevor es die palästinensische Autonomieverwaltung überhaupt gab.
Barghuti ist trotzdem sehr beliebt.
Er hat gute Arbeit im Sozialbereich geleistet. Und er hat seine Kampagne über viele Jahre lang vorbereitet. Ich bin sicher, dass Barghuti nicht auf diese Wahlen setzt, sondern auf die, die noch kommen werden. Dies ist ein Beginn für ihn. Ich bin sicher, dass er weiß, wie gering seine Chancen sind.
Immerhin steht er bei 20 Prozent.
Wir reden über 43 Prozent Unterschied zu Abu Masen.
Und wenn ihn die Hamas doch noch im letzten Moment unterstützt?
Selbst mit der Hamas könnte er die Wahlen nicht gewinnen. Auch die Hamas hat Sympathie verloren – aus den gleichen Gründen, die Abu Masen den Erfolg bringen. Die Leute wollen Veränderung und ein Ende der Gewalt. Sie leiden und fühlen sich missbraucht, auch durch die Hamas. In Gaza fordern sie die Einstellung der Kassam-Raketen.
Warum passiert das jetzt? Warum nicht schon vor einem Jahr?
Wegen Arafat. Es war eine One-Man-Show.
Und doch lässt sich Abu Masen auf seinen Wahlplakaten gemeinsam mit Arafat zeigen.
Abu Masen gilt als der zweite Mann nach Arafat. Er hat die Fatah mitbegründet und gehört zur zentralen Führung der Bewegung. Arafat selbst würde seine Stimme Abu Masen geben.
Wie hoch wird er gewinnen?
Abu Masen will eine klare Mehrheit haben, die ihm die Macht gibt, zu Ende zu führen, was er begonnen hat. Er braucht ein klares Mandat. Ich glaube, dass er das erreicht. Ich rechne mit über 70 Prozent.
Wenn es über 80 Prozent würden – könnte das gegen ihn ausgelegt werden?
Ja, das würde Zweifel an der Richtigkeit der Wahlen aufkommen lassen. Aber ich glaube nicht, dass das passiert. Was wir bislang sehen, sind komplett ordentliche Wahlen. Über dem Präsidenten steht übrigens noch der PLO-Chef – ein Amt, das Abu Masen bereits übernommen hat. Doch zu diesem Posten wurde er ernannt, deshalb ist jetzt die Wahl durch das Volk sehr wichtig für ihn. Aber dies zeigt, dass kein anderer, kein Barghuti, als Präsident so freie Hand haben wird wie Abu Masen.
Warum boykottiert Hamas die Wahl?
Ich glaube, weil sie schlicht keinen passenden Kandidaten haben, der über das notwendige Charisma verfügte.
Sie sind alle tot?
Sie sind entweder exekutiert, oder sie leben im Ausland. Die Hamas rechtfertigt den Boykott damit, dass die Wahl Teil des Oslo-Abkommens war und dass die Hamas immer gegen Oslo war. Aber die Hamas überlegt trotzdem, an den Parlamentswahlen teilzunehmen, die natürlich auch Teil der in Oslo getroffenen Vereinbarungen waren. Ich glaube daher, der wahre Grund ist, dass Hamas weiß, dass sie keine Chance hat und durch eine Niederlage nur noch mehr Sympathie verlieren könnte. Klug ist das nicht. Auch ein Boykott wird sie Sympathie kosten.
Aber trotz des Boykotts sind diese Wahlen positiv?
Ja. Wir brauchen die Demokratie. Dazu gehört aber auch eine Reform der Parteien. Auch die Fatah muss, obwohl Abu Masen gewinnen wird, darüber nachdenken, wie sie mit der neuen Situation umgeht. Sie kann keine Widerstandsbewegungen bleiben. Sie muss über Veränderungen nachdenken, sonst wird sie verlieren. Das Gleiche gilt natürlich noch viel stärker für die Hamas.
INTERVIEW: SUSANNE KNAUL