: Mit Kunst zu sich selbst finden
Im Kölner Caritas-Therapiezentrum für Folteropfer finden jedes Jahr mehrere hundert Flüchtlinge therapeutische Hilfe und Betreuung. Doch das Erzbistum Köln will seine Zuschüsse bis 2007 einstellen
Von Jürgen Schön
Ein Bild malen nur in einer Farbe – das ist das Thema, das Kunstpädagoge und Kunsttherapeut Ulrich Behr seiner Gruppe heute gegeben hat. Alle halten sich daran. Nur nicht Behlil Comak. Er malt mit breitem, nassen Pinsel eine bunte Landschaft. „Ich bin eben ein Künstler“, grinst er selbstbewusst und selbstironisch zugleich.
Comak kommt aus Kurdistan. Wegen seiner „linken Politik“ geriet er mit der türkischen Polizei in Konflikt, wurde verhaftet, gefoltert. Seit zehn Jahren lebt er in Deutschland, ist als politischer Flüchtling anerkannt. „Als Kind konnte ich nicht malen“, sagt er. Das habe er erst hier, in der Therapiemalgruppe der Caritas gelernt. „Vorher herrschte in mir Chaos. Doch das Malen bringt mir Ruhe, man kann dabei in sich hineingehen“, erzählt er, warum er sich der Gruppe angeschlossen hat.
Seit 1985 gibt es die Gruppe als Angebot des Kölner Caritas-Therapiezentrums für Folteropfer. „Die Teilnehmer sollen sich nicht nicht immer nur als Opfer sehen, als Menschen, die schwach sind. Sondern auch als Menschen, die etwas können, die Stärken haben“, erläutert Psychologin Astrid von Törne das Konzept. Über die künstlerische Auseinandersetzung, über das Erfolgserlebnis gelangten die Teilnehmer wieder zu Selbstbewusstsein. „Malen ist ein Prozess“, sieht es Behr, der die Gruppe erst im September übernommen hat, von der kunsttherapeutischen Seite. „Da entsteht etwas, was man verändern kann. Es braucht keine schwierige Technik wie etwa bei Musik oder Tanz.“ Wichtig sei auch das Gespräch in der Gruppe über ein Bild. Seine eigene Rolle, so Behr, sei vor allem, Hilfestellung zu geben und Möglichkeiten der künstlerischen Umsetzung von Ideen aufzuzeigen.
Behr und von Törne sehen Malen als eine Form der Kommunikation, in der sich manches sagen lasse, wozu Worte nicht taugen. Dabei ist eine gezielte therapeutische Analyse der Bilder die Ausnahme. „Dazu müssten wir gezielter nachfragen, mehr Hintergrundwissen haben“, erklärt die psychologische Leiterin der Kunsttherapiegruppe, Astrid von Törne. Etwa über kulturelle Unterschiede. „Einmal haben wir eine Teilnehmerin gelobt, weil sie so schöne leuchtende Bilder machte“, erinnert sich die Psychologin, „bis wir dahinter kamen, dass Gelb in ihrer Heimat Iran die Farbe der Trauer ist.“ Seitdem gehe man sehr vorsichtig mit Deutungen um.
Manchmal allerdings bieten sich „Deutungen“ geradezu an. Etwa bei Mahyar H.. Der 29-Jährige lächelt, wenn er von seinem „Durchbruch“ erzählt. Lange malte er nur düstere Bilder – bis ganz plötzlich und unerwartet ein buntes Bild entstand: „Das war wie eine Wiedergeburt.“ Vorher litt er unter Depressionen, „jetzt fühle ich mich besser“, erzählt er. Vor zwei Jahren kam er nach Deutschland, hatte eine Odyssee durch verschiedene Flüchtlingsheime hinter sich, eher er nach Köln kam. Aus dem Iran war er geflohen, weil er Gitarre spielen wollte. Das aber war als „westlich“ verboten, wiederholt wurde er verhaftet und von der Polizei geschlagen und gefoltert.
Wenn sich die Malgruppe einmal in der Woche trifft, muss erst einmal ein Raum in den Verwaltungsräumen in der Spiesergasse freigeräumt werden. Eng ist es, doch davon lassen sich die Teilnehmer – insgesamt zählt die Gruppe zehn Männer und Frauen – in ihrer Konzentration nicht stören. Und voller Stolz wurden sie zu „Filmstars“, als Sharam Dariani und Masoud Madiani den 20-Minuten-Film „Von Farben und Menschen“ über die Gruppe drehten. Beide sind ebenfalls Folteropfer, mit dem Film knüpften sie nach jahrelanger Pause an das an, was sie vor ihrer Flucht im Iran gemacht hatten: Filme.
Das Kölner Therapiezentrum ist eines von sechs in Deutschland. Elf Mitarbeiter stehen bereit, um jährlich rund 250 Flüchtlingen therapeutische Hilfe und 600 sozialarbeiterische Unterstützung zu geben. In ihrer Heimat – vor allem Iran, Türkei, zunehmend afrikanische Länder – mussten sie die schlimmsten Qualen erleiden: Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigungen. Erlebnisse, die oft noch Jahre später wie ein Film ablaufen, der nicht abzustellen ist. Schlafstörungen sind die Folge, ständige Fluchtbereitschaft, Selbstmordgedanken. „Wir versuchen, den psychischen und physischen Zustand zu stabilisieren“, nennt von Türne das therapeutische Ziel. Durch ehrenamtliche Helfer werde ein soziales Umfeld aufgebaut, dass Sicherheit gebe. Oft dauert es Jahre, bis das Opfer mit seinen Erinnerungen leben könne.
Doch die Existenz dieser humanitären Arbeit steht auf der Kippe. Zwar bekommt das Zentrum Spenden sowie Zuschüsse von Bund und Land, von der UN-Flüchtlingshilfe, vom UN-Folteropferfonds. Auch die Stadt Köln trägt jährlich 9.900 Euro bei. Aber das Jahr 2004 endete dennoch mit 40.000 Euro „Miesen“. „Das chronische Defizit wurde bislang von der Caritas getragen“, sagt Leiterin Brigitte Brand-Wilhelmy. Doch die ist vom Erzbistum abhängig, und das will seine Zuschüsse 2007 einstellen. Schon jetzt werden die Mittel reduziert. Brand-Wilhelmy hofft trotzdem, dass das Foltertherapiezentrum weiter arbeiten kann: „Es kann nicht in unserem Interesse sein, die Talente von Menschen brach liegen zu lassen, die zu uns flüchten.“