: Erzbischof will‘s nicht so gemeint haben
Joachim Meisners Vergleich von Abtreibungen mit den Verbrechen Hitlers und Stalins sorgt auch in der Domstadt weiter für Aufregung. Alles nur ein Missverständnis, beteuert der Kardinal. Deswegen lässt er jetzt Hitler aus seinem Redetext streichen
VON PASCAL BEUCKER
Joachim Meisners Predigt am Dreikönigstag, in der er Abtreibung in eine Reihe mit dem biblischen Kindermord und den Verbrechen Hitlers und Stalins gestellt hatte, sorgt auch in Köln weiter für Empörung. So bezeichneten die Grünen den Kölner Erzbischof als „eine schwere Belastung für das Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft und Kirche“. „Die katholischen Laienorganisationen fordern wir zu einer deutlichen Distanzierung von Herrn Meisner und seinem fundamentalistischen Geschwätz auf“, sagte der grüne Vorstandssprecher Jörg Penner am Wochenende.
Das Bündnis „Gemeinsam gegen Sozialraub“ kündigte an, einen Strafantrag gegen den Kölner Erzbischof wegen Volksverhetzung zu stellen. „Durch die Gleichsetzung des Nazi-Völkermords mit Abtreibung verhöhnt Meisner die Opfer des Holocausts“, sagte Ratsherr Claus Ludwig. Der Kardinal erweise sich „als echter Hassprediger“. Meisner vertrete einen „aggressiven Fundamentalismus“ und seine Predigt lasse, „den Verdacht aufkommen, dass die Stadt Köln mit Metin Kaplan den Falschen abgeschoben hat“, so das Bündnis.
Unterdessen bezeichnete der für seine fanatischen Angriffe gegen Abtreibung und Homosexualität bekannte Meisner die Kritik an seiner Predigt vom vergangenen Donnerstag im Kölner Dom als bedauerliches Ergebnis eines Missverständnisses: „Wenn ich geahnt hätte, dass mein Verweis auf Hitler missverstanden hätte werden können, hätte ich seine Erwähnung unterlassen“, sagte der erzkonservative Geistliche laut einer am Samstag vom Erzbistum verbreiteten Erklärung. Es täte ihm „leid, dass es dazu gekommen ist“. Jetzt hat Meisner in der schriftlichen Dokumentation „den Hinweis auf Hitler tilgen lassen“, da auch ohne ihn „die Aussageabsicht des Textes ganz erhalten“ bleibe. Der Hinweis auf Stalin ist jedoch geblieben.
Mit der Streichung von Hitler nähert sich die Predigt nun wieder ihrer ursprünglichen Version an: Denn die umstrittene Passage hatte der katholische Gotteskrieger fast wortgleich aus seiner Dreikönigspredigt aus dem Jahr 1999 recycelt – „angereichert“ allerdings um Hitler und Stalin. Damals lautete der Satz noch: „Wo der Mensch sich nicht eingrenzen lässt, dort verfehlt er sich immer am Leben selbst: Zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen ließ, heute unsere Gesellschaft, in der jährlich circa 300.000 unschuldige ungeborene Kinder getötet werden.“ Das war ihm diesmal wohl nicht drastisch genug.
Die Predigt zum Epiphanie-Fest hatte überregional für Entrüstung gesorgt. So bezeichnete der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, die Äußerungen Meisners gegenüber der taz als „Beleidigung der Millionen Opfer des Holocaust“ und forderte von Meisner, seine Aussage umgehend und unmissverständlich zurückzunehmen. Auch die Initiative „Kirche von unten“ reagierte mit Entsetzen: „Wie weit kann Meisner noch in seinen beleidigenden und volksverhetzenden Äußerungen gehen, ohne dass die Bischofskonferenz und der Vatikan reagieren?“ fragte das ökumenische Netzwerk. Das konservative „Forum Deutscher Katholiken“ dankte Meisner hingegen „für seinen Mut“.
Scharfe Kritik kam von den Grünen, der FDP und der PDS. So warf der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Bundestag, Volker Beck, dem Kirchenmann vor, er verspiele das Ansehen der Kirche. „Jeder Politiker, der die Sätze von Kardinal Meisner ausgesprochen hätte, könnte sich vor Rücktrittsforderungen nicht retten“, so der Kölner Bundestagsabgeordnete. Beck erinnerte zudem daran, dass Meisner „bei Holocaust-Metaphern kein Ersttäter“ sei.
Die NRW-FDP sprach von einer „schlimmen Entgleisung“. Die PDS-Politikerin und Berliner Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner sagte: „Es ist unverständlich, dass ein Christ Abtreibung mit Holocaust und Terror gegen Menschen gleichsetzt“. Die Äußerung sei auch „nicht interpretationsfähig, weil sie an Eindeutigkeit nicht zu überbieten ist“.
Das allerdings sieht das Kölner Erzbistum anders. Die Kritik an der umstrittenen Textpassage „übersieht, dass der Kardinal mit keinem Wort die Einzigartigkeit des Genozids an den Juden unter Hitler relativiert hat“, heißt in dessen Erklärung. Der Vergleich von Abtreibungen mit den Verbrechen unter Hitler und Stalin beziehe sich „allein darauf, dass Verfehlungen am menschlichen Leben geschehen sind, die sich darauf zurückführen lassen, dass sich Menschen zum Herrn über das Leben machen“.
Allerdings hatte Meisner bereits in seiner Silvesterpredigt den Holocaust relativiert, als er Abtreibung als „Tatbestand“ bezeichnete, „der wohl alle bisherigen Verbrechen der Menschheit in den Schatten stellt“ – also auch die Verbrechen des Nationalsozialismus. Diese Aussage hat er bislang weder mit Bedauern noch sonst wie zurückgenommen.
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