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Archiv-Artikel

Das neue Traumpaar weckt Gefühle

Bei den deutschen Meisterschafen der Eiskunstläufer in Oberstdorf zeigen ljona Sawtschenko und Robin Szolkowy, dass in Zukunft noch Großes von ihnen zu erwarten ist. Stefan Lindemann verteidigt trotz Sturz seinen Titel

OBERSTDORF taz ■ Zweimal saß der alte und neue Meister auf dem Hosenboden, aber er nahm es eher gelassen zur Kenntnis und meinte, das sei nicht mehr als ein Ausrutscher gewesen. Ohne vierfachen Toeloop und mit insgesamt nur vier gelungenen Dreifachsprüngen gewann Stefan Lindemann gestern in Oberstdorf seinen vierten deutschen Meistertitel, aber zum überlegenen Sieg vor Silvio Smalun reichte es allemal. Höhepunkt des Wochenendes in Deutschlands südlichstem Tal war ohnehin der Auftritt der Sieger im Paarlauf, Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy (Chemnitz), die Glanz und Gefühl in die Hütte brachten wie schon lange kein Paar mehr.

Obwohl Lindemann, der WM-Dritte 2004, in der Kür zweimal stürzte, überzeugte er zumindest mit einer weiteren Steigerung im künstlerischen Bereich; die Freude darüber ist ungeteilt, und sie reicht hinauf bis in die Spitze des Verbandes. Es gibt Hoffnungen für die großen internationalen Wettbewerbe dieses Winters, die Europameisterschaften in zwei Wochen in Turin und die Weltmeisterschaften Mitte März in Moskau. Reinhard Mirmseker, Präsident der Deutschen Eislauf-Union (DEU), sagt: „In dieser Form wird er bei der EM sicher mitreden können bei einem Platz unter den ersten sechs – und mehr wird auch nicht von ihm erwartet in diesem Jahr.“ Das sieht Lindemann selbst auch so. „Ich bin bestimmt nicht der Favorit für Gold in Turin, aber ich bin einer der Typen, die um Medaillen mitlaufen können.“

Davon reden Aljona Sawtschenko und Robin Szolkowy noch nicht, aber in Oberstdorf sprachen alle von ihnen. Was sich vor einem Jahr bei den Meisterschaften in Berlin mit dem ersten Titel des damals neuen Paares angedeutet hatte, das wurde diesmal zur schönsten Gewissheit. Angetrieben von der überragenden Klasse und Dynamik der Ukrainerin Sawtschenko, 21, hat sich Partner Szolkowy, 25, enorm verbessert, und zusammen sind sie auf dem Eis nun ein Paar, das Gefühle weckt und Sehnsucht stillt. Sehnsucht nach Schönheit und Harmonie, nach spielerischer Leichtigkeit in Verbindung mit verlässlicher Stärke, nach forschem Schwung und Momenten des Verweilens. „Wann hatte Deutschland so ein Paar?“, schwärmt selbst der Präsident.

Mit einem Auftritt wie am Wochenende in Oberstdorf gehören die beiden zu den besten Paaren in Europa, was auch die nach dem neuen Wertungssystem erreichte Punktzahl beweist, die einen Quervergleich mit anderen Paaren und Konkurrenzen ermöglicht. Mit 190,99 Punkten lagen sie nur 3,03 Punkte hinter dem Europarekord der russischen Weltmeister Totmianina/Marinin; gewöhnungsbedürftige neue Werte im Eiskunstlauf, aber Werte mit Aussagekraft.

Und irgendwie zufällig zustande gekommen, denn Robin Szolkowy hatte nach der Trennung von seiner zweiten Partnerin vor nicht allzu langer Zeit im Chemnitzer Formationsteam Zuflucht gesucht. Doch nachdem ihm auf Vermittlung eines russischen Fotografen vor anderthalb Jahren die ebenfalls partnerlose, frühere Junioren-Weltmeisterin Aljona Sawtschenko wie ein Geschenk ins Körbchen gelegt wurde, hat er neue Möglichkeiten und neue Welten entdeckt. Trainer Ingo Steuer, mit Mandy Wötzel Paarlauf-Weltmeister 97, sagt, er habe von Anfang an das Gefühl gehabt, dass aus den beiden was werden könnte. Für die EM in zwei Wochen ist er optimistisch und sagt, da sei noch genügend Luft zur Steigerung.

Die Kür des neuen Traumpaares wurde aus anderer Sicht allerdings zum Minderheitenprogramm, zu sehen nur von ein paar hundert Interessenten und Eingeweihten. Das ZDF hat sich für diesen Winter ohnehin aus dem Eiskunstlauf ausgeblendet, und auch die ARD hat zum ersten Mal seit Jahrzehnten darauf verzichtet, der Kundschaft Bilder von den Meisterschaften zu zeigen. Das Argument: Wen interessieren heutzutage noch nationale Championate einer Sportart? Kaum ein Jahr nach dem großen Erfolg der WM in Dortmund, nach Lindemanns drittem Platz und dem dritten Platz der inzwischen zurückgetretenen Eistänzer Winkler/Lohse ist das eine schwer zu verstehende Entscheidung, vor allem angesichts massiver Sportblöcke aus anderen Wintersportarten an einem ganz normalen öffentlich-rechtlichen Fernseh-Wochenende. „Das hat unsere faszinierende Sportart nicht verdient“, meint Stefan Lindemann. Und auch Präsident Mirmseker machte das ein bisschen traurig. DORIS HENKEL