: Wie Diktatoren in Bananenrepubliken
Die Firma ist der Star: Neil Gablers Studie „Ein eigenes Reich. Wie jüdische Emigranten Hollywood erfanden“
Der erste und eigentliche Star war für Louis B. Mayer immer das Emblem seiner Firma – also nicht Joan Crawford oder Clark Gable, sondern der brüllende Löwe von Metro-Goldwyn-Mayer. Prangte er an den Unterseiten der Flugzeuge von MGM, liefen an den Airports die Leute zusammen wie heute am roten Teppich am Potsdamer Platz. Mayer betrachtete seine Studios als eine große Familie, sich selbst als ihren Patriarchen. Welchen Einfluss er und andere Gründungsväter auf die Figuren und die Moral ihrer Produkte hatten, darum dreht sich Neil Gablers Studie „Ein eigenes Reich. Wie jüdische Emigranten Hollywood erfanden“, die 15 Jahre nach ihrem Erscheinen in den USA nun ins Deutsche übersetzt worden ist.
Gabler arbeitet ein starkes Motiv heraus, das die Gründergeneration eint. Deren Protagonisten – Adolph Zukor (Paramount), Carl Laemmle (Universal), Louis B. Mayer (Metro-Goldwyn-Mayer), William Fox (20th Century Fox), Harry Cohn (Columbia) oder den Warner Brothers – ging es wesentlich um Anerkennung. Die aus Mittel- und Osteuropa eingewanderten Juden – ursprünglich waren sie Geschäftsleute, und zwar fast alle in der Bekleidungsindustrie – strebten auf einem Gebiet nach Erfolg, wo sie nicht von der White-Anglo-Saxon-Protestant-Führungsschicht dauerhaft ausgegrenzt blieben. Und auf dem Sektor der Nickelodeons und der Penny Arcades gab es keine Klassenschranken. Zwar gingen in den Dreißigerjahren bereits zwei Drittel der höchsten Einkommen an Filmschaffende, doch blieb es für diese eine anhaltende Herausforderung, die Macht und den Reichtum in Status und Vornehmheit zu übersetzen und die eigene Herkunft vergessen zu machen. Ein typisches Neureichenphänomen.
Neil Gabler teilt sein umfangreiches Buch in zwei Teile: Der erste besteht aus psychologisch interpretierenden Porträts der Gründer und Tycoons, die sich mitunter wie Diktatoren in Bananenrepubliken aufspielten. In den Erzeugnissen ihrer Studios setzten sie eine zumeist konservativ-klassenversöhnlerische Botschaft durch. Der zweite Teil, „Das Reich“, vergleicht Stil und Image der Studios, etwa die eleganten Helden von MGM mit den rebellischen, toughen Selfmadeaufsteigern à la James Cagney von Warner Bros. oder den kontinentalen Liebhabertypen von Paramount, wo die großen Epen von billigem Horror flankiert wurden. Beleuchtung, Atmosphäre, Glamour oder Asphalthärte in Verbindung mit bestimmten Klischees („Metros Mütter waren Glucken“) konnten einem versierten Zuschauer auf Anhieb untrüglich die Herkunft des Produkts verraten, behauptete schon Billy Wilder. Der Film war Ausdruck einer ästhetisch-dramaturgischen Corporate Identity. Bei Louis Mayer hieß das etwa: eine gesunde, reiche und reputierliche Familie, in der dunkle Abgründe, schmerzliche Geheimnisse sich auftun.
Ein starkes Kapitel in Gablers Buch berührt die Kommunistenhetze in Hollywood, der die Bosse in voreiligem Gehorsam nachgaben. „Amerika besteht auf einer vollständigen Entlausung!“, ließ die „Motion Picture Alliance“ im Stil des NS-Hetzblattes Stürmer verlauten. Also gaben die Studios dem neofaschistischen Südstaatenpopulismus nach, mit dem die inquisitorischen „Ausschüsse gegen unamerikanische Aktivitäten“ Hollywoodpersönlichkeiten verhörten, sie zu Denunziationen zwangen und Gesinnungsgegner verfolgten. Die Studios entließen verdächtigte Mitarbeiter, um nur bloß nicht die antisemitischen Ressentiments der amerikanischen Rechten anzuheizen. Warum sollte man sich ohne Not Feinde schaffen und mit den sozialistischen Subversiven in einen Topf geworfen werden? So könnte man die Haltung von Louis B. Mayer zusammenfassen.
Die privaten Vorgeschichten der Bosse sind einander verblüffend ähnlich: Die meisten Tycoons von Hollywood stammten von gescheiterten Vätern ab. Sie suchten sich von einer elenden Kindheit abzuwenden und waren bestrebt, sich der neuen Heimat rückhaltlos und zukunftsorientiert anzupassen. Knauserige, zwanghafte Potentaten, prasssüchtige, unbeherrschte Spieler, Autokraten mit enorm ausgeprägtem Machtinstinkt und einer untrüglichen Witterung des Publikumsgeschmacks. Politisch gesehen war die Führungsetage Hollywoods eine reaktionäre Enklave. Mit der Ausnahme Jack Warners, der Anfang der Dreißigerjahre Roosevelt unterstützte, votierte man für die Republikaner. Währenddessen fütterte die Unterhaltungsindustrie die Opfer der Wirtschaftskrise mit Glücksversprechen.
Gablers Interesse an der Dialektik zwischen dem Bild der Massenunterhaltung und den Motiven ihrer Produzenten gibt diesem Band seine zentrale Aussage. „Am Ende waren es vor allem die von den Juden produzierten Filme, die die amerikanischen Werte überhaupt erst definierten. Indem die Juden ihr idealisiertes Amerika auf der Leinwand schufen, erfanden sie am Ende das Land nach dem Bild ihrer eigenen Vorstellungen neu.“
Das Paradox, dass die Filme als die Quintessenz des Amerikanischen angesehen wurden, während die Produzenten dieser Filme das genau nicht waren, generierte nach Gabler seine eigene Wahrheit. JÖRG BECKER
Neil Gabler: „Ein eigenes Reich. Wie jüdische Emigranten Hollywood erfanden“. Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber. Berlin Verlag, Berlin 2004, 670 Seiten mit zahlreichen SW-Abb., 24,80 €