: „Ich bin nicht religiös“
Die iranische Zeichnerin Marjane Satrapi über ihren erfolgreichen autobiografischen Comicroman „Persepolis“, den westlichen Blick auf den Iran sowie das Kopftuchverbot an französischen Schulen
INTERVIEW DANIEL BAX
taz: Frau Satrapi, „Persepolis“ wurde in 16 Sprachen übersetzt, eben ist der zweite Band auf Deutsch erschienen. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Marjane Satrapi: Mein Buch ist einfach ein gutes Buch. Das ist keine Frage des Marketings: Die Menschen müssen ein Buch wirklich mögen, wenn sie sich so sehr dafür interessieren.
Ihr Comic ist eines der erfolgreichsten Bücher, das je über den Iran geschrieben wurde, trotz einer sehr persönlichen Perspektive und einer sehr ungewöhnlichen Form.
Ich habe meine Geschichte benutzt, um die Geschichte meines Landes zu erzählen. Ich glaube nicht, dass es so etwas wie eine objektive Perspektive gibt. Und meine Geschichte ist eben die einzige, die ich kenne.
Sie leben seit 1994 in Frankreich. Wie sind Sie zum Comiczeichnen gekommen?
Ich hatte einfach großes Glück: Als ich nach Frankreich kam, traf ich gleich die richtigen Leute. Ein Freund von mir, Christophe Blain, arbeitete als Comiczeichner in einem Studio. Das ist so, als ob jemand eine Laufbahn als Tänzer einschlagen möchte und dann nach New York geht und dort Fred Astaire trifft. Er hat mir das Comiczeichnen nahe gebracht. Aber es war auch harte Arbeit: Man muss schon besessen sein, um Comics zu zeichnen.
Wollten Sie schon immer Comics zeichnen?
Ich habe Kunst studiert und wollte immer als Zeichnerin arbeiten. Ich kann sehr ehrgeizig sein, aber ich würde mich nicht für die Kunst umbringen. An der „Persepolis“-Reihe habe ich vier Jahre gesessen, daneben aber habe ich auch Illustrationen für Modemagazine gefertigt oder an Kinderbüchern gearbeitet.
Wie hat Ihre Familie auf Ihre Comicbiografie reagiert? Sie geben ja intime Aspekte preis.
Ich habe kein Problem mit meiner Familie. Ich finde, um persönliche Probleme zu lösen, sind Bücher auch nicht der richtige Weg. Mein Blick auf meine Familie ist ein sehr liebevoller. Ich würde sagen, mein Comic ist geradezu eine Liebeserklärung an meine Familie.
Ist er im Iran erschienen?
Es soll wohl auch eine persische Übersetzung geben. Aber mein Buch könnte im Iran öffentlich und regulär nicht erscheinen. Es wird wohl irgendwie halb legal verlegt worden sein. Es gibt kein funktionierendes Copyrightsystem im Iran, deshalb habe ich darüber keine Kenntnisse.
Wie eng sind Ihre Kontakte in den Iran?
Meine Familie lebt immer noch noch dort, und wir pflegen eine sehr enge Verbindung. Aber seit „Persepolis“ erschienen ist, bin ich nicht mehr dort gewesen. Man muss in einem Land leben, um sich ein wirkliches Bild machen zu können. Viele Menschen im Westen sind überzeugt, dass sie etwas über den Iran wissen: Je weniger sie wissen, desto überzeugter sind sie. Aber das hat mit Dummheit zu tun. Man sollte immer versuchen, die Dinge mit eigenen Augen zu sehen.
War es Ihre Absicht, mit „Persepolis“ das Bild des Iran in der westlichen Öffentlichkeit gerade zu rücken?
Ich wollte weder ein negatives noch ein positives Bild des Iran zeichnen, sondern nur einen anderen Blickwinkel zeigen.
Weil Sie mit Ihrem Comic die Schrecken der islamischen Revolution im Iran gezeigt haben, wurden Sie während der Kopftuchdebatte in Frankreich zuweilen als Kronzeugin zitiert. Zu Recht?
Warum soll ich für die Muslime in Frankreich repräsentativ sein? Meine Geschichte ist eine völlig andere als die eines Einwanderers aus Algerien oder Marokko. Ich bin nicht religiös, ich denke nicht in den Kategorien einer religiösen Person: Religion ist für mich etwas Privates. Ich bin säkular und hege auch absolut keine Sympathien für diese Religiösen. Aber die Gesellschaft trägt auch Verantwortung für sie, man kann sie nicht einfach so ausgrenzen.
Was halten Sie von dem Kopftuchverbot an französischen Schulen?
Die Kopftuchfrage stellt sich in Frankreich völlig anders als im Iran. Diese Debatte ist absurd. Wie kann man behaupten, man würde den Mädchen in der Schule durch dieses Gesetz helfen? Im Gegenteil, sie werden dadurch bloß gegenüber den Jungen benachteiligt. Die Franzosen wollen sich nicht eingestehen, dass sie mit der Integration versagt haben. Man kann nicht Menschen, die seit dreißig Jahren in diesem Land leben, als Menschen zweiter Klasse behandeln. Stattdessen haben sie nun das Kopftuch zum Problem erklärt. Das ist bigott.