Stromverbrauch frisst Tourismus

Im Tiroler Ötztal wollen Regierung und Stromversorger einen neuen Staudamm bauen, weil jedes Jahr mehr Strom verbraucht wird. Anwohner nicht beteiligt

WIEN taz ■ Das malerische Ötztal in Tirol soll mit einem neuen Staudamm das Energiedefizit des Landes ausgleichen. Das sehen Pläne des Landeshauptmanns Herwig van Staa und des landeseigenen Energiekonzerns, der Tiroler Wasserkraft AG (Tiwag), vor. Ein aktueller Bericht zählt 16 mögliche Standorte für den Aus- oder Neubau von Wasserkraftwerken im oder nahe am Ötztal auf. Widerstand gegen diese Projekte, die erheblich in die Landschaft und das Ökosystem der bekannten Tourismusregion eingreifen würden, formiert sich nur zögernd, da bisher wenig Konkretes bekannt wurde.

Aufgebracht ist vor allem der Alpenverein wegen eines möglichen Großspeichers im Sulztal, einem Nebental des Ötztals. Der neue Stausee würde die Amberger Hütte von 1888 überfluten. Von der Region ging 1869 auch die Gründung des Deutschen Alpenvereins (DAV) aus.

Der etwa 100 Seiten umfassende Optionenbericht rechtfertigt die Pläne mit dem gestiegenen Energieverbrauch Tirols. Im Jahr 2003 mussten 25 Prozent des Tiroler Stromverbrauchs importiert werden. Bis 2015 werde jedes Jahr etwa 2 Prozent mehr Strom verbraucht, der vollständig importiert werden müsse. Da Strom in der EU knapper werde, steige das Verfügbarkeits- und Preisrisiko auch für Tirol immer weiter an.

Da hier erst 50 Prozent des ausbauwürdigen Potenzials zur Stromgewinnung aus Wasserkraft genutzt werden (in der Schweiz sind es fast 100 Prozent), bringe eine Wiederaufnahme des Kraftwerksbaus große Vorteile. Die Tiwag verspricht eine sichere und umweltverträgliche Elektrizitätsversorgung zu vertretbaren Kosten. Bürgermeister und Tourismusunternehmer der Tiroler Täler zeigten sich zunächst angetan von den Kraftwerksplänen. Die Bauvorhaben versprechen Arbeitsplätze und Einnahmen. In der Bevölkerung herrscht aber Skepsis vor. Eine Umfrage der Universität Innsbruck ergab 73,8 Prozent Ablehnung. Selbst viele Befürworter äußerten sich besorgt über mögliche Schäden für Natur und Landschaft. Das Argument, der eigene Strom komme billiger als importierter, wollte kaum einer akzeptieren.

Dass dem Ötztal Kraftwerke und Stauseen drohen, war schon lange vor der Veröffentlichung des Berichts bekannt. Aber weder wurden die Grundbesitzer gefragt noch die Bewohner der betroffenen Gemeinden in die Planung eingebunden. Das könnte auch zu Konflikten mit deutschen Eigentümern führen, denn die Berliner Sektion des DAV besitzt 480 Hektar Alpengelände im betroffenen Gebiet.

Für den Ötztaler Heimatforscher Hans Haid ist die Sache klar: Es gehe um Geschäfte. „Die Tiroler Landesregierung und die Tiwag haben die Gewinn versprechende Rechnung ohne EU und Alpenkonvention, ohne Naturschutz, Alpenverein und ohne Nachhaltigkeitsdenken aufgestellt.“ Eine Gruppe von Kraftwerksgegnern hat sich in der „Tiroler Initiative wir alle gemeinsam“ organisiert. Nicht zufällig stimmt das Kürzel des Vereins mit dem des Energiekonzerns überein: Tiwag. Sie hat ebenfalls eine Internetseite (www.dietiwag.at) eröffnet, auf der die Kraftwerksprojekte öffentlich diskutiert werden können. Das, so Kraftwerksgegner Markus Wilhelm, sei die passende Antwort „auf die Desinformation der Tiwag“. RALF LEONHARD