Der Tote von Hamburg war keine Warnung

Dass der Einsatz von Brechmitteln lebensgefährlich sein kann, ist bekannt: 2001 starb ein mutmaßlicher Dealer in Hamburg. Unter Juristen gilt das Mittel dennoch überwiegend als zulässig. Die meisten Ärzte lehnen es hingegen ab

Ein Anwalt sagt, die Polizei setze Brechmittel gern ein, da sie abschreckend wirkten

BERLIN taz ■ Das erste Todesopfer eines Brechmitteleinsatzes war in Hamburg zu verzeichnen. Am 12. Dezember 2001 erlitt der 19-jährige Nigerianer Achidi John einen Herzstillstand. Zuvor war dem mutmaßlichen Crackdealer über eine Nasen-Magen-Sonde 30 Milliliter eines Sirups eingeflößt worden, der aus der lateinamerikanischen Brechwurzel (Cephaelis ipecacuanha) gewonnen wird, dazu noch 800 Milliliter Wasser. Den sich heftig wehrenden Mann hatten vier Polizisten auf einer Trage fixiert.

Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen die Beteiligten sieben Monate später ein. Achidi John soll eine Herzerkrankung gehabt haben und hätte bei jedem anderen aufregenden Ereignis sterben können, erklärten die Hamburger Staatsanwälte.

Gerade in Hamburg war der Brechmitteleinsatz gegen mutmaßliche Dealer hochgradig politisiert. Eingeführt wurde er noch vom damaligen SPD-Innensenator Olaf Scholz, der in den Schlussmonaten der rot-grünen Koalition Härte signalisieren wollte. Sein Nachfolger Ronald Schill weitete den Brechsafteinsatz dann massiv aus und stoppte ihn auch nicht nach Achidi Johns Tod. „Eine Änderung der Praxis wäre ein Signal, dass die Strafverfolgung in Hamburg nicht mit der gebotenen Härte durchgeführt wird“, sagte Schill, der als „Richter Gnadenlos“ bekannt geworden war.

Rechtlich werden die Brechmitteleinsätze auf Paragraf 81a der Strafprozessordnung gestützt, der „körperliche Untersuchungen“ – wie Blutentnahmen – auch gegen den Willen des Verdächtigen erlaubt. Laut Gesetz darf dabei allerdings „kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten“ sein. Die meisten Ärzte lehnen das zwangsweise Legen einer Magensonde ab, weil hier die Verletzungsgefahr zu groß ist. Auch eine notwendige Voruntersuchung sei kaum möglich.

Im Mai 2002 beschloss deshalb der Deutsche Ärztetag: „Die Vergabe von Brechmitteln an verdächtige Drogendealer zum Zwecke der Beweismittelsicherung ist ohne Zustimmung des Betroffenen ärztlich nicht zu vertreten“ und verstoße gegen das „ärztliche Berufsethos“.

In der Justiz hat als einziges Obergericht bislang das Oberlandesgericht Frankfurt/Main die Brechmittelvergabe für unzulässig erklärt. Ihm fehlte 1996 eine spezielle Rechtsgrundlage, weil hier nicht der Körper, sondern sein Inhalt untersucht werde. Außerdem verstoße die Methode gegen die Menschenwürde, da dabei der menschliche Körper als Mechanismus zur Ausgabe von Gegenständen missbraucht werde. Andere Obergerichte in Bremen, Düsseldorf und Berlin haben die Methode dagegen gebilligt.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich bisher nicht abschließend mit dem Problem befasst. 1999 entschied eine mit drei Richtern besetzte Kammer ohne Begründung, dass der Brechmitteleinsatz nicht gegen die Menschenwürde verstößt. Die Richter ließen aber offen, ob das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit verletzt wird. Diese Frage wurde an die Fachgerichte zurückverwiesen. Dass die rechtliche Bewertung in Karlsruhe noch nicht zu Ende ist, betonte das Gericht nach dem Hamburger Todesfall in einer extra veröffentlichten Presseerklärung – ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang.

Was Kritiker besonders erzürnt: Es gibt durchaus Alternativen zum Brechmitteleinsatz. Die einfachste lautet: warten, bis der Darm sich auf natürliche Weise entleert. Im Stuhlgang können die Ermittler verschluckte Drogenpäckchen dann leicht finden. Einziges Problem hierbei: Ein Verhafteter darf ohne weiteren Haftgrund nur bis zum Ende des zweiten Tages festgehalten werden. Um die Ausscheidung zu beschleunigen, wendet der Hamburger Zoll Abführmittel an.

Der Berliner Anwalt Fredrik Roggan glaubt, dass der Brechmitteleinsatz bei der Polizei vor allem deshalb so beliebt ist, weil er als „abschreckende Quasistrafe“ wirkt. In der Zeitschrift Bürgerrechte und Polizei spricht er sogar von „Folter“.

CHRISTIAN RATH