: Arbeit verdient Respekt
Mit 1-Euro-Jobs lässt sich die Lebensqualität von Arbeitslosen verbessern – solange sie nicht als Druckmittel missbraucht werden oder die Arbeit zu Marktpreisen verdrängen
Im Fernsehstreit im RBB über die 1-Euro-Jobs zeigte sich das ganze Dilemma. Der stämmige Vierzigjährige erzählte, wie er im Rahmen seines 1-Euro-Jobs gebrechliche alte Damen beim Stadtbummel begleitete und dass ihm diese Arbeit das gute Gefühl gebe, „gebraucht“ zu werden. Der Gewerkschaftsvertreter hörte stirnrunzelnd zu und befand dann, „diesem Herrn“ würden doch nur „falsche Hoffnungen“ gemacht, dabei hätte er nach seinem 1-Euro-Job doch keine Chance auf einen richtigen Arbeitsplatz. Zack, so werden Menschen gedemütigt.
Die 1-Euro-Jobs, die in diesem Jahr zu hunderttausenden eingerichtet werden sollen, sind eine Zäsur: Es geht nicht mehr um die Eingliederung der Erwerbslosen in den so genannten ersten Arbeitsmarkt, sondern nur noch darum, die Lebensqualität der Langzeitarbeitslosen wenigstens für neun Monate zu verbessern. Die 1-Euro-Jobs sind eine Politik des „Besser als nichts“ – und verdienen deshalb mehr Respekt und nicht die Nörgelei, die überall zu hören ist.
Um die Möglichkeiten der 1-Euro-Jobs zu würdigen, darf man sie jedoch nicht nach dem beurteilen, was sie nicht sind. 1-Euro-Jobs sind keine „Arbeitsmarktpolitik“, auch wenn die rot-grüne Regierung sie gerne so verkauft. Denn entgegen anders lautenden Gerüchten können weder eine Regierung noch die Arbeitsagenturen „richtige Jobs“ auf dem ersten Arbeitsmarkt herbeizaubern. Die 1-Euro-Jobs sind vielmehr „Beschäftigungspolitik“ – genauer gesagt: das Comeback der alten ABM, nur zum günstigeren Preis.
Mehr als 400.000 1-Euro-Jobber soll es durchschnittlich in diesem Jahr geben, Zahlen, die an die alte ABM-Kultur im Osten Deutschlands erinnern. In den 90er-Jahren wurden dort hunderttausende von ABM-Stellen geschaffen. Nachdem diese ABM-Kultur samt ihrer Folgekosten als zu teuer befunden wurde, kam der Schwenk. Es folgten klangvolle Maßnahmen in der Arbeitsförderungspolitik, die allesamt auf die Eingliederung in die Privatwirtschaft zielten. Auf der Liste standen die private Arbeitsvermittlung, die Vermittlungsgutscheine, das Mainzer Modell des Kombilohns, die Zeitarbeit in den PSA. Die Arbeitslosenzahlen stiegen trotzdem, weil eine Förderpolitik, die auf die Eingliederung in die Privatwirtschaft zielt, erfolglos bleiben muss, wenn die Konjunktur lahmt und kein Bedarf an neuen Arbeitskräften besteht. Insofern ist es folgerichtig, auch angesichts der gegenwärtigen schwachen Wirtschaftslage zu einem öffentlich finanzierten zweiten Arbeitsmarkt zurückzukehren.
Womit man zum zweiten Missverständnis bezüglich der 1-Euro-Jobs kommt. Das Vorurteil, bei diesen handele es sich um Arbeit zum „Dumping-Lohn“, stimmt nämlich so nicht. Geht man davon aus, dass 1-Euro-Jobber für eine 30-Stunden-Woche 1,50 Euro die Stunde zum Arbeitslosengeld II dazuerhalten, kommen sie auf ein Nettoeinkommen von im Westen bis zu 880 Euro monatlich, das ist ein Stundenlohn von 7 Euro netto. So viel kriegen mancherorts nicht mal gelernte Verkäuferinnen.
Die 1-Euro-Jobs von vorneherein zu stigmatisieren, ist also falsch. Die neue Maßnahme ist vielmehr ein interessanter Großversuch zur Frage, wie viel „zusätzliche“ und „im öffentlichen Interesse liegende“ Arbeit es in Deutschland eigentlich gibt. Dabei ist unbestritten, dass die 1-Euro-Jobs reguläre Arbeit verdrängen können. Die Frage lautet nur: Wo ist der zu erwartende Nutzen größer als dieses Risiko?
Abzulehnen ist beispielsweise der Einsatz in der Privatwirtschaft, etwa bei privaten Leiharbeitsfirmen. Denn dann könnten diese Leiharbeitsfirmen Niedrigstlöhne zahlen, während die Arbeitsagenturen noch einen Batzen öffentlich finanzierter Subvention draufgeben. Schon frech, dass die Arbeitgeber solche Vorschläge überhaupt machen. Heikel ist aber auch der flächendeckende Einsatz von 1-Euro-Jobbern etwa zur Renovierung in Schulen. Zwar stimmt es, dass die Kommunen vielerorts keine öffentlichen Gelder mehr für die Instandsetzungen in Schulen zur Verfügung haben – dennoch würden damit bestimmte Beschäftigungsfelder auch in der Zukunft für Anbieter verschlossen, die ihren Mitarbeitern branchenübliche Löhne zahlen.
Weniger umstritten sind die 1-Euro-Jobs im sozialen Bereich, in der zusätzlichen Betreuung von Kindern und alten Menschen. Der Bedarf an menschlicher Zuwendung ist gerade in einer alternden Gesellschaft groß. Mit den 1-Euro-Jobs ließe sich potenziell also „Lebensqualität“ verbessern, und zwar sowohl der Erwerbslosen als auch ihrer Klientel in Altenheimen, Schulen und Kindergärten. Das gilt allerdings nur dann, wenn niemand zu diesen Jobs gezwungen wird. Womit man nach all den Missverständnissen zur wichtigsten Voraussetzung für die 1-Euro-Jobs angelangt ist: der Frage der Würde.
Ist Basteln im Kindergarten eine würdige Beschäftigung für eine allergiekranke Ex-Friseurin? Ist die Begleitung alter Frauen beim Arztbesuch in der Stadt eine sinnvolle Tätigkeit für einen 50-jährigen Ex-Handwerker? Ist die Wartung von Computern in Schulen eine respektable Tätigkeit für einen arbeitslosen Ingenieur? Wenn eine soziale Einbindung besteht, wenn man den Leuten Respekt entgegenbringt und wenn sie sich die Maßnahme freiwillig auswählen können – dann ist die Würde gewahrt. Auch wenn die Arbeit nicht das ist, wofür man mal einen Beruf gelernt hat. Aber schließlich betreuen auch hunderttausende von nicht erwerbstätigen Müttern mit Uni-Diplom zu Hause Kinder, kochen Essen und waschen Socken. Auch sie sind an einer neuen Definition von Arbeit und Würde interessiert, unabhängig von der Fixierung auf Jobs auf dem „richtigen“ Arbeitsmarkt.
1-Euro-Jobs dürfen also niemals zur Disziplinierung von Erwerbslosen missbraucht werden. Doch diese Gefahr ist inzwischen nicht mehr so groß: Längst übersteigt die Zahl der BewerberInnen das Angebot an diesen Jobs. Dass dies so ist, wirft ein Schlaglicht auf die Wirklichkeit in Deutschland. Diese Realität besteht nun mal aus 47-jährigen Verkäuferinnen, die wegen ihres Alters keinen Job mehr finden. Aus 52-jährigen Ingenieuren, die noch 15 Jahre bis zur Rente, aber keine Aussicht mehr auf eine feste Stelle haben. Aus 50-jährigen Bauarbeitern, die wegen ihrer Bandscheibenprobleme zwar zu krank für den Job, aber noch zu gesund für die Rente sind.
Mit den 1-Euro-Jobs könnten sich im besten Fall mancherorts Subkulturen entwickeln, die beispielsweise die Jugend-, Alten- und Kulturarbeit stützen, ähnlich wie die AB-Maßnahmen im Westen in den 80er- und im Osten in den 90er-Jahren. Im schlechtesten Fall werden die Jobs weiter stigmatisiert als „Dumping-Arbeit“ und „Zwangsarbeit“. Das Experiment läuft – und wird am Ende diesen Jahres wieder etwas Neues aussagen über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten rot-grüner Beschäftigungspolitik.
BARBARA DRIBBUSCH