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Archiv-Artikel

Unterwegs im Tigerland

AUS KILINOCHCHI RALF LEONHARD

Der Zivilflughafen von Jaffna liegt mitten in der Hochsicherheitszone. Beim Anflug auf die Militärbasis Palaly sieht man verlassene Häuser und Ruinen, die schon vom Urwald verschlungen wurden. Hier leben ausschließlich Soldaten, Flugpassagiere werden von streng blickenden Militärs kontrolliert und vom Gelände eskortiert. Fotografieren, Filmen und der Gebrauch von Handys ist streng untersagt.

Die Halbinsel Jaffna im äußersten Norden Sri Lankas wirkt wie ein besetztes Land. 40.000 singhalesische Soldaten – einer für zehn tamilische Einwohner – sorgen dafür, dass die tamilische Befreiungsorganisation LTTE nicht auf die Idee kommt, diesen Landesteil erneut zu erobern. Militärs patrouillieren in den Straßen, verschanzen sich in den Dörfern hinter olivgrünen Sandsäcken oder verbergen ihre Posten hinter mit Palmblättern verkleideten Zäunen. Nicht alle wirken furchteinflößend: etwa wenn sie zu zweit auf einem wackligen Fahrrad unterwegs sind.

Hinter dem Checkpoint

Zerschossene Fassaden zeugen davon, dass hier einmal jeder Kilometer Straße umkämpft war. Erst nach etwa einer Stunde Autofahrt Richtung Südosten erreicht man den Checkpoint, hinter dem das LTTE-kontrollierte Gebiet beginnt. Die Grenze wurde im Februar 2002 gezogen, als das bis heute geltende Waffenstillstandsabkommen in Kraft trat. Kurze Passkontrolle auf beiden Seiten, schon ist man im Tigerland – jenem Landesteil, der von den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) verwaltet wird. Am Elefantenpass, der die Halbinsel Jaffna mit dem Rest des Landes verbindet, zeugt ein ausgebrannter Panzer von verlustreichen Schlachten. Doch das ist Vergangenheit. Uniformen sind überhaupt nicht zu sehen, nur tamilische Polizisten in ihren hellblauen Hemden und dunkelblauen Hosen sorgen für Ordnung im Straßenverkehr.

Vor allem mit Temposündern kennen sie keine Gnade. „Ich habe schon zehnmal zahlen müssen, als ich mit dem Motorrad zu schnell unterwegs war“, sagt Kalatara lachend. Der Computeringenieur aus Toronto verbringt seinen Jahresurlaub in der alten Heimat. Seine Familie verließ Jaffna, als er sechs war. Damals verschärften sich die Kämpfe auf der Halbinsel. 18 Jahre lang hatte er Sri Lanka nicht gesehen, als er vor zwei Jahren erstmals zurückkam. Über die Tamil Relief Organisation (TRO), die die in alle Welt verstreuten tamilischen Gemeinden für die nationale Befreiung zur Kasse bittet, bekam er den Kontakt zum politischen Flügel der LTTE. Der war damals dabei, von Kilinochchi aus eine Zivilverwaltung auf die Beine zu stellen. Als Computerfachmann fand Kalatara reichlich Arbeit. Er will jetzt jedes Jahr die Weihnachtsferien hier verbringen.

Die tamilische Diaspora spielt eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau und dessen Planung: Das Konzept für die von der LTTE geforderte Autonomie wurde von einem Australier formuliert; Anton Balasingham, einer der Vordenker, sitzt in London; und Siva Gopad, Professor für Landvermessung an der Universität Ohio, arbeitet seit mehreren Monaten im Planungssekretariat.

Barfuß im Friedenssekretariat

Kilinochchi ist eine zersiedelte Stadt ohne erkennbares Zentrum. Die wichtigen öffentlichen Gebäude wie Polizeihauptquartier, Bezirksgericht und Schule liegen entlang der Hauptstraße. Der Sitz der LTTE-Führung und das Friedenssekretariat, das als Quasi-Außenministerium der Tigers fungiert, sind in ungepflasterten Nebenstraßen verborgen und diskret, aber gut bewacht.

Das Friedenssekretariat ist ein modernes Gebäude mit Spiegelglasfenstern. Nach sri-lankischem Brauch tritt man barfuß ein. Hier sitzt auch das Pressebüro der Tigers, im Hauptraum werden Gäste empfangen. T. S. Tamilselvan, der Chef des politischen Flügels der LTTE, erscheint in Begleitung seines Dolmetschers George und entschuldigt sich für seine knappe Zeit – ständig kämen Vertreter ausländischer NGOs und Journalisten. Er hofft, sagt er, dass die Friedensverhandlungen mit der Regierung bald wieder in Gang kommen, bedauert aber die Signale, die von Präsidentin Chandrika Kumaratunga ausgesandt werden. So habe sie UN-Generalsekretär Kofi Annan nicht erlaubt, die vom Tsunami verwüsteten Strände im LTTE-Gebiet zu besuchen. Tsamilselvan deutet an, dass er für den Friedensprozess einen Regierungswechsel für förderlich hielte. Oppositionsführer Ranil Wickremesinghe, der vor drei Jahren als Regierungschef den Waffenstillstand ausgehandelt hatte, sei wesentlich konstruktiver als der derzeitige Premier Mahinda Rajapakse. Sitze man erst am Verhandlungstisch, könne man auch über Abstriche am Entwurf für ein tamilisches Autonomiegebiet reden, das vielfach als Androhung einer Abtrennung interpretiert wird.

Tamilselvan lächelt verbindlich. Er ist das freundliche Gesicht der LTTE, deren militärischer Chef, Velupillai Prabhakaran, sich mit einer mystischen Aura umgibt. LTTE-Mitglieder sprechen von ihm als „unser großer Führer“, sein Fotoporträt hängt in allen öffentlichen Gebäuden – auch hier in der Halle des modernen Gästehauses, wo Delegationen und Pressevertreter untergebracht werden. Dass der 50-jährige LTTE-Gründer seit dem Tsunami nicht mehr gesehen wurde, nicht einmal eine Botschaft an seine Leute gerichtet hat, nährt Gerüchte, er sei selbst Opfer der Flutwelle geworden. Das sei Feindpropaganda, heißt es bei der LTTE. Tatsächlich ist es nicht ungewöhnlich, monatelang nichts vom „großen Führer“ zu hören.

Neuanfang im Vanni-Gebiet

Der Vanni, jener etwa 350.000 Einwohner zählende Landstrich, der der LTTE vorübergehend überlassen wurde, ist nur ein Bruchteil jener tamilisch besiedelten Gebiete, die von den Rebellen lange Jahre de facto beherrscht wurden. Ein unfruchtbares Gebiet – in den Dörfern drängen sich palmstroh- und wellblechgedeckte Hütten, wichtigstes Fortbewegungsmittel ist das Fahrrad, das oft zu zweit benutzt wird. Privatfahrzeuge stammen zum großen Teil aus den 60er- und sogar 50er-Jahren, was nicht nur etwas über die geringe Kaufkraft der Einwohner, sondern auch über die Kunst der Mechaniker sagt.

Kilinochchi war jahrelang eine Geisterstadt. Die Frontlinie verlief mitten durch das bebaute Gebiet, längst ist es von Zivilisten geräumt. Die Gebäude sind entweder von Artillerie zerstört oder frisch renoviert, ein Wasserturm steht kurz vor der Fertigstellung. Rajanikanth ist vor zwei Jahren hierher gekommen. Er war mit seiner Familie 1996 von der Armee von der Insel Kytes vor Jaffna vertrieben worden. In Kilinochchi hat er sich niedergelassen, „weil mein Vater hier früher ein Geschäft hatte“. Er ist heute Pächter eines kleinen Lokals an der Hauptstraße, schenkt Getränke aus, serviert kleine Speisen. Das Geschäft läuft gut: 8.000 bis 10.000 Rupien bleiben ihm jede Woche, davon kann er leben. Was er braucht, kauft er auf dem lokalen Markt – auch einen Generator für den Kühlschrank. Denn Stromversorgung ist Privatsache. Das Kraftwerk, dessen Bau die Regierung einst zusagte, existiert nur auf dem Papier.

Rajanikanth schenkt keinen Alkohol aus und schließt um 21.30 Uhr. Deshalb wohl sind Schlägereien in seinem Lokal noch nicht vorgekommen. Private Gewaltausbrüche gehören zu den häufigsten Delikten im LTTE-Gebiet. „Das wird bestraft, aber dann schicken wir auch Mediatoren, die weiteren Konflikten vorbeugen sollen“, sagt Polizeichef Balasingham Nadesan. Er ist stolz auf seine Leute. Anders als die sri-lankischen Polizisten, deren Korruption notorisch ist, wurde von seinen Leuten noch nie einer beim Einstecken von Bestechungsgeldern erwischt. Politische Probleme gebe es hier keine, sagt Nadesan. Außer der LTTE sei von den anderen tamilischen Parteien noch keine auf die Idee gekommen, in Kilinochchi ein Büro zu eröffnen. „Die meisten Parteien sind ja mit uns in der Tamil National Alliance (TNA) zusammengeschlossen.“ Wer nicht in der TNA ist, die bei den jüngsten Wahlen praktisch alle Parlamentssitze des Wahlkreises abräumte, hat auch außerhalb des Vanni kein leichtes Leben. So klagte der langjährige tamilische Abgeordnete V. Anandasangaree von der Tamil United Liberation Front über Schikanen: seine Wahlveranstaltungen seien von LTTE-Leuten gestört worden. „Wenn es Frieden gibt, werden wir auch Demokratie haben“, vertröstet der Polizeichef.

Ein Fischer auf Frauenfang

Wichtigster Ort an der Küste ist Muluaitivu, das vom Tsunami fast völlig von der Landkarte getilgt wurde. Von der Kirche steht noch ein trauriges Skelett, von den Häusern der Fischer zeugt kaum noch eine Spur. Im Waisenhaus, das 170 Kinder beherbergte, starben vor allem die Kleinsten. Die Aufräumarbeiten sind schon weit fortgeschritten, ein Bagger hebt Schutt auf die Ladefläche eines Lkws. Vor dem Waisenhaus zerkleinern Männer mit Spitzhacken und Brechstangen die Trümmer. Überall stehen Wassertanks, sogar Strom gibt es.

„Wir wollen, dass die Fischer ihre Angst verlieren und wieder an den Strand zurückkehren“, sagt R. E. Maren, der lokale Manager des Planungs- und Entwicklungssekretariats der LTTE. Er hat sein Büro im Vidyanantha College, wo 1.100 Obdachlose untergebracht sind. Bis 300 Meter von der Küstenlinie soll nicht mehr gebaut werden. Nur die Fischer, die kein anderes Handwerk gelernt haben, sollen wieder ans Meer zurück. Der 35-jährige Kaneswaran, der seine Frau, beide Kinder, sein Haus und drei Boote verloren hat, kann sich überhaupt noch nicht vorstellen, wie es weitergehen soll. Wenn er keine Frau findet, die sich um ihn kümmert, sagt er, will er sich den Tigern anschließen: „Das sind die einzigen, die sich in der Stunde der Not um uns gekümmert haben.“