: „Eine Zwei-Staaten-Lösung? Warum nicht“
Hamas wird mit dem neuen Präsidenten kooperieren, sagt Hassan Jussuf, ihr Chef im Westjordanland – „solange es dem Volk nutzt“
taz: Scheich Hassan Jussuf, die ganze Welt erwartet von Mahmud Abbas, dass er Sie und Ihre Leute unter Kontrolle bringt. Welche Chancen geben Sie ihm?
Hassan Jussuf: Wir sind die einzige palästinensische Bewegung, die keiner regionalen oder ausländischen Macht untersteht. Wir lassen uns von niemandem kontrollieren, sondern verfolgen unsere eigenen, unabhängig getroffenen Entscheidungen. An Dialog sind wir sehr interessiert. Wir werden uns anhören, was unser Bruder Abu Masen zu sagen hat, und ihm umgekehrt unseren Standpunkt mitteilen, um dann im Sinne des palästinensischen Volkes zu handeln.
Was sind Ihre Bedingungen für eine „Hudna“, eine Waffenruhe?
Jeder weiß, dass wir schon mehr als einmal als Geste des guten Willens eine Waffenruhe erklärt haben, schon in der Zeit, als Abu Masen Premierminister war. Das Problem ist jedoch, dass Israel die Waffenruhe immer wieder gebrochen hat. Wie kann man also von uns eine Waffenruhe erwarten, wenn die Besatzung weitergeht? Gibt es internationale Garantien, dass die israelischen Angriffe aufhören und unsere Leute vor diesen Aggressionen geschützt werden? Die Hamas hat keine heiligen Taktiken. Alles kann überdacht und verändert werden, solange das im Sinne unserer nationalen, palästinensischen Interessen ist.
Die palästinensische Bevölkerung vor allem im nördlichen Gaza-Streifen leidet sehr an den israelischen Vergeltungsschlägen, die zumeist einem Beschuss mit Kassam-Raketen folgen. Gleichzeitig hat Israel den Abzug aus Gaza angekündigt. Warum also noch die Angriffe?
In Dschenin, Ramallah, Nablus und Hebron hat es keine Angriffe mit Kassam-Raketen gegeben, und trotzdem gab es auch dort Militäraktionen, Tötungen und Zerstörung. Israel braucht kein Alibi für die Angriffe gegen das palästinensische Volk. In einer Umfrage, die jüngst von al-Dschasira durchgeführt wurde, heißt es übrigens, dass 80 Prozent der Bevölkerung im Gaza-Streifen eine Fortsetzung der Kassam-Angriffe befürwortet. Nur 19 Prozent halten sie für sinnlos.
Abu Masen fordert ein Ende des Raketenbeschusses. Werden Sie den Anweisungen des neuen Präsidenten Folge leisten?
Wir respektieren die Wahl des palästinensischen Volkes, auch wenn Hamas selbst sie boykottiert hat. Wird Abu Masen akzeptieren, dass die Israelis weiter die Palästinenser töten und uns gleichzeitig auffordern, sie mit einem Blumenbouquet zu belohnen?
Heißt das, dass Sie seinen Anordnungen nicht folgen werden?
Wir können uns mit Abu Masen über alles einigen, solange es dem palästinensischen Volk nutzt. Vielleicht einigen wir uns ja darauf, gemeinsam Raketen abzuschießen (lacht). Vielleicht auch nicht. Das Problem besteht nicht zwischen uns und der palästinensischen Führung, sondern unser Problem ist die israelische Besatzung.
Sie haben in einem früheren Interview den Beginn einer neuen Ära für die Hamas angesprochen. Was meinen Sie damit?
Die Welt um uns hat sich verändert, vor allem nach dem Tod von Jassir Arafat. Wir sind realistisch und müssen uns darauf einstellen und entsprechend entscheiden.
Schließt das die Anerkennung Israels ein?
Akzeptiert denn Israel das palästinensische Existenzrecht, einen palästinensischen Staat mit voller Souveränität? Ist Israel bereit, sich von Gaza und dem Westjordanland auf die Grenzen von 1967 zurückzuziehen?
Wäre eine Zwei-Staaten-Lösung für Sie tragbar?
Wenn Israel aus dem Gaza-Streifen, dem Westjordanland und Ostjerusalem abzieht und die Truppen jenseits der Grenzen von 1967 stationiert, werden wir eine Entscheidung treffen. Wir können im Augenblick keine Geschenke verteilen.
Was bedeutet für Sie die Besatzung. Meinen Sie nur den Gaza-Streifen und das Westjordanland damit oder das gesamte Gebiet, einschließlich des heutigen Israels?
Wenn Israel sich auf die Grenzen von 1967 zurückzieht und wir unseren unabhängigen palästinensischen Staat gründen können, wären wir sehr glücklich.
Die Grenzen von 1967 wären also denkbar für Sie?
Warum nicht?
Werden Sie an den Parlamentswahlen teilnehmen?
Wir sind unter starkem Druck unserer Anhänger, teilzunehmen, und werden in Kürze unsere Entscheidung veröffentlichen. INTERVIEW: SUSANNE KNAUL