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Archiv-Artikel

Achse der Beat-Archäologen von Christian WerthschulteGeschichtsbewusstsein

Willen zum Konzept zeigt der US-amerikanische Produzent Scott Herren auf dem fünften Album unter seinem Hiphop-Alter-Ego Prefuse 73. Herren hat den Sampler aus dem Studio verbannt und durch ein analoges Ampex-Tonband ersetzt, auf dem er seine Tracks nun zusammenmontiert. So ist eine Verneigung vor der Geschichte der Aufnahmetechniken entstanden, die über die obligatorischen Plattenspieler als Hiphop-Werkzeuge hinaus auch auf die Tape-Manipulationen der französischen Musique Concrète verweist. Und damit auch gleich die so beliebte Old-School-Nostalgie unter der besser saturierten Hiphop-Hörerschaft als absurd entlarvt. Denn Herren ist selbst ein Cratedigger alter Schule, der sein Ausgangsmaterial mühevoll zusammengeklaubt und ausgewählt hat, nur, um es dann als Schnipsel in seinen komplexen Beat-Konstruktionen wieder unkenntlich werden zu lassen. Zwischen skizzierten Rhythmen und angedeuteten Basslines bietet „Everything she touched turned Ampexian“ wenig Raum für schwelgendes Zurücklehnen. Aber leider auch nur wenig Gelegenheit zum Kopfnicken. Die 29 Tracks, gerafft auf nur 40 Minuten, erinnern eher an flüchtige Notizen als an Herrens unverwechselbare Fähigkeit, abstrakte Beats mit kickenden Hooklines zu großen Spannungsbögen zu verdichten. Stattdessen laufen viele der unter einer Minute gehaltenen Tracks direkt am Ohr vorbei ins Leere – egal wie raffiniert und virtuos am Tonband gecuttet wurde.

■ Prefuse 73 „Everything She Touched Turned Ampexian“ (Warp/Rough Trade)

Fanperspektive

Scott Herren zum Zweiten: Durch seinen Umzug nach Barcelona vor einigen Jahren hat der US-amerikanische Musiker auch eine neue Leidenschaft gefunden, die er mit kannibalistischem Interesse aufsaugt. Ihn beschäftigen seither katalanische Folksongs und die während der Zeit der Militärdiktatur in Brasilien erblühte psychedelische Popmusik der Tropicalia-Bewegung. Egebnis ist das Album „La Llama“, das sich den Versatzstücken virtuell-analog aus einer Fanperspektive nähert, die den politischen Kontext der Musik berücksichtigt und genau deshalb offensichtlich hybrid bleibt. Sprengsel von akustischen Folkgitarren verzieren das Grundgerüst aus abstrakten Hiphop-Beats und stoischen Bassläufen. Und über allem thront der Gesang von Eva Puyelo Mons. Ihre Stimme hat Herren am Rechner vervielfacht. Seine Montagen zeigen dabei Mut zur orchestralen Geste wie auch zu flüsternder Intimität. Daraus ergibt sich eine Mischung, deren Groove unaufdringlich bleibt, aber dennoch unvorhersehbar genug ist, um nicht als dröge Hintergrundmusik auf innerstädtischen Milchschaummeilen zu enden. „La Llama“ ist immer dann geschichtsbewusst, wenn Herren seine Samplebibliothek an Flöten und Akustikgitarren im digitalen Farbenrausch auflöst und Synthesizer und Glitchtöne gleichberechtigt neben das Ausgangsmaterial treten. In diesen Momenten bleibt ein Gefühl zurück, als sei das Echo der Tropicalistas an die Strände Kataloniens gespült worden.

■ Savath & Savalas „La Llama“ (Stones Throw/Groove Attack)

Gespensterstunde

So langsam wird Dubstep zum kollektiven Gedächtnis englischer Clubmusik. Immer häufiger blitzen zwischen den gebrochenen Beats Momente auf, die historische Ereignisse voller Euphorie heraufbeschwören – den Summer of Love, 1988 – die Eruption des Jungle, 1992. Rave ist das überzeitliche Gespenst, das die Produzenten immer wieder heimsucht. Was aber bleibt von der Schwere der Erinnerung unbeschadet? Am besten macht man es wie der nordirische Produzent Boxcutter (Barry Lynn) und lädt die Gespenster des glückseligen Abfeierns direkt ins Studio ein. Lynns neues Album „Arecibo Message“ nähert sich ihnen mit der Unbeschwertheit der Nachgeborenen. In „Free House Acid“ pluckert und zwitschert eine 303-Roland-Drummachine fröhlich vor sich hin, während im Hintergrund analoge Drumpatterns ein etwas holpriges Rhythmusgerüst improvisieren. „Mya Rave“ bietet Breitwand-Rave alter Schule, dessen hochgepitchte Mickey-Mouse-Helium-Vocals und Synthesizerakkorde sich perfekt mit den subsonischen Bässen verstehen und quer durch die Geschichte von Dancemusic verweisen. Das alles wirkt verspielt und, wenn die Stile allzu sehr durcheinander purzeln, manchmal ein wenig infantil. Aber in Atempausen, wie bei dem souligen Track „A Familiar Sound“ zeigt sich dann die Größe dieses Albums. Boxcutter lässt nicht nur die Geschichte des „Hardcore Continuum“ Revue passieren, sondern schreibt sie aus ihren Einzelteilen weiter fort.

■ Boxcutter „Arecibo Message“ (Planet μ)