: Kritik als One-man-Show
Die Menschen müssten wieder kritisch denken und aufhören, die Naturwissenschaften anzubeten, fordert Computerlegende Joseph Weizenbaum auf einer Veranstaltung der Kunsthochschule Köln
Von Torsten Kleinz
Technikgläubigkeit und kritisches Denken sind die Hauptthemen von Joseph Weizenbaum – für die Kunsthochschule für Medien in Köln schien der der legendäre Computerkritiker damit ein idealer Gesprächspartner für einen gepflegten Diskurs unter Wissenschaftlern zu sein. Doch was am Montag Abend als Gesprächsrunde begann, wurde schnell zu einer Ein-Mann-Show des 82-Jährigen – der übrige Teil der Runde diente nur als Stichwortgeber. Vom reinen Philosophieren hielt der emeritierte Professor nicht viel, stattdessen kritisierte er die Denkfaulheit der Menschen und den Irakkrieg.
Sein Ruf war Weizenbaum vorausgeeilt: Über 100 Zuhörer hatten sich in den kleinen Vortragsraum im Overstolzenhaus zusammengedrängt, Studenten neben gesetzterem Publikum, dazwischen Journalisten und auch ein Kamerateam des WDR. Höflich nahm Weizenbaum die Einführung des Kunsthistorikers Hans-Ulrich Reck über die Maschineneuphorie und -kritik im 19. Jahrhundert, über „Apparate in Kollision mit den Werten der Gesellschaft“ zur Kenntnis, ließ sich aber kaum auf die Gesprächsebene ein. Seine Gesprächspartner brachten Gödel und Habermas ins Spiel, Weizenbaum erzählte lieber aus seinem Leben – auf Deutsch mit leicht amerikanischem Akzent. Denn Weizenbaum ist in der Nähe von Berlin geboren, musste in den 30ern vor den Nazis fliehen. Heute lebt er wieder in Berlin.
Zur Legende wurde er durch seine Technikkritik, die er in den vergangenen vierzig Jahren zur Kunstform ausgebaut hat. Der Wendepunkt in seinem Leben waren die 60er Jahre. Damals entwickelte er am renommierten Massachusetts Institute of Technology das Programm „Eliza“, das einen Dialog mit dem Computernutzer simulierte. „Oft waren die Leute überzeugt, dass die Maschine sie versteht“, schilderte Weizenbaum die damaligen Reaktionen – für den Computerpionier ein krasses Missverständnis und Ausdruck einer blinden Technikgläubigkeit, die schon damals die organisierte Religion abgelöst habe.
Da sein Institut gleichzeitig an der Entwicklung von Waffen für den Vietnamkrieg forschte, wurde der Technikpionier zu einem der bekanntesten Computerkritiker: „Wenn wir sehen, was die Technik in den letzten 100 Jahren geschafft hat, müssten wir stolz sein“, sagt er heute. „Wenn wir jedoch sehen, was wir damit machen, müssen wir uns schämen“.
Schuld an der Misere ist seiner Ansicht nach die fehlende Bereitschaft zu kritischem Denken – gerade auch in Universitäten. „Wieso arbeiten meine Kollegen bis heute mit an Massenvernichtungswaffen?“, fragte er. Seine pessimistische Antwort: Die Menschen haben die Fähigkeit verlernt, kritisch nachzufragen. Nur so kann sich der ambitionierte Kriegsgegner erklären, dass heutzutage unter anderem die Genfer Konvention in Frage gestellt wird. „Wie können wir glauben, eine vernünftige Politik zu machen, wenn wir nicht mehr kritisch denken können?“
Kunsthistoriker Reck führte an dieser Stelle die Komplexität der menschlichen Zivilisation an. Diese mache es schwer, auf den eigenen moralischen Kompass zu hören, behauptete er. Doch Weizenbaum wollte das nicht gelten lassen. Die Menschen wüssten sehr genau, was sie zu tun hätten, argumentierte er, auch wenn sie die Welt letztendlich nicht ganz begreifen würden. „Wir sind einfach nur zu faul“, meinte er.
„Wir sollten die Anbetung der Naturwissenschaft aufgeben“, lautete Weizenbaums Plädoyer. Konsequenterweise erteilte er Träumen von eigenständig denkenden Computern und Robotern eine deutliche Absage: Die Lebenswelt des Roboters könne nie der eines Menschen entsprechen, da es der Maschine an den elementaren Bedürfnissen fehlt. Würden die Maschinen letztlich die Oberhand gewinnen, dann nur, weil der Mensch eben dies zugelassen habe.
Aber Weizenbaum zeigte sich ohnehin pessimistisch: Die Menschen führten immer weiter Kriege, und die Schere zwischen arm und reich klaffe weiter auseinander, klagte er. Etwas Resignation war bei seinen Worten deutlich rauszuhören. Als Hoffnungsschimmer am Horizont sah er aber die internationalen Proteste gegen den Irakkrieg. Die Menschen müssten wieder Verantwortung übernehmen, forderte er: „Wenn wir ein bisschen unter den Teppich gucken, Fragen stellen – es würde eine ganz andere Welt sein. Wir könnten das Irrenhaus erkennen, in dem wir leben.“
Joseph Weizenbaum tritt heute Abend noch einmal in Köln auf. Im Literaturhaus (Im Mediapark 6) erzählt er ab 20 Uhr die Geschichte des 20. Jahrhunderts anhand von Filmausschnitten.