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Archiv-Artikel

Neben mir kein zweiter Bundesboy!

Der einstige SPD-Youngster Reiche war ihm zu frech. Sein Spezi Rupprecht muss erst Bildungsminister in Brandenburg üben. Warum Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck seiner SPD den Vorsitz in der KMK stibitzt – und den Christdemokraten einen Posten für schöne Sprüche schenkt

„Die Zeiten der Warmherzigkeit sind vorbei“, sagte Landesfürst Platzeck – und schmiss Steffen Reiche aus dem Kabinett

VON DANIEL SCHULZ UND CHRISTIAN FÜLLER

Die Schildkröte macht Sprünge. Den Kriechgang der Kultusministerkonferenz, verspottet gern als griechische Landschildkröte, beendete die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Johanna Wanka (CDU), mit zwei veritablen Hüpfern. Schon wenige Tage nach ihrem Dienstantritt am 1. Januar forderte sie ein elternunabhängiges Bafög. Und dann bat die Brandenburger Ministerin, die am Montag feierlich ihr Amt übernimmt, die Kultusminister, schnell gemeinsame Richtlinien für Studiengebühren zu verabschieden – am besten, bevor das Bundesverfassungsgericht das Bezahlstudium erlaubt.

Johanna Wankas Stil ist typisch dafür, wie Unionsministerinnen ihre Rolle als KMK-Präsidentinnen interpretieren: mit Mut zur Meinungsstärke. Sie tragen bildungspolitische Slogans in die Öffentlichkeit, ehe die 16 Kultusminister sich kompliziert einigen. Sie wolle nicht „provozieren, sondern moderieren“, charakterisierte Wanka ihren Stil im Gespräch mit der taz treuherzig. Aber sie sei nun mal „eine Freundin klarer Worte“.

So selbstbewusst haben auch Annette Schavan und Karin Wolff, beide Union und Vorvorgängerinnen Wankas, ihr Amt verstanden. Die dreigliedrige Schule ist toll, lautet deren ehernes Leitmotiv, und die Schule für alle ist Scheiße. Die brave Doris Ahnen (SPD), scheidende KMK-Präsidentin, hat sich nie getraut, dem zu widersprechen. Sie verwaltete ihren Posten. Motto: Es darf keiner merken, dass ich von der SPD bin! (siehe unten)

Dass die KMK-Antreiberin schon wieder aus der CDU kommt, hat die studierte Mathematikerin Wanka ihm zu verdanken: Ministerpräsident Matthias Platzeck, SPD. Er setzte einen Spezi und politischen No Name auf den Ministersessel – und stibitzte so der eigenen Partei den PR-wirksamen Spitzenjob.

Ursprünglich war der Genosse Steffen Reiche für den Präsidentenposten fest eingeplant. Der profilierte wie meinungsstarke Bildungsminister sollte, so die Hoffnung der reformpädagogischen und sozialdemokratischen Szene, die Zeit der Leisetreterei beenden – und als Präsident die wichtigsten deutschen Pisa-Fragen mal aus der SPD-Perspektive thematisieren: Bildungsgerechtigkeit und soziale Spreizung von Schulerfolgen. Auch Spitzensozis wie Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn und Exbundespräsident Johannes Rau warteten auf einen cleveren SPDler auf dem KMK-Präsidentensessel.

Reiche gilt als der stärkste Bildungsminister in der kurzen Nachwendegeschichte Brandenburgs. Er nahm die Herausforderung des Pisa-Schocks an, der sein kleines Land mit Rangplatz 14 hart traf. Reiche sollte turnusgemäß 2005 den Präsidentensessel bei der KMK besetzen – bis ihn Platzeck absägte. Da mochten Rau und Bulmahn betteln, Platzeck brauchte keinen KMK-Präsi am Kabinettstisch, sondern einen praktisch begabten Schulverwalter der Provinz.

Dabei haben Platzeck und Reiche Geschichte. Reiche war es, der als damaliger SPD-Landeschef dem Grünen Platzeck in die SPD half. Bereits mit 29 war der Pfarrer Reiche Gründungsmitglied der SPD. Im Herbst 1989 fuhr Reiche in den Westen (weil seine Oma den 84. feierte) und schaute bei der Gelegenheit in Bonn vorbei. Es wurde ein grandioser Auftritt. Zusammen mit Willy Brandt im Auto kehrte Reiche als die neue Hoffnung der SPD in den Osten zurück. Allerdings: Reiches Verhältnis zur SPD hat sich seither sukzessive eingetrübt. Bei der letzten Wahl verlor er sogar seinen Wahlkreis – ein äußererAnlass für Platzeck, ihn aus dem Kabinett zu werfen.

Steffen Reiche galt auch als einer, der eine Koalition mit der PDS nicht gescheut hätte. Die Zusammenarbeit mit einer CDU, die lustvoll Sozi-Bashing betrieb, war für Reiche kein Muss mehr. Das, was gemeinsam mit der Union zu tun war, so Reiches allzu offen vertretene Haltung, sei erledigt. Deshalb hielt er sich die PDS-Option offen. Matthias Platzeck hingegen präferierte die CDU als Partner.

Es gibt Stimmen, die meinen, Platzeck sehe Reiche als Bedrohung. Der Ministerpräsident wollte der von Amtsvorgänger Manfred Stolpe verzärtelten „kleinen DDR“ eine Rosskur verordnen – Millionen einsparen, zehntausende Landesbedienstete entlassen, Härte zeigen. Hätte ihm seine Partei in diesem Kurs nicht mehr folgen wollen, wäre ein Bildungsminister Reiche eine natürliche Führungsfigur gewesen. Andere halten diese Lesart für falsch, weil sie den Einfluss des von der Landes-SPD abgenabelten Reiche überschätze.

Mit Reiche flogen gleich alle anderen Minister, die aus dem Kabinett von Manfred Stolpe noch übrig waren. An ihre Stelle setzte Platzeck Vertraute – oder Unbekannte. Reiches Job etwa bekam Holger Rupprecht, parteiloser Direktor eines Vorzeigegymnasiums in Potsdam. Ehemalige Schüler und Kollegen sagen, er sei charmant und sehe gut aus. Platzeck lobt ihn als „nahe bei den Menschen“.

Er war Vizerektor einer polytechnischen Oberschule, der zehnklassigen Gesamtschule der DDR. Gymnasialdirektor wurde der Geografie- und Sportlehrer über Nacht. „Eine Solidargemeinschaft“ habe man an der Schule gebildet, meint Rupprecht. Sein Stil, sagt er, sei „kollegial“. Rupprecht passt gut zu Platzecks Paladinen. Ein Mann, von dem der Chef keine Schwierigkeiten erwarten muss. Der allerdings auch keine Ahnung hat von den Fährnissen in der Konferenz der notorisch zerstrittenen Kultusminister. Der Novize Rupprecht, zu Hause mit einer Fülle von Reiches Reformanstößen stark gefordert, hätte den fintenreichen Wolffs wenig entgegensetzen können. Deshalb musste Platzeck seinen neuen Mann von der bundespolitischen Bühne gleich wieder zurückziehen. Stattdessen durfte Brandenburgs Vizepremier Jörg Schönbohm (CDU) Wissenschaftsministerin Wanka auf den KMK-Chefsessel hieven.

Aus der SPD kommen nur leise Zweifel am Platzeck’schen Kurs. Man fragt sich, warum der Ministerpräsident der Bundespolitik so wenig Bedeutung beimisst. Aber stimmt das überhaupt? Im letzten Wahlkampf hat sich Platzeck verändert. Aus dem Sunnyboy, der die Frauen mehr liebt als die Akten, ist ein Machtmensch geworden. Mit Hilfe des Willy-Brandt-Hauses hat er sich gewandelt. Nur deshalb richtete er Partei und Kabinett so auf seine Person aus. „Die Zeiten der Warmherzigkeit und der Solidarität sind vorbei“, sagte Platzeck vor der Wahl zur taz. Seine Berater in Berlin hätten noch Großes mit ihm vor, sagen Genossen. Aus Platzeck soll ein Bundesboy werden, der irgendwann sogar auf Kanzlerkandidat machen könnte. Und seit Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee Berlin mehrfach Körbe gab, ist Platzeck der SPD-Oberostler schlechthin. Steffen Reiche, früher für diesen Part vorgesehen, darf die Bundeskarte nun nicht mal mehr in der KMK spielen.

Aber vielleicht ist es ja auch ganz anders. Gerade rüstet sich die SPD, um Bildung zum großen Thema zu machen. Darum rang indirekt bereits die Föderalismuskommission. Dort dürfte Platzeck gemerkt haben, dass aus Steffen Reiches Spezialdisziplin bald das Megathema schlechthin werden könnte. Dann muss der Ministerpräsident sich selbst kümmern. Bis dahin darf Johanna Wanka gern unabgesprochene Vorschläge machen.