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Archiv-Artikel

Britische Bonität angekratzt

FINANZEN Ratingagentur warnt vor Staatsschulden. Ökonom kritisiert „Scheinrationalität“

BERLIN taz | Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) hat am Freitag den Ausblick für die Kreditwürdigkeit Großbritanniens von „stabil“ auf „negativ“ verschlechtert. Das bedeutet nach Aussage von S&P, das Land könnte mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 Prozent mittelfristig seine Spitzenbewertung als Staatsschuldner verlieren. Die aktuelle Bewertung der Bonität Großbritanniens belässt S&P unverändert bei der Höchstnote „AAA“.

Grund für die Herabstufung seien die rasch steigenden Staatsschulden Großbritanniens. Sie nehmen wegen der Wirtschaftskrise und der damit verbundenen Kosten für Konjunkturprogramme, Bankenrettung und Steuerausfälle rasant zu. „Die britischen Staatsschulden könnten sich bis 2013 auf nahezu 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verdoppeln und mittelfristig dort bleiben“, sagte David Beers von S&P. „Eine Staatsschuld in dieser Höhe wäre, wenn sie anhält, unvereinbar mit einem AAA-Rating von S&P.“

Ein Herabstufung der Kreditwürdigkeit hat zur Folge, dass ein Land höhere Zinsen zur Finanzierung seines Defizites bezahlen muss. Allerdings ist der von S&P unterstellte Zusammenhang, eine Verschuldung von 100 Prozent des Bruttoinlandsproduktes wirke sich direkt auf die Zahlungsfähigkeit eines Landes aus, ökonomisch umstritten. „Der Schwellenwert ist willkürlich gewählt. Dafür gibt es keine ökonomische Begründung“, sagte Gustav Horn, Chefökonom des Institutes für Makroökonomie und Konjunkturforschung, der taz. Für die Fähigkeit, seine Schulden zu bedienen, spiele es nur eine geringe Rolle, ob der Verschuldungsgrad 80 oder 110 Prozent betrage. Das spiegelt auch das S&P-Rating wider: Selbst die Bonität von hochverschuldeten Ländern wie Japan (Schuldenquote 183 Prozent) oder Italien (103 Prozent) bewertet S&P mit guten Ratings zwischen AA und A+.

„Die Warnung vor einer verschlechterten britischen Bonität spiegelt die Ratlosigkeit der Ratingagentur wider. Sie basiert auf einer Scheinrationalität von S&P“, sagte Horn, der eine Reform des Ratingsystems fordert: „Es kann nicht sein, dass der volkswirtschaftlich wichtige Sektor der Risikobewertung in der Hand von nur drei marktbeherrschenden Ratingagenturen liegt. Wir brauchen eine europäische Lösung.“ TARIK AHMIA